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Jung, verliebt und arbeitslos: "Die Titanic und Herr Berg" von Kirsten Fuchs

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die Titanic und Herr Berg" ist ein Frauenroman. Ein guter Frauenroman: sexy, zynisch und extrem amüsant, ohne in den Plappertonfall der Modezeitschriften-Editorials abzurutschen. Der Roman handelt von Tanja, einer jungen, sehr jungen, nahezu obszön jungen Frau in Berlin, die wochenlang antriebslos in ihrer Wohnung herumsitzt. Tanja gießt die Zimmerpflanzen. Tanja baut Schneemänner. Tanja kauft billige Klamotten und beschriftet sie mit doofen Slogans und verkauft sie auf dem Trödelmarkt teuer weiter. Ihre Vorgeschichte ist ein wenig neblig, ihre Bettgeschichten sind ein wenig zusammenhanglos. Sonderlich liebenswert ist Tanja nicht. Aber sie ist eine clevere Erzählerin. Clever genug, zu begreifen, wie abgestanden sich ihr Leben liest: Tanja ist eine Karen-Duve-Figur, die in einem öden Judith-Hermann-Szenario gestrandet ist. "Ich setze mich auf den runden Platz vor die Synagoge", erzählt sie. "Um nichts in der Mitte des Platzes sind Bänke gestellt. Auf den anderen Bänken sitzen andere Menschen, weil es mich nur einmal gibt." Ist das nicht super?

"Die Titanic und Herr Berg" ist aber auch ein Altherrenroman. Ein guter Altherrenroman: trocken, sardonisch und ein wenig versaut, ohne zum schwülstigen "Der Tod und das Mädchen"-Softporno abzuschmieren. Er handelt von Peter, einem sprödem, trockenem, ja, völlig eingetrocknetem Sozialbeamtem, der seinen Job - und den ganzen Menschenmüll, dem er dort begegnet - kaum noch erträgt. Peter ist kein netter Kerl. Er ist geschieden. Seine Kinder sind hässlich und dumm. Sie mögen ihn nicht. Doch Peter weiß selbst, wie farcenhaft sein Leben ist: Er ist eine Max-Goldt-Figur, gefangen in einem banalen Lester-Burnham-Szenario. "Wenn ich an Frauen denke, die mir tagsüber begegnet sind, so mittelgescheitelte Frauen mit Augen wie Schraubenzieher, die mich reparieren wollen - hier was festziehen, dort was lockern -, dann will mein Schwanz nicht so, wie ich wohl will", lamentiert er augenzwinkernd. "Die Frauen sagen: 'Warum bist du so und nicht anders oder ganz anders oder ganz ganz anders?' Und wenn ich an dumme Frauen denke, sagen die noch dümmere Sachen. Esoterische Scheiße, und was Schlimmeres gibt's ja wohl kaum. Dann wird mein Schwanz so schlaff wie der Rest an mir." Ist das nicht toll?

"Die Titanic und Herr Berg" ist vor allem ein Liebesroman. Ein guter Liebesroman: Traurig und eigenwillig und schlüpfrig und komisch, ohne dabei die Bodenhaftung zu verlieren. Die Debütantin Kirsten Fuchs (taz-Kolumnistin, Lesebühnenveteranin, offensiv keckes "Hallo, hier bin ich!"-Autorenfoto) erzählt die Geschichte einer Affäre. Dabei springt sie zwischen den Stimmen Peters und Tanjas hin und her, zwei Knallköpfen, die außer ihrer Affinität für Kalauer und Oralsex nicht viel gemein haben. Peter ist Tanjas Sachbearbeiter im Sozialamt und sehr gelangweilt. Tanja ist orientierungslos, ziemlich feucht und sehr verliebt. Und Kirsten Fuchs ist eine begnadete Erzählerin. Sie haut rein, multiperspektivisch und ohne die bigotte "Uiuiui: Ich habe gerade das Wort 'Schwanz' getippt!"-Koketterie, mit der sich andere Generation Golf-Tippsen beständig ihrer Naughtiness versichern müssen. Gefühlte zwei Drittel der Handlung spielen sich in und um Tanjas Intimflora ab: "Ich ziehe Tanjas Naturparadies auf mein Gesicht, mit den Händen kann ich nicht mehr gärtnern. Mit dem Mund geht's noch. Die Geräusche, die Tanja von oben jammert, kenne ich aus dem Amt. Ich muss Ihr Geld kürzen. Ohhh. Sie bekommen keinen Kleiderzuschuss. Uhhhhh. Sie müssen nächste Woche nochmal vorbeikommen und eine Bestätigung des Arztes vorlegen. Ohhh. Ich habe bald den Eindruck, gar kein Gesicht mehr zu haben, nur ein Mädchen am Kopf und zwei Beine an den Wangen." Ist das nicht geil?

Kirsten Fuchs begleitet zwei todtraurige Gestalten durch einen langen, grauen Berliner Winter - und ist dabei einer der buntesten, klügsten und unverschämtesten Auswürfe junger Literatur seit Jahren. Der Roman liest sich, als sei er akribisch konstruiert, dann aber auf unzähligen Kneipenlesungen gnadenlos auf Pointe getrimmt worden. Da stimmt einfach alles: zwei Misanthropen mit kantigen Erzählstimmen, grimmig desinteressiert an ihrer eigenen Sozialmisere und hoffnungslos verstrickt in eine schöne, aber niemals kitschige Romanze. Chapeau! Bevor nicht Max Goldt und Karen Duve ein Rudel kluger und latent bekloppter Kinder in die Welt setzen und sie auf eine Schreibschule verfrachten, wird Kirsten Fuchs unübertrefflich bleiben. "Ich bin verrückt nach Peter", sagt Tanja, "aber davor war ich es auch schon." Ist das nicht traurig?

All das könnte als Retortenprosa abgetan werden, als Epigonentum. Aber wer Fuchs vorwirft, sie hätte keine eigene Stimme, übersieht, wie souverän sie hier gleich zwei sehr unterschiedliche Stimmen - und weltanschauliche Privatmythologien - meistert. Dies ist kein 'Dies ist kein Liebeslied'-Aufguss, bei dem zwischendurch auch mal der Mann was sagen darf. Sondern die gnadenlose Vivisektion einer Beziehung: Tanja und Peter (der mit Nachnamen "Berg" heißt, deshalb die ganze Eisberg-Metaphorik) sind nicht nur gleichberechtigte Erzähler, sie leben auch in völlig autonomen, zum Teil schmerzhaft auseinanderklaffenden, narrativen Räumen.

Für das Gelingen des Romans ist dieser Kunstgriff wesentlich. Denn normalerweise kontaminiert eine Hauptfigur ihren love interest, operiert aus einer Welt heraus, die auf sie zugeschnitten ist. Sprich: Bridget Jones trifft nur Bridget-Jones-Männer. Hemingway-Helden schlagen sich ausschließlich mit Hemingway-Frauen herum. Und eine Figur aus der "Lindenstraße", egal wie exotisch, ist ihren Co-Figuren zwangsläufig tausendmal ähnlicher als einer identisch angelegten Figur aus einem anderen Erzählkosmos. Peter und Tanja dagegen sind buchstäblich im falschen Film - und illustrieren damit die Dynamik (und Tragik!) des Begehrens deutlicher, als es auch der diffizilste "Jeder Mensch ist eine Insel!"-Roman könnte. Tanja, im Alleingang: "Ab jetzt wird alles anders. Peter und ich sind verwachsen und untrennbar. Wir sind allein. Ich bin zu zweit." Peter kriegt davon nichts mit. Und denkt sich derweil sonstwas. Ist das nicht verstörend?

"Die Titanic und Herr Berg" ist kein Buch für alle. Denn Fuchs erzählt sehr barock, sehr selbstverliebt, Fuchs ist einfach wahnsinnig anstrengend. Weil so wenig in diesem Roman einfach für sich steht, alles immerzu auseinanderklamüsert werden muss. Nicht nur auf der Handlungsebene ("Sagt er die Wahrheit? Sieht sie das genauso? Wer macht hier wem was vor?"), sondern auch stilistisch: Fuchsens Erotik changiert zwischen wirkungsvollen, extrem drastischen Momenten und völlig überflüssigem, latent misogynem Getropfe. Die Kalauer sind alle irgendwie daneben (also genau so, wie gute Kalauer sein müssen!), aber stellenweise arg, arg anstrengend und aufgesetzt. Und dann werden - das haben schon die Olsen-Twins und die blöden Ziegen aus Elke Naters "Königinnen" bewiesen - ätzende Figuren halt leider nicht sympathisch, einfach nur, weil sie im Doppelpack auftreten.

Kirsten Fuchs hat ihrem Prosa-Eisbecher so viele Sahnehäubchen und Deko-Glitzerpalmen und bewusst ironisch platzierte Cocktailkirschen aufgepfropft, dass man nach dem Wesentlichen ein wenig graben muss. Darum der Appell: Verleiht dieser Frau bitte sämtliche Publikumspreise, die sich finden lassen! Vielleicht kann sie dann einen Gang runterschalten. Statt Seite für Seite lärmend zu fragen: "Ist das nicht super/toll/geil/traurig/verstörend?" Das ist es, Kirsten, ja. Das ist es. Aber Zurückhaltung ist auch nicht schlecht.


Titelbild

Kirsten Fuchs: Die Titanic und Herr Berg. Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2005.
286 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3871345318

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