Kosmonauten - Richard David Prechts anrührende Liebesgeschichte als Metapher der Wiedervereinigung und der schleichenden Veränderung Berlins

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die zeitdiagnostische Literatur zur Geschichte der Stadt Berlin hat weiter Konjunktur, auch mit Blick auf die 80er- und frühen 90er-Jahre. Während Sven Regeners Roman "Herr Lehmann" genau am 9. November 1989, dem Tag der Grenzöffnung zwischen Ost und West, endet und der Protagonist kurz nach seinem 30. Geburtstag sein bislang geführtes Leben umkrempeln wird, beginnt Robert David Prechts Liebesgeschichte genau an diesem Tag, an einer Haltestelle in Köln.

Zum Berlin-Roman wird es erst durch den Umzug der beiden Protagonisten - in die sich auf der Suche nach einer neuen Identität befindenden Stadt. Und so verbindet Precht in viel direkterer und radikalerer Weise die sich an die aktuellen Umstände anschließende Frage veränderter, gänzlich neuer oder der auslaufenden Zukunft alter Lebensentwürfe.

Dabei ist Berlin weniger Diskurs- als Handlungsschauplatz, denn Precht entfaltet seine Geschichte in einem sprachlich unaufgeregten, aber desto präziser funktionierenden topografischen und mentalen Nachwendebiotop. Irgendwo zwischen besetzten Häusern in Mitte, einer neuen Kulturschickeria und dem Tierpark Friedrichsfelde entsteht ein unprätentiöses Panorama von Wiedervereinigungsgewinnern und -verlierern, von Prozessen und Dynamiken, die schließlich ihre individuellen und ganz persönlichen Auswirkungen auf die anrührende Liebesgeschichte von Georg und Rosalie hat. Das Buch ist melancholisch und humorvoll zugleich: ebenso konstruiert wie leicht geschrieben, zwischen Essay und einer Eastern-Liebesgeschichte, in der es schließlich Gewinner und Verlierer gibt. Und nicht nur die Protagonisten haben sich verändert, auch Berlin. Und damit ist das vereinigte Deutschland nicht mehr das von 1990.

M. G.


Titelbild

Richard David Precht: Die Kosmonauten. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003.
382 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 346203216X

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