Brecht zum Gebrauch

Ana Kugli und Michael Opitz legen ein informatives Brecht Lexikon vor

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Irgendwie beruhigend, dass in Zeiten der Schnellstverfügbarkeit aller möglichen Informationen aus dem Internet das alte Lexikon noch seine Berechtigung behauptet. Das alphabetisch geordnete Nachschlagewerk bietet in gebundener Form als raumgreifender Mehrbänder für alle Wissensgebiete, aber auch als einbändige Kompaktinformation zu einem Spezialgebiet in altbewährter Weise seine Dienste an. Man nimmt sie gerne in Anspruch, sofern sie denn Verlässlichkeit garantieren. Eine eigentlich überflüssige Mahnung, aber es sind doch die kompakten Speziallexika, bei denen man zuweilen den Verdacht hat, eine gewisse Selbstzufriedenheit über die versammelten Spezialinformationen überlagere den objektiven Gebrauchswert dieser Bände. Will sagen: gerade der Anspruch, ein Spezialgebiet lexikalisch zu bewältigen, verengt den Blick auf über das Spezialgebiet hinausweisende Zusammenhänge - und also die Erkenntnis. Solche Lexika sind dann unter Vorbehalt zu benutzen, weil für ihren Gebrauch wiederum ein eigenes Expertenwissen vonnöten ist, mit dem man erst die gebotenen Informationen beurteilen kann.

Für das vorliegende Brecht-Lexikon, aus dem in solchen Dingen erfahrenen Metzler Verlag haben 39 "meist jüngere Literaturwissenschaftler/innen" 350 Stichwörter zu Bertolt Brecht zusammengetragen. Mit ihnen will man "Konturen seines Lebens und Werks zeichnen", wie die Herausgeber erläutern. "Das Gesamtwerk des Autors vermag es nicht zu dokumentieren, aber es stellt Theaterstücke, Gedichte und Gedichtsammlungen, die Romane, Erzählungen und Journale ebenso vor wie die Drehbücher und die theoretischen Schriften." Zudem werden "Brechts Lebensstationen, sein Familien-, Freundes- und Förderkreis, und seine Lebensgewohnheiten [...] nachgezeichnet" und seine Zusammenarbeit mit Musikern, Schauspielern und Regisseuren "aufgezeigt".

Leider fehlt ein Register, sodass man sich einen Überblick über die Stichwörter, die zwischen dem ersten - "Adorno, Theodor Wiesengrund" - und letzten - "Zweig, Arnold" - Eintrag zu finden sind, nicht verschaffen kann. Personen stellen aber einen Stichwörterschwerpunkt dar. Unklar bleibt, nach welchen Kriterien wer aufgenommen wurde. Jedenfalls sind es eine Menge Zeitgenossen, Wegbegleiter, Freunde, Kritiker, Kollegen, deren Beziehung zu Brecht eindeutig ist. Wie zum Beispiel "Fleißer, Marieluise": man erfährt, wie Brecht sich für ihr erstes Stück "Fegefeuer in Ingolstadt" einsetzt und wie er Einfluss auf das folgende Drama "Pioniere in Ingolstadt" nimmt. Hier hätte man wohl auch gern erfahren, worin genau die Einflussnahme Brechts bestanden hat und wie sie zu bewerten ist angesichts des Theaterskandals, den die Aufführung der "Pioniere" erregte, einem Skandal, "der ausschließlich mit Fleißers Namen verbunden wurde, obwohl sie sich mit dem, was aus ihrem Stück geworden war, kaum mehr identifizieren konnte."

Ein weiterer Schwerpunkt sind die Einführungen zu den Stücken und Schriften Brechts. Die durchweg kenntnisreich verfassten Artikel stellen den jeweiligen Text und seinen Entstehenszusammenhang vor, erläutern den Inhalt und wagen sich an eine Interpretation, die es erlaubt das Werk in einen literarisch-politischen Zusammenhang einzuordnen. Hier liegt eine Stärke dieses Brecht-Lexikons: "Über die Verführung von Engeln" erfährt man beispielsweise, dass das gleichnamige Gedicht 1948 entstand und zu den "sog. pornografischen Gedichten" Brechts gehört. Erstmals veröffentlicht wurde es 1982. Kurioserweise zeichnete Brecht dieses im Gestus antibürgerliche Gedicht mit dem Namen Thomas Mann. Man erfährt im Artikel, dass der tatsächliche Anlass für diese Provokation unbekannt ist, gleichwohl referiert der Artikel mögliche Erklärungen für diese pikante Fortsetzung einer alten Animosität zwischen Brecht und Thomas Mann, in dem er "den Repräsentaten einer bourgeoisen, lebensfeindlichen Ästhetik" sah. Nach derart interessanten Informationen möchte man gerne das Gedicht mal lesen - und findet es im Nu im Internet ergoogelt. Eine optimale Arbeitsteilung...

Weitere Artikel beschäftigen sich mit der zeitgenössischen Diskussion um Brecht und sein Werk. So informiert zum Beispiel der Artikel "Formalismus-Debatte" über den Vorwurf der "volksfremden Dekadenz", mit dem der Kritiker Fritz Erpenbeck die deutsche Erstaufführung von "Mutter Courage und ihre Kinder" im Deutschen Theater am 11. Januar 1949 bedachte. Die Attacke wurde vehement von Wolfgang Harich zurückgewiesen, und in der Folge entwickelte sich eine der zentralen Ästhetikdebatten in der jungen DDR. Gegen die Doktrin eines sozialistischen Realismus behaupteten die Brecht-Fürstreiter eine ästhetische Freiheit und wandten sich gegen formalistische Festlegungen. Harichs Position gegen Erpenbeck bleibt im genannten Artikel unerwähnt, aber man findet die Kontroverse an anderer Stelle, unter dem Stichwort "Kleines Organon für das Theater", ordentlich referiert.

Vervollständigt wird die Sammlung der Stichwörter von solchen, die auf lebensalltägliche Umstände Brechts hinweisen. Ist beispielsweise das Stichwort "Auto" wichtig? Es ist jedenfalls Ausdruck eines umfassenden Kenntnisstands, wenn man in diesem Artikel erfährt, welche Autos Brecht gefahren hat, welche Unfälle er baute und - ja auch, welche Werbetexte er produzierte.

Alles in allem: ein brauchbares, praktisches Lexikon.


Titelbild

Ana Kugli / Michael Opitz (Hg.): Brecht-Lexikon.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2006.
289 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-10: 3476020916

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