Keine "Kunst", sondern nur Geschwätz

Yasmina Reza enttäuscht mit ihrem neuen Buch über den "Schlitten Arthur Schopenhauers"

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spinoza? Pah, Spinoza! Spinoza hat Ariel Chipman nichts mehr zu sagen. Einst war er, "wie allseits bekannt, ein großer Spinoza-Experte". Aber dann ist sein Geist "eingeknickt", sagt seine Frau, und er hat sich komplett von Spinoza abgewandt. Nicht nur von Spinoza. Denn jetzt, wo er, wie sie sagt, "seinen Kopf verloren" hat, in eine "mentale Isolation" gefallen ist, in eine "schreckliche Einsamkeit" und dummes Zeug redet, jetzt "kann er Spinoza nicht mehr ab". Sagt seine Frau. Und dann lässt er auch noch seine Hand plötzlich "welk und schlaff baumeln". Sie regt sich auf, die Gute: "Keine Konsequenz in seinem Verhalten, keine Haltung in seinem Dasein, jahrelang hatten wir Spinoza, Spinoza! peng! peng! peng, heute alle möglichen Überspanntheiten, Drogen und schlaffe Hand." Und sie kommt zu dem Schluss, dass Liebe und Ehe nun gar nichts miteinander zu tun haben.

Das alles sagt in einem Thomas-Bernhard'schen Redeschwall Nadine Chipman zu Serge Othon Weil. Auch der sagt etwas, aber nicht zu ihr, sondern zu Ariel Chipman. Und der redet mit "der Psychiaterin". Mit der auch Nadine redet. Naja, nicht "mit", sondern "zu", es sind Monologe ohne Zusammenhang. Und schließlich redet Ariel zu Nadine. Und am Schluss redet die Psychiaterin zu allen dreien. Sie erzählt eine Geschichte, die mit den vorhergehenden Dauermonologen nun gar nichts zu tun hat.

Der Angelpunkt der Geschichte "Im Schlitten Arthur Schopenhauers", die die berühmte Theaterautorin Yasmina Reza nicht erzählt, sondern an der sie vier Leutchen vorbei erzählen lässt, ist die Depression des einst so wichtigen Spinoza-Experten Ariel Chipman. Der hat nämlich wirklich eine richtige Krise, und statt an Spinoza und dessen Optimismus zu denken, fällt ihm nur noch Schopenhauer ein: "Ich sitze in einem Schlitten, der in den Tod fährt (...), im Schlitten meines Freundes Arthur Schopenhauer", der ihn mit sich trägt, in den pessimistischen, düsteren Abgrund. Und es fallen ihm zwei seiner Lehrer ein, Louis Althusser, der seine Frau erwürgt hat und sie danach schön mit dem Vorhangstoff drapierte, und Gilles Deleuze, der sich das Leben genommen hat. Das animiert Ariel dann natürlich auch nicht, weiterzuleben, weiterzuforschen, weiterzulehren. Seine Frau, statt ihn zu unterstützen, ist nur noch genervt. Serge Othon Weil, der vielleicht der Geliebte seiner Frau ist, versteht ihn auch nicht. Sondern schwadroniert über Toyota Corolla, Renault und Nissan und den doofen Glen Vervorsch.

Und Ariel Chipman beschwert sich über Glen Vervorsch: "der langweiligste Mensch auf Erden, in diesem Punkt bin ich kategorisch, nirgendwo, ganz egal wo, existiert ein öderer Mensch als Glen Vervorsch." Der erzählt die ganze Zeit etwas über seinen in Belgien gekauften Nissan Tino. Nur Serge Othon Weil kommt an ihn heran: "eine Stunde Serge Othon Weil entspricht etwa zwanzig Minuten Glen Vervorsch, was nicht heißen soll, dass eine Stunde Glen Vervorsch drei Stunden Serge Othon Weil gleichkäme, denn eine Stunde Glen Vervorsch lässt sich mit überhaupt nichts vergleichen."

So schwatzen sie alle vor sich hin, auf einem geistlosen Niveau, das manche für tiefsinnige, aber unterhaltsame Boulevardstückphilosophie halten mögen. Natürlich kann man sich über dies und das auch seine Gedanken machen: Was sagt uns die Philosophie? Hilft sie uns? Helfen uns geistige Dinge, mit dem Leben fertigzuwerden? Aber bei genauer Lektüre muss der Leser enttäuscht feststellen, dass es nur Gerede ist. Schon einen Tag nach dem Lesen dieses kleinen, schmalen Buches merkt man, dass nichts, aber auch gar nichts hängengeblieben ist. Vielleicht noch am ehesten die letzte Passage, in der die Psychiaterin voller Aggression erzählt, dass sie einmal hinter einer alten Frau hergehen musste, die mit zwei Einkaufstüten in der Hand so hin- und herschwankte, dass sie sie nicht überholen konnte: "Wenn man auf beiden Seiten Tüten trägt, die einen noch breiter machen, dann sollte einem das peinlich sein, und man sollte die Konsequenzen daraus ziehen." Erst am Schluss ringt sie sich zu so etwas wie Mitleid und Mitgefühl durch: "früher einmal hat sie auf dem Bürgersteig gespielt, sie hat Himmel und Hölle aufgemalt, sie hat auf einem Bein hüpfend den Spielstein geschubst, sie ist von Feld zu Feld gehüpft, von Feld zu Feld ist sie gehüpft in ihrem fliegenden Rock...". Und mit diesen drei kleinen Punkten endet das Buch.

Die französische Autorin Yasmina Reza hat einmal ein wunderbares Stück geschrieben, das einem für immer im Gedächtnis bleibt: "Kunst". Es ist ein Stück über die Freundschaft und die Kunst und die, die denken, sie würden sie verstehen (die Freundschaft und die Kunst), also über uns. Seither hat sie viele Preise gewonnen, aber die Stücke und Romane sind ihr nicht mehr so recht gelungen. Auch "Im Schlitten Arthur Schopenhauers" ist eher oberflächlich geschwätzig als konversationell theatralisch, es werden Sätze hingehauen, die interessante Aspekte beinhalten, aber nichts davon berührt einen wirklich. Es ist alles ganz nett, aber nicht besonders tief. Natürlich, es geht um die Hilflosigkeit des Menschen, der nicht mehr fähig zu richtiger Kommunikation ist, es geht um die Verzweiflung des Menschen, der sich nicht mehr zu helfen weiß, es geht um die Hilflosigkeit vor dem alltäglichen Zynismus, der sogar eine Psychiaterin ergreifen kann. Das alles behauptet das Buch nur, aber er macht nichts lebendig.

Das dünne Büchel ist ein eher hilfloser Text, der sich sprachlich und inhaltlich noch sucht, auch wenn ab und zu, ganz selten, ein wenig von den intellektuell reizvollen, boulevardesk tiefsinnigen, sprachlich verspielten Qualitäten ihres ersten Stücks aufblitzen mögen. Zu selten, als dass das Buch wirklich erhellen könnte.


Titelbild

Yasmina Reza: Im Schlitten Arthur Schopenhauers.
Übersetzt aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel.
Carl Hanser Verlag, München 2006.
70 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3446207201

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