Ich bin ein Android

Doron Rabonovici versetzt in seinem Roman „Die Außerirdischen“ die Welt gehörig in Panik

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Zeiten von Fake News und Social Media braucht es wenig, damit eine Kurzmeldung rasend die Welt umrundet. Erst recht, wenn diese Meldung nichts weniger als die Landung von Außerirdischen verkündet. Die murmelnden und zwitschernden Medienkanäle sorgen dafür, dass keine Sekunde bleibt, um die Nachricht auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu überprüfen. Sie selbst ist das Faktum. Deshalb fällt vorerst nicht weiter ins Gewicht, dass sich die Außerirdischen gar nicht zeigen. Ist alles wahr – oder bloß ein kosmischer Bluff à la Orson Welles? Diese Frage streift nur ein paar unverdrossene Skeptiker wie den Gourmetkritiker Sol, den Ich-Erzähler in Doron Rabinovicis Roman Die Außerirdischen.

Auf die kurze Euphorie über die Ankunft der Außerirdischen folgt sogleich eine kollektive Panik, weil global alle Energiesysteme zusammenbrechen. Angst und Chaos greifen um sich. Erst als die Stromzufuhr wieder funktioniert, und sich herausstellt, dass alles menschliche Ursachen hatte, kehrt Ruhe ein. Ja, bald schon weicht dem Gefühl der Angst ein Stolz, weil die Außerirdischen ausgerechnet die Erde besuchen und sich den Menschen gegenüber freundlich zeigen. Es locken sogar neue exorbitante Geschäftsfelder.

Rabinovici schließt mit seinem Roman ans Science-Fiction-Genre an: Außerirdische besuchen die Welt, ohne sich zu erkennen zu geben. In der anfänglichen Panik wird deshalb ein Feuerwehrmann in seiner Schutzkleidung gelyncht, weil er für ein Alien gehalten wird. Wie sehen sie denn wirklich aus, die Außerirdischen? Könnte es nicht sein, dass sie  längst unter uns weilen und sich perfekt anzupassen wissen?

Mit Anleihen und Zitaten aus Literatur und Film spinnt der Roman ein dichtes Motivnetz. Rabinovici erinnert an die Bodysnatcher-Filme und die Cyberpunk-Literatur. Hinzu kommen dystopische Verweise und nicht zuletzt auch ein kritischer Blick auf die schöne neue Medienwelt. Im Unterschied zur klassischen Science-Fiction bleibt er allerdings zurückhaltend, er belässt es bei Andeutungen – zumindest bis zu dem Punkt, wo die Dinge eskalieren.

Der verzweifelte Ausruf eines irritierten Zeitgenossen. „Wo sind da Außerirdische? Ich sehe nur Menschen“ hallt durch den ganzen Roman. Doron Rabinovici greift die Irritation auf und umgibt die utopisch anmutende Geschichte mit einer Reihe von Fragen, die unsere Gegenwart beleuchten. Im Zentrum steht eine Gameshow, die nach dem „X-Faktor“-Muster junge Menschen sucht, die für eine ungeheure Siegprämie gegeneinander antreten. Wichtiger ist jedoch deren Kehrseite: „Wer verliert, wird geschlachtet“ und von den Außerirdischen aufgefressen. Denn nichts mögen sie angeblich lieber, als Menschen, genauer die klugen Gehirne von Menschen, die sich freiwillig geopfert haben. Die Hinterbliebenen werden reichlich entschädigt. Zynismus will darin niemand erkennen, eher einen heroische Selbstaufopferung für die Allgemeinheit. Die freiwilligen Kandidaten stehen Schlange.

Der Ich-Erzähler Sol und seine Kollegen vom Online-Gourmet-Magazin smack.com nutzen die Gunst der Stunde und gründen die Talk-Sendung Brandheiß, die schnell Popularität erlangt. Sie kreist diskursiv um das zentrale Thema der an- oder abwesenden Außerirdischen. Diese scharfen Dispute dokumentiert der Autor, um den Zynismus der globalen Medienmaschinerie auszumessen und um argumentativ das zentrale Dilemma herauszuarbeiten: Was heißt Freiheit und wo endet der freie Wille der Teilnehmer am globalen TV-Spiel? „Wir schmecken ihnen besonders gut, weil wir die Wahl haben. Unsere Freiwilligkeit ist ihr Kick“, argumentiert eine Astrophysikerin. Darin steckt eine Auszeichnung des Menschen, denn das „unterscheidet mich von einem Schwein“. Wo aber endet diese Freiheit und wann unterliegt sie Erwartungen, Sachzwängen, schließlich der nackten Gewalt?

In solchen Momenten erinnert Rabinovicis Roman an Friedrich Dürrenmatt, der im Besuch der alten Dame ähnliche Fragen über Geld und Menschlichkeit aufwirft. Claire Zachanassian verspricht den Güllenern eine Million, wenn sie ihren Ex-Geliebten töten, oder wenn sich dieser für die Gemeinschaft und das Geld selbst opfert. Und wie die Güllener, die schon einmal kräftig einkaufen, beginnen auch die Menschen bei Rabinovici fleißig mit den exorbitanten Dividenden der freiwilligen Opfer zu handeln.

Zunehmend skeptisch verfolgt Sol diese Auseinandersetzung, zu der er mit der Sendung Brandheiß selbst beiträgt. Ihn würde interessieren, wer eigentlich hinter dem zynischen System der Auslese steckt: tatsächlich die unsichtbaren Außerirdischen – oder andere Mächte? Solche Fragen machen ihn verdächtig und so wird er wie alle Spielverderber auf eine tropische Insel verfrachtet, auf der Zwangsarbeit herrscht und das Schlachthaus die Endstation ist.

Sol, der Protagonist, erzählt chronologisch, wie sich die Welt unter der tatsächlichen oder nur gerüchteweise kolportierten Ankunft der Außerirdischen immer rasanter verändert. Seine Ich-Erzählung signalisiert, dass zumindest er überleben wird. Darin besteht seine Aufgabe, als er zuletzt von der Insel entkommen kann. „Es genügt, zu bezeugen, was geschah“, redet er sich am Ende versöhnlich zu.

Die Außerirdischen ist eine düstere Gesellschaftsparabel, die, ausgelöst durch einen extraterrestrischen Besuch, ein Bündel von Fragen zu Freiheit und Verantwortung, Mitläufertum und Kritik, Empathie und Solidarität stellt. Indem der Roman immer rasanter auf die totalitäre Szenerie des Arbeitslagers auf der Insel hin fokussiert, die Ähnlichkeit mit den nazistischen Konzentrationslagern zeigt, mag er seinerseits Skepsis wecken. Andererseits demonstriert diese Eskalation, wohin menschliche Gier und Machtanmaßung mit oder ohne Außerirdische führen. In der Science-Fiction-Literatur, beispielsweise bei Philip K. Dick, fragt das Alien- und Androiden-Motiv danach, wie sich fremd gesteuerte Klone von wirklichen Menschen unterscheiden lassen. Rabinovici verbindet dieses Motiv mit jenem des „Ich ist ein anderer“. Die Tatsache, dass die Präsenz von Außerirdischen zunehmend zweifelhaft ist, zurrt die Differenz von Mensch und Android auf die Frage zusammen: Was unterscheidet den Menschen von sich selbst? Der Mensch selbst ist sein Android. Auf diesen neuralgischen Punkt spitzt Rabinovici seinen Roman höchst lesenswert und anregend zu.

Titelbild

Doron Rabinovici: Die Außerirdischen. Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
256 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783518427613

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