Von Opfern und Tätern

Kurt Pätzolds "Der Führer ging, die Kopflanger blieben"

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass es im Zusammenhang mit der Fußball-WM zu einem derartigen Aufgebot an deutschen Fahnen kommen sollte, das konnte vorher keiner ahnen. Dass dann jedoch Auseinandersetzungen mit der für die Fahne stehenden weil Assoziationen auslösenden deutschen Geschichte folgen sollten, hätte selbst ein blinder Taubstummer vorhersagen können. Und tatsächlich: Die deutschen Fahnen, mit denen die Fans nichts anderes als ihre Begeisterung zum Ausdruck brachten, wurden allerorts begeistert und dankbar umgedeutet, etwa in einen, wie die Bundeskanzlerin sagte, "unverkrampften Patriotismus".

Das Problem der Deutschen mit ihrer (fehlenden?) Identität, das hier zu Tage tritt, ist auch Thema von Kurt Pätzolds Buch "Der Führer ging, die Kopflanger blieben". Ausgangspunkt seines wie der Untertitel besagt "historischen Finales und aktuellen Kontroversen" ist der 8. Mai 1945 und der 60. Jahrestag des Kriegsendes im Jahre 2005. Im ersten Teil des Buches, dem historischen Finale, beschreibt Pätzold das Jahr 1945 bis zum Tag der deutschen Kapitulation. Die fast fanatische Vehemenz der deutschen Heeresleitung, den Krieg bis "fünf nach zwölf", wie Hitler sagte, zu führen, fehlt dabei ebenso wenig wie die damit verbundenen Bombenangriffe auf deutsche Städte. Pätzold zeigt auf, was zwar offenbar, aber doch nicht von allen Deutschen geteilt wird: dass die Luftangriffe gegen Kriegsende nicht der Mordlust der Alliierten, sondern der mangelnden Einsicht Hitlers und seiner Generäle geschuldet sind.

Im zweiten Teil finden sich dann bereits veröffentlichte Artikel beziehungsweise gehaltene Vorträge Pätzolds, die den 8. Mai 1945 mit dem im Jahre 2005 konterkarieren. Der Autor stellt sich vor allem rechtsgerichteten Positionen wie etwa der der NPD entgegen oder setzt sich mit der verharmlosenden Darstellung Hitlers in Bernd Eichingers Film "Der Untergang" auseinander. Immer wieder findet sich die Frage, ob auch die Deutschen Opfer waren und sich heute als solche fühlen dürften, ob also der 8. Mai 1945 überhaupt Befreiung genannt werden dürfe, wenn doch die Deutschen massenhaft dazu beigetragen hatten, einen Angriffskrieg dieser Größenordnung zu führen.

Mit nicht immer leicht durchschaubarer und zuweilen sogar umständlicher Syntax und Rhetorik weist Pätzold nach, was, so wiederholt er oft, eigentlich keiner Wiederholung bedarf, weil es schon erwähnt oder von sich aus klar ist: Das kränkelnde Volkstum der Deutschen habe zum Effekt, dass immer wieder Geschichtsdeutung stattfinde, die nicht auf Geschichtsschreibung, den Fakten also, aufbaue, sondern umdeute, was zur Verbreitung der deutschen Opferhaltung dienlich sei. Doch nicht nur, dass die Deutschen immer noch für sich beanspruchen, Opfer zu sein, es findet sich auch nach wie vor nicht der Begriff "Täter" in ihrer Geschichtsschreibung. Pätzold nennt hier etwa Jörg Friedrichs 2002 erschienenes Buch "Der Brand", in dem der Autor den Alliierten vorwirft, den Krieg nicht ohne Luftangriffe beendet zu haben - zum Preis Hunderttausender Soldatenleben ihrer Landheere - und so die Rollenverteilung verdreht: Aus den Alliierten werden plötzlich die barbarischen Täter und aus den Deutschen die Opfer.

Dass ein sportliches Ereignis und dessen Artefakte vom Problem deutscher Identität korrumpiert werden, passt ins Bild. Und die Frage stellt sich, wann die Deutschen es endlich für angebracht halten, Verantwortung zu übernehmen. Denn das müssen sie.


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Kurt Pätzold: Der Führer ging, die Kopflanger blieben. Ein historisches Finale und aktuelle Kontroversen.
PapyRossa Verlag, Köln 2005.
142 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3894383313

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