Der Beginn der modernen Lyrik

Ein neuer Sammelband mit Gedichten von Ezra Pound

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ezra Pound ist eine höchst umstrittene Persönlichkeit. Immer wieder angegriffen, immer wieder gefeiert, immer wieder mythisiert. Ein paar Fakten sind unstreitig. Er war einer der größten Lyriker des 20. Jahrhunderts: Seine imagistischen Gedichte sind noch heute sensibelschön und formklug, seine "Cantos" noch heute überreich an Form und Inhalt. Pound war einer der wichtigsten Anreger für die moderne Literatur: Er hat James Joyce und T. S. Eliot aufs Äußerste gefördert, er hat die Lyrik der Moderne überhaupt erst erschaffen. Und: Er hat äußerst törichte Radiosendungen gemacht, aus Italien gegen die USA gewettert, mitten im Zweiten Weltkrieg. Das haben ihm die Amis nie vergessen, ihn am Ende des Kriegs in einen Käfig gesperrt, ihm den Prozess gemacht als Hochverräter und dann für lange Jahre in ein Irrenhaus verbannt. Den Nobelpreis hat er nie bekommen, wie die meisten Großen: Bernhard oder Schmidt, beispielsweise.

Das sind nur drei Seiten eines der überragendsten Köpfe des letzten Jahrhunderts. In seinem deutschen Verlag Arche ist man leider nicht so mutig, ihm die Gesamtausgabe mit allen Materialien zu widmen, die er längst verdient hätte. Wo bleibt die große kommentierte Ausgabe der "Cantos"? Wo bleiben die Briefwechsel mit James Joyce, Margaret Anderson, H. D., George Antheil, William Carlos Williams, Marshall McLuhan (um nur ein paar wenige zu nennen)? Wo bleibt die lange fällige Neuübersetzung, die einmal den Staub von Eva Hesses Übersetzung pustet? Wo die grundlegende Biografie, wo der Bildband?

Stattdessen wird das Publikum, immerhin, mit einer Sammlung von Gedichten beglückt, die unter dem Titel "Personae" zusammengefasst wurden. Gedichte von 1908 bis 1921, von den frühen Texten über die "Ripostes" und "Lustra", "Kathai", "Sextus Propertius", bis zum epochalen "Hugh Selwyn Mauberley". Mit "Ripostes" hat Pound den ersten Anstoß zur Moderne gegeben ("Ripostes" ist ein Begriff aus der Fechtsprache: ein schneller Konter), hat die Arabesken in der lyrischen Sprache getilgt, hat den Gedichten eine größere Härte gegeben. Schluss war mit der impressionistischen Weichzeichnung, die den Markt beherrschte. 1915 schreibt er in einem Vorwort zu Gedichten von Lionel Johnson aus der Sicht der Imagisten, dass "unser Ziel die natürliche Sprache ist, die gesprochene Sprache." Man kann gar nicht unterschätzen, was das für die Entwicklung der Poesie bedeutet: Die Fakten wurden wichtig, das "luminous detail". Ein "image", schreibt Pound, ist "etwas, das einen intellektuellen und emotionalen Komplex innerhalb eines Augenblicks darstellt".

Wenige Jahre später wird Pound noch radikaler. Im "Vortizismus" fand er den "Ort maximaler Energie", den Vortex, das absolut treffende Bild, dem nichts hinzugefügt und nichts weggenommen werden kann, ohne das Gedicht zu zerstören. Das wohl berühmteste Gedicht ist: "Das Erscheinen dieser Gesichter in der Menge: / Blütenblätter auf einem nassen schwarzen Ast." (Was heute recht abgelutscht klingt, neunzig Jahre nach diesen Gedichten, nach all den Haikus und der Kahlschlagliteratur, war damals revolutionär, absolut neu und unerhört.) In "Lustra" sind diese Gedichte gesammelt. Es war auch der Anfang seiner Altertumsrezeption. Er entdeckte die chinesischen Klassiker ebenso wie die südfranzösischen Lyriker, Catull, Sappho, Martial ebenso wie Liu Ch'e oder Ch'u Yuan.

Der Sammelband schließt ab mit den Gedichten aus "Hugh Selwyn Mauberley". So revolutionär wie T. S. Eliot mit "The Waste Land" und James Joyce mit "Ulysses" tilgte Pound nach dem Ersten Weltkrieg, der gerade zu Ende war, noch einmal alle persönlichen Gefühle, jeden Ästhetizismus, alle Formspielerei. Es ist eine Weiterentwicklung des Imagismus, ein geglückter Versuch, alle Metaphern aufeinander zu beziehen und zu einer Einheit zusammenzuschließen, wie es Pound auch mit den "Cantos" später immer versucht hat.

"Hugh Selwyn Mauberley" ist Pounds Abschiedsgeschenk an London und nicht nur ein lyrischer, sondern auch ein politischer Text: Hier taucht zum ersten Mal der Begriff "usura" (Wucher) auf, der in den "Cantos", seinen späteren enzyklopädischen Gedichten, so eine wichtige Rolle spielen wird. Es ist auch eine Suche nach Heimat, die sich Odysseus zum Vorbild nimmt, eine Abrechnung mit dem Futurismus, der für Pound nur ein "angekurbelter Impressionismus" ist, und nicht zuletzt eine Abrechnung mit der Moderne, die dem Profit Millionen von Menschen opfert: "Manche starben, 'pro patria', / nicht 'dulce', nicht 'et decor' [...] / schritten bis an die Augen hinan in der Hölle, / glaubten die Lügen der Greise, kehrten dann heim / ohne Glauben, heim zu der Lüge, / heim zu vielfachem Trug, / zu alten Lügen, neuer Niedertracht; / Wucher steinalt und versteint / und Lügner von Amts wegen."

In einer Fülle von Anspielungen beschreibt Pound das viktorianische England der Dichter und Ästheten und der Manipulatoren der öffentlichen Meinung, erzählt vom Rückzug aufs Land und gibt sein Scheitern zu, fast schon am Anfang, in der "Ode pour l'élection de son sépulchre": "Drei Jahre lang, im Misston mit der Zeit, / Versuchte er die tote Kunst der Dichtung / zu wecken; das 'Erhabene' zu erhalten, / Wie man es einst verstand. Von Anbeginn verfehlt -"

In einem hübsch gemachten (und glücklicherweise zweisprachigen) Band kann man jetzt wieder den Beginn der modernen Lyrik, die Ezra Pound fast allein angestoßen hat, nachverfolgen. Man kann sich in Sprachgebilde vertiefen, die bis heute nichts von ihrer Anziehungskraft, von ihrer menschlichen und sprachlichen Wucht und Schönheit eingebüßt haben, die von einem Lyriker auf der Suche künden. Es ist auch so etwas wie eine Einführung in und eine Annäherung an seine "Cantos", die von einer anspielungsreichen Fülle sind, die er zuvor erst ankündigt und anreißt, um sie später voll auszuspielen.

Ein schöner Band, wenn auch, wie gesagt, die Übersetzungen schon arg verstaubt und das Nachwort von Eva Hesse ziemlich redundant sind.


Titelbild

Ezra Pound: Personae. Sämtliche Gedichte 1908-1921.
Übersetzt aus dem Englischen von Eva Hesse.
Arche Verlag, Hamburg 2006.
448 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-10: 3716025100

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