Viel Geld, aber kein neuer Roman
Siegfried Unseld zeigt in seinem Briefwechsel mit Wolfgang Koeppen Langmut
Von Tobias Wimbauer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAls er starb, hinterließ Wolfgang Koeppen (1906-1996) nur die Manuskripte imaginierter Gespenster. "Komm an meinen leeren Schreibtisch voll von meinen Träumen" schreibt er am 26. September 1994 an Siegfried Unseld.
Die schreckliche Armut, die er ein ums andere Mal seinem Verleger Siegfried Unseld (1924-2002) geschildert hatte, damit dieser einen seiner Barschecks ausstelle, war wohl auch nicht real. Der Autor hat vielmehr gewusst, wie er leben wollte: von den Weinen nur die besten und ein Dutzend Anzüge maßgefertigt vom Schneider. Seiner Frau Marion widmete er sein spätes Erinnerungsbuch "Jugend" (erschienen 1976) mit den Worten: "Was ist Wahrheit, fragt Pilatus. Die Antwort wurde bis heute nicht gefunden. Meiner lieben Marion, die alles glaubt, von dem, der lügt."
Der Briefwechsel zwischen Wolfgang Koeppen und seinem Verleger Siegfried Unseld, im März ausgeliefert, ist von seinen Herausgebern Alfred Estermann und Wolfgang Schopf behutsam kommentiert worden. Solide sind die jeweils im Anschluss an den betreffenden Brief angefügten Annotationen, alles Nötige ist hier in stimmigem Maße zu erfahren - im Übrigen die leserfreundlichste Art der Kommentarplatzierung. Gut, dass der Verlag diesen Mehraufwand für Satz und Umbruch (variierende Schriftgrade auf der Seite sehen rasch faserig aus, nicht so hier) zum Standard seiner Briefeditionen erhoben hat.
Die von Harry Natt in der "Frankfurter Rundschau" geäußerte These, wonach der Roman, den Koeppen Unseld immer versprochen habe, zwar nicht im Wortsinne, aber gewissermaßen doch mit diesem Briefwechsel vorgelegt worden sei, bestätigt sich rasch: Erschienen ist ein intimes Buch in Briefen, mit Perspektiven oder wechselnden Ich-Erzählern, aber nur einem Protagonisten - sowie mit surrealistischen Einschüben. Insofern ein fulminanter "Roman".
Die Handlung ist rasch erzählt: Koeppen ist mit seiner Nachkriegstrilogie "Tauben im Gras" (1951), "Das Treibhaus" (1953) und "Der Tod in Rom" (1954), zum vielbeachteten Nachkriegsautor avanciert. Er findet, nach Umbildungen im Hause Goverts, eine neue Verlagsheimat in Unselds Suhrkamp Verlag: Generalvertrag - viel Geld - mit den Jahren viel viel Geld, aber kein neuer Roman. Stets vertröstet Koeppen Unseld mit immer neuen Begründungen, irgendwann gar begründungslos. Und dann der Perspektivwechsel: Setzt Unseld die Brechstange an und droht die Einstellung seiner Zahlungen an, thematisiert Koeppen seine kranke Frau, lässt sie brieflich als schreibhemmende Dea ex Machina auftreten. Er schildert seitenlang und in formvollendet-spannungsvoller Erzählkunst von wüsten Auftritten seiner trunksüchtigen Gradiva im Wahn. Er entwirft ein Katastrofenszenario, das in dieser Drastik kaum erfunden werden könnte - und in einem veritablen Roman vielleicht sogar unglaubwürdig wirkte. Die überzeichnete Realität erscheint als der beste Ausweis ihrer selbst, so dass Unseld sie akzeptiert. Ob die brieflich übermittelten Szenarien auch nur ein Fünkchen Wahrheit enthalten haben, wissen wir nicht. Unselds Zweifel jedenfalls mehren sich, wie aus seinen Reiseberichten hervorgeht, aber er konfrontiert Koeppen damit nicht - und zahlt unverdrossen weiter.
Dem Verleger entgeht Koeppens Fabulierlust nicht: "Nun zeigen Sie doch der Welt, daß Sie schreiben können. Immer wieder lese ich wirklich großartige Prosa von Ihnen. Warum nicht diese lächerlichen 60 oder 100 oder 200 Seiten? Das ist doch einfach nicht einzusehen." Später antwortet er, mittlerweile zum vertrauteren Du übergegangen, auf einen der Hilferufe: "Welch ein Brief! Und: wie kannst Du schreiben! Jedes Wort steht da wie ein Kristall, durchsichtig, klar, scharf, hart und schön. Das war der Schriftsteller Wolfgang Koeppen, das ist er, und bei der Kraft könnte er es auch weiterhin sein."
Koeppen entwirft in seinen Katastrofenbriefen unzählige Romanprojekte, an denen er bereits arbeite, von denen hundert oder zweihundert Seiten schon stünden, aber vorzeigen möchte er die Manuskripte nicht - denn es gibt sie auch nicht, nur in seiner Fantasie. "Fast ist es schon das Buch" schreibt er über sein Tasso-"Manuskript", fast. Und zwei Jahre später: "Du denkst es Dir, Du ahnst es, Du weißt es, Tasso wird nicht zur Messe kommen, weder als Frühgeburt, noch als Spätgeburt, weder als Tot- noch als Hirngeburt, er ist ein Gespenst, als solches mit Überlebenschancen."
Die Bilanz: Hunderte Briefe über das Nichtschreiben, um das Nichtschreiben herum, als schrieben sich die Ideen weg und wieder her. Die Moral der Geschicht' ist gefährlich für Autoren ebenso wie für Verleger: Hat der Schriftsteller erst einen Partner gefunden, der sich auch als Mäzen versteht, braucht er gar nicht mehr schreiben - denn siehe, es geht ja auch ohne.
Koeppens Romane mögen uns recht ferngeblieben sein, zuviel Zeitkolorit enthalten - diese Briefe aber sind bewegend, beunruhigend, beinah schmerzhaft. Also unbedingt lesenswert. Nur von der tristen Resignation darf man sich nicht anstecken lassen, besser doch: die Tastatur unter die Hand nehmen und schreiben.