Es ist serviert

Eine Kulturgeschichte des römischen Gastmahls erweist sich als veritabler Schmöker

Von Christine OttRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christine Ott

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Elke Stein-Hölkeskamps Kulturgeschichte des römischen Gastmahls ist eine überaus geglückte Verbindung von Wissenschaft und Lesevergnügen. Einleitend wirft die Autorin einen kritischen Blick auf den mangelhaften Forschungsstand zum römischen Bankett. Während das griechische Gastmahl mit innovativen Fragestellungen untersucht worden sei, gäben die Handbücher und Lexikonartikel ein statisch-homogenes Bild des römischen Banketts, ohne die diachrone Entwicklung der Tafelkultur in Rom zu berücksichtigen. Zudem differenziere man nicht hinreichend zwischen den einzelnen Quellengattungen und Materiallagen. Die Autorin illustriert das Problem an einem Beispiel: Für das erste frühchristliche Jahrhundert sei die breiteste Materiallage gegeben, doch die Rekonstruktion des alltäglichen Lebens in Rom gestalte sich insofern schwierig, als die Masse an Informationen nahezu aus einer einzigen Feder stamme - der Ciceros. Dessen Schilderungen alkoholischer und kulinarischer Exzesse dienten jedoch politischen Zwecken: Es gehe ihm darum, seine Gegner zu diskreditieren. Daher müsse man bei der Befragung der Quellen immer auch abwägen, inwiefern sich in ihnen eine reale soziale Praxis spiegele. Andererseits seien aber gerade auch polemisch überzeichnete oder idealisierend überhöhte Darstellungen von Gastmählern wichtige Indikatoren für das Selbstverständnis und die Selbstdarstellung der führenden Schicht (nur diese konnte es sich leisten, eine aufwendige Tafelkultur zu pflegen). Sie seien insofern nicht Spiegelung einer Situation, sondern, wie es die Autorin mit Michel Foucault formuliert, "Formulierung eines Anspruches" und dadurch eben doch auch "Teil des Realen".

Diesen Vorüberlegungen getreu bezieht die Autorin in ihre Ausführungen zu den verschiedenen Aspekten der Tafelkultur immer auch die Frage ein, inwiefern die von ihr untersuchten Quellen (es handelt sich vorwiegend um Briefe und um literarische Darstellungen) einer faktischen Gegebenheit entsprechen, und inwiefern sie - auf der Folie des Realen - ein politisches Programm, eine satirische Überzeichnung oder eine idealisierende Überhöhung entwerfen. Anders gesagt: Die Darstellung der zeitgenössischen Tafelsitten enthält immer die explizite oder implizite Formulierung von Normen und Wertvorstellungen. Entsprechend sieht die Autorin ihr Ziel darin, "die Bankette der römischen Aristokraten als solche und umfassend zu thematisieren, sie in den Kontext der spezifisch römischen Mentalitäten, Wertsysteme und Verhaltenscodes zu stellen und sie dabei in dem allgemeinen historischen Veränderungsprozess zu verorten. Die Untersuchung des Gastmahls [...] versteht sich deshalb über den konkreten Gegenstand hinaus auch als ein Beitrag zur Erforschung dieses Veränderungsprozesses im allgemeinen und seiner Auswirkungen auf die mentale und moralische Verfaßtheit der Elite im besonderen".

Elke Stein-Hölkeskamps Untersuchung gliedert sich in sechs Kapitel, von denen die ersten drei das römische Bankett als eine soziale Praxis beleuchten, während sich die Kapitel vier bis sechs dem Gastmahl als einer spezifisch kulturellen Aktivität widmen. So schildern die Kapitel eins bis drei das gemeinsame Dinieren als einen Ort der sozialen Interaktion: Sie widmen sich seiner Verortung im Alltag, den Regeln, denen Einladung und Gegeneinladung unterstehen und der sozialen Zusammensetzung seiner Teilnehmer. Daraus ergibt sich ein überaus differenziertes - und durch die diachronische Betrachtung dynamisches - Bild der römischen Gesellschaft. Gerade als Schnittstelle zwischen dem öffentlichen und dem privaten Leben erweist sich die Entwicklung des Gastmahls als besonders geeignet, den Wandel im politischen und familiären Wertesystem zu reflektieren. Die Kapitel vier bis sechs beschäftigen sich mit dem Gastmahl als Bestandteil und Zentrum einer kulturellen Praxis. Angefangen bei der Lage und Einrichtung der Speiseräume über die Auswahl der Speisen bis hin zum künstlerischen Rahmenprogramm erweist sich das römische Bankett als ein Ereignis, in dem nichts dem Zufall überlassen bleibt. So erfordert allein schon die Auswahl und das Beschaffen der Speisen eine erhebliche Sachkenntnis. Es galt nicht nur zu wissen, welche Leckerbissen gerade die angesagtesten waren, sondern auch, wo man die begehrten Delikatessen jeweils in der besten Qualität bekam. Wer in Rom Gastgeber sein sollte, musste also über ein überaus komplexes Wissen verfügen: die Kennerschaft wurde zum "symbolische[n] Kapital": Nicht nur das luxuriöse Tafeln selbst und die dabei zu demonstrierende Grenzenlosigkeit der Verfeinerung "waren das Merkmal der Distinktion. Auch und gerade jenes geteilte Wissen um die exklusive Exotik des servierten Eßbaren, das für den Kenner [...] sichtbar in die Opulenz der Tafel eingegangen war, konnte dem Gastgeber eine nochmals gesteigerte Überlegenheit verleihen".

Als spezifisch kulturelle Praxis erweist sich das Gastmahl auch durch seine enge Verknüpfung von Tafelfreuden und ästhetischen Genüssen. Ihren wechselseitigen Beziehungen ist das Unterkapitel "Dichtung zum Dinner - oder: Dinner und Dinieren in der Dichtung" gewidmet. Dort geht die Autorin auf die Frage ein, welche Textsorten bei Tisch vorgelesen wurden, welchen Zwecken sie genügen sollten und wie sich die in den Gastmählern der letzten Republikaner geltende Zielsetzung des zugleich Angenehmen und Nützlichen unter der Herrschaft des Augustus immer mehr in Richtung des bloßen Vergnügens verschob. In den Gedichten Ovids und seiner Zeitgenossen stehen die sinnlichen Freuden des Einzelnen im Mittelpunkt: "Die gefühlvollen Carmina, in denen es um Verführung und Eroberung, Liebe und Erotik geht, weisen nun nicht mehr über den Augenblick hinaus." Neben Texten und künstlerischen Darbietungen, die ein Mahl umrahmen, gibt es jedoch auch Texte, in denen erdichtete Gastmähler beschrieben werden. Zwei besonders raffinierte Werke dieser Gattung sind die Cena Nasidieni, die Horaz für seinen Gönner Maecenas verfasste, und die Cena Trimalchionis des Petronius. Das Erstere beschreibt mit beißendem Spott einen Abend an der Tafel des ehrgeizigen Aufsteigers Nasidienus, "die bemühten Gespräche und schließlich die enervierenden Erläuterungen zu Rezepten und kulinarischem Raffinement". Überaus vielschichtig ist diese Reflexion des Gastmahls, weil sie zugleich auf drei Ebenen stattfindet: "Erstens ist das convivium der Ort, an dem dieses Werk dem Publikum vorgestellt wurde. Zweitens ist es der Gegenstand, der in diesem Text zum Thema wird, und drittens ist es auch nicht der Inhalt der Unterhaltung, die die Gäste bei diesem Treffen im Hause des Nasidienus geführt haben sollen."

Abschließend gibt die Autorin ein kurzes Resümee ihrer Untersuchung. Die selbstverständliche Omnipräsenz des römischen Gastmahls zeigt, dass es sich um eine keineswegs exzeptionelle, vielmehr eine alltägliche kulturelle Praxis handelte, die gerade aufgrund ihrer Allgegenwärtigkeit zum wichtigsten Medium eines anhaltenden Diskurses über die Lebenswelt der führenden Schicht und ihre zentralen Wertvorstellungen avancierte. Im Wandel der Tafelsitten - von der opulenten Prasserei unter Augustus und Nero bis hin zur neuen Frugalität der Flavier-Dynastie - spiegelt sich eine grundlegende Veränderung im Wertesystem. Auf diese Weise erhält das Gastmahl nicht nur einen programmatischen Charakter - es wird auch zur Metapher: Metapher eines degoutanten Sittenverfalls einerseits oder aber eines bescheidenen, selbstgenügsamen Lebenswandels andererseits. Als Medium einer soziokulturellen Praxis und als kulturkritische Metapher erweist sich das römische Gastmahl mithin als ein zentraler Schlüssel zum Verständnis der römischen Kultur.

Es ist bewundernswert, wie es der Autorin gelingt, einen Fachtext von wissenschaftlichem Niveau so zu schreiben, dass er auch von Laien mühelos - und mit großem Vergnügen - gelesen werden kann. Stellenweise weist der Text Redundanzen auf; dies liegt jedoch an seiner 'enzyklopädischen' Konzeption: Die einzelnen Kapitel und Unterkapitel müssen nicht notwendig nacheinander gelesen werden, da jedes für sich eine abgeschlossene Sinneinheit bildet. Gerade dadurch bietet sich das Buch zum Querlesen und Schmökern an. Prodesse und delectare werden hier in äußerst appetitanregender Weise dargeboten.


Titelbild

Elke Stein-Hölkeskamp: Das römische Gastmahl. Eine Kulturgeschichte.
Verlag C.H.Beck, München 2005.
364 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3406528902

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