Die Kunst zu leben

Bemerkungen zum 50. Todestag Bertolt Brechts

Von Jan KnopfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Knopf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich will nichts lieber als etwas anders", notierte Brecht 1925 und umschrieb damit sein Programm, dass alles Änderung brauche. Ausgerechnet dieser Dichter wurde im Osten Deutschlands mit dem Stigma des finsteren und humorlosen Marxismus versehen und war im Westen verrufen als Kommunist, Hofsänger Pankows oder gar als Befürworter von Standgerichten, wenn es die Parteidisziplin angeblich verlangte.

Über Weltanschauungen, Meinungen und feste Überzeugungen machte sich Brecht ein Leben lang lustig. Über Weltbilder urteilte er, sie seien viel zu mickrig, um die Realität zu erfassen. Von seinen Anschauungen sagte er, er vergesse sie immer wieder, könnte sich aber nicht entschließen, sie auswendig zu lernen. Über Ethik (und dann auch vielleicht noch 'marxistische') lachte er ausdauernd und schallend, weil mit moralischen Grundsätzen immer nur die prahlten, die gewillt waren, sich nicht daran zu halten. Von der Bourgeoisie meinte er, sie verachte das Geld, tue aber nichts anderes, als es zu scheffeln. Und im Zweifelsfall forderte er sogar Zensur: "Zu der Literatur gehört der Blaustift. In den Liebesgeschichten muß ausgemerzt werden, was die Geschlechtlichkeit herabsetzt und zur Enthaltsamkeit aufreizt. Besonders, da man damit rechnen muß, daß die Bücher in die Hände unserer Jugend fallen könnten."

Dagegen lobte Brecht die Vergänglichkeit; sie gehöre sowohl zum Leben als auch zur Kunst und ihrer Schönheit; seine Begründung: sie erhöhe den Genuss. Für sein Theater forderte er den Spaß, denn ein Theater, in dem man nicht lachen könnte, sei ein Theater, über das man lachen sollte. Die Prinzipien seines Theaters erläuterte er an einer Straßenszene, weil es natürliches episches Theater sei, wenn der Augenzeuge eines Unfalls der Menschenansammlung erläutert, wie er zustande kam: Leben und Kunst sind gar nicht so weit auseinander, denn alle Künste trügen bei zur größten aller Künste, der Lebenskunst.

Die Kunst zu leben und dabei noch - in kurzer Lebenszeit - ein gewaltiges, universelles Werk zu verfassen, wie ging das in "finsteren Zeiten"? Allein in Deutschland musste Brecht fünf verschiedene und ihm durchaus nicht wohlgesinnte Staatsformen ertragen. In 15 Jahren wurde er einmal um die Welt gejagt: Dänemark, Schweden, Finnland, die USA und die Schweiz waren seine Zwangsstationen in der Verbannung. Und in der DDR? Auch da handelte es sich - spätestens nach dem 17. Juni - auch mehr um ein Exil als um ein angebliches sozialistisches Vaterland.

Diesem Mann hat man eine Herzneurose, die angeblich Schlüssel zu Leben und Werk sei, angedichtet und ihn einem Kälteschock ausgesetzt, der wie jene den armen B. B. zum psychischen Krüppel, zum ewigen Säugling, um den sich alles drehen müsse, zum infantilen Lüstling und zum Trompeter von Dualismen aufgrund mangelnder Mutterfürsorge verkommen ließ.

Dabei hatte schon der 15-Jährige ein klares Lebensprogramm, das hieß: Dichter zu werden und dem kleinbürgerlichen Alltag, dem er in seiner Kindheit und Jugend standhalten musste, zu entfliehen. "Ich muß immer dichten" heißt es im Tagebuch von 1913. Er setzte gegen das Elternhaus, das wahrlich nicht durch Literatur glänzte, durch, dass er sich, statt ein ordentliches Studium aufzunehmen, erst in der Münchner und dann Berliner Theater- und Literaturszene herumtreiben durfte. 1922 musste er wegen Unterernährung in die Charité; dort wurde auch noch ein Nierenleiden festgestellt: In den schweren Nachkriegsjahren gab es Alkohol billiger als ordentliche Nahrung. Mit 26 Jahren hatte er drei Kinder mit drei Frauen, aber immer noch kein ordentliches Einkommen - trotz des Kleist-Preises, trotz gelegentlicher Anstellungen als Dramaturg oder Regisseur. Und dann erwies er sich noch als pfiffiger Geschäftsmann, der die kapitalistischen Marktgesetze kannte und sich als Marke an die Verlage verkaufte zu einem Preis, den er bestimmte. Mit aller Hartnäckigkeit setzte er seine Lehrstücke als avantgardistisches Musiktheater durch und zertrümmerte erfolgreich mit zwei Stücken mit Musik die traditionelle Oper. Mit 30 Jahren war er ein Weltstar - und dann kamen die Nazis.

Der Einbruch konnte nicht schlimmer sein. Und dennoch verlor Brecht nie seinen Humor - im Gegenteil: Vertrieben ins Exil stellte er fest, dass Leute wie er das große Bild Deutschlands nur störten und die freundlichen Angebote, in gesonderten Lagern (= KZs) vor den Überfällen des Mobs 'beschützt' zu werden, ablehnte. Selbst ohne Pass konstatierte er: "Der Paß ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch". Und auch nach dem 17. Juni, als er beobachten musste, wie die Kulturbürokratie die Künstler und Künstlerinnen reihenweise 'verschrottete', wie Brecht formulierte, und die Aussprache mit den Massen verweigerte, schlug er sarkastisch-witzig vor, dass es doch einfacher sei, wenn die völlig korrupte Regierung das Volk auflöste und ein neues wählte.

Es ist an der Zeit, ohne ideologische und pseudo-psychologisierende Brillen den Brecht zu zeigen, der sich gerade wegen der widrigen Verhältnisse, denen er ein Leben lang ausgesetzt war, als kritischer Realist verhalten musste, um durchzukommen, erfolgreich zu sein und den Lebensmut nicht zu verlieren.

Anmerkung der Redaktion: Jan Knopf ist Leiter der "Arbeitsstelle Bertolt Brecht" (ABB) am Institut für Literaturwissenschaft der Universität Karlsruhe und Mitherausgeber der Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe der Werke Brechts in 33 Teilbänden. In der Reihe "Suhrkamp BasisBiographien" ist soeben sein Buch "Bertolt Brecht" erschienen.


Titelbild

Jan Knopf: Bertolt Brecht.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
160 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-10: 3518182161

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