Warten auf Kavalský

Als in Europa die dunklen Gewitterwolken eines schwülen Nationalismus aufzogen, suchte in Prag Jaroslav Ondrej sich selbst - und traf auf Adolf Hitler

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Prolog soll dem Leser Klarheit verschaffen: Es gibt einen in einem Armenkrankenhaus der New Yorker Vorstadt frisch verstorbenen Josef Kavalský, der dem Ich-Erzähler Rätsel aufgibt. Und der stellt sich vor: "Sie wissen noch nicht, wer ich bin und aus welcher Zeit ich zu Ihnen spreche. Ich bin ein tschechischer Flüchtling aus Europa, mein Name ist Jaroslav Ondrej, ich bin vierzig Jahre alt und Anfang Juli 1941 an Amerikas Küste gelandet."

Ondrej hatte Professor Kavalský im Sommer des Jahres 1932 in Prag kennen gelernt. In diesen vergangenen knappen zehn Jahren hatte sich nicht nur Ondrejs Leben, sondern die ganze Welt grundlegend geändert. Der seit einem Unfall an der Hand verkrüppelte Jaroslav Ondrej fristete ein langweiliges Beamtendasein in einem städtischen Archiv, und er kehrte bis zu seinem 25. Lebensjahr regelmäßig in seine dörfliche Heimat im böhmischen Grenzgebirge zurück.

Der böhmische Topos, die Rückkehr in die Gesundung der heimatlichen Welt - er findet sich auch bei den Dichtern František Halas oder bei Jirí Wolker. Im vorliegenden Fall bereitet der Abbruch dieser idyllischen Beziehung auf die kommenden Schicksalsschläge vor: "Von meinen Geschwistern und den übrigen Verwandten habe ich mich entfremdet, ich vergaß die Wiegenlieder der Kindermädchen und wurde unempfindlich für das Flüstern der Bäume und den Atem des Bodens". Die Stadt zog den jungen Ondrej in den Strudel ihrer Dekadenz. Aber eigentlich trug Professor Kavalský Schuld an Ondrejs Verirrungen. Stellenweise erinnert Jaroslav Ondrej an Hermann Hesses "Steppenwolf" Harry Haller, wenn sie nächtens in Bars geheimnisvollen Blicken begegnen, als seien sie längst erwartet worden. Kurz vor der Lösung des Rätsels bleibt dann der fade Geschmack einer Gewissheit, dass nichts gewiss ist. Professor Kavalský hatte Gefallen an dem jungen Ondrej gefunden, sie tauschten sich über dekadente Literatur aus, und Kavalský sprach über seine Buchpläne. Ein Verwirrspiel entwickelt sich, das der allgemeinen politischen Lage im Mitteleuropa der 30er Jahre entspricht. War Kavalský noch Kavalský? Oder doch ein anderer? In einem Gespräch äußerte er sich über seine Buchpläne: "Der Raum des Romans und der Erzählungen ist mir zu klein geworden." Es folgten gemeinsame Ausflüge im herbstlichen Nebel, die in grandiosen Besäufnissen endeten. Frauen, Parfums und Gelage in Landschlössern kreisten in Ondrejs verkateter Erinnerung. Und Kavalskýs geheimnisvolle Verhandlungen mit dubiosen Typen, "denen in Kürze die Welt gehören wird".

Und eines Tages wurde Ondrej eingeweiht. Ein schmissnarbiger Typ war angereist, um Kavalský und seinen jungen Adlatus zu geleiten: "Wir fahren ein Stück aus Prag hinaus, dort steigen wir in ein Flugzeug und fliegen zur Abschlußversammlung der Bruderschaft der neuen Ordnung; diesmal werden Vertreter der europäischen Wissenschaft und Kunst die Ehre der Teilnahme haben, und zwar unter der Schirmherrschaft des Führers der neuen Welt - Adolf Hitler!" Kein Wunder, dass Ondrej plötzlich völlig nüchtern war. Hier tritt die böhmische Variante des Steppenwolfs aus dem Schatten allgemeiner Bewusstlosigkeit. Und doch fuhren sie los! Und es war entsetzlich! Wieder zurück in Prag half ihnen Alkohol auf die Beine, mitten in der Nacht in der vertrauten Bar "Dáma z Paríže".

Die folgenden vier Monate verbrachte der gebrochene Kavalský im Sanatorium. Die zwei Gesichter Kavalskýs vervielfältigten sich ins Unendliche und spiegelten die Unzuverlässigkeit der gelangweilt zechenden Gefolgschaft aus der Bar wieder. Nüchtern kommentiert der Erzähler: "Die Grenzen unseres Landes waren also kampflos gefallen, nachdem vier miteinander Rücksprache gehalten hatten: ein Mörder, ein Räuber, ein Komödiant und eine leibhaftige Vogelscheuche."

Egon Hostovský ist mit "Siebenmal in der Hauptrolle" ein furioser Roman gelungen, der in einer hervorragenden Übersetzung von Markus Sedlaczek die psychologischen Wirren des 20. Jahrhunderts angesichts totalitärer Bedrohung von innen wie von außen inszeniert. Jirí Holýs analytisch scharfes Nachwort legt nicht von ungefähr den Akzent auf das authentische Wort und verweist auf die Tradition der tschechischen Literatur, den Missbrauch von Worten und Sprache anzuprangern.

Der 1908 im ostböhmischen Hronov geborene Egon Hostovský hatte den Untergang seiner tschechoslowakischen Heimat als Zeitzeuge erlebt - im schrecklichen Orginal und als schäbige Kopie. 1939 mußte Hostovský nicht zuletzt wegen seiner jüdischen Abstammung emigrieren, und nach dem kommunistischen Putsch von 1948 war er zum zweiten Mal gezwungen, in die USA auszuweichen, wo er 1973 verstarb.


Titelbild

Egon Hostovský: Siebenmal in der Hauptrolle. Roman.
Herausgegeben von Peter Demetz, Jiri Grusa, Peter Kosta, Eckhard Thiele und Hans D. Zimmermann.
Übersetzt aus dem Tschechischen von Markus Sedlaczek.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004.
311 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3421052522

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