Leben in der Pandemie

Lola Randl beschreibt in „Die Krone der Schöpfung“ den Corona-Alltag in der Provinz

Von Miriam SeidlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Miriam Seidler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Frau, ein Mann, zwei Kinder, ein Liebhaber. Alle leben auf dem Land und werden hier mit dem Beginn der Corona-Krise konfrontiert. Wobei – das stimmt nicht ganz. Die Frau und Ich-Erzählerin ist Drehbuchautorin und hat kurz nach Ausbruch der Pandemie an einem Filmfestival teilgenommen. Die Idylle ist gestört und die Unsicherheit groß. Hat sie sich angesteckt? Welche Bedeutung hat das Kratzen im Hals und ihre plötzliche Lust auf Fleisch, nachdem sie sich seit 10 Monaten vegetarisch ernährt? 

Lola Randl schließt mit ihrem zweiten Roman Die Krone der Schöpfung an ihr Debut Der Große Garten von 2019 an. Auch dieser Roman ist autofiktional und bietet die in der Gegenwartsliteratur beliebte Mixtur von Essay, Autobiographie und Prosa. War der Erstling mit seinem Sujet der Ankunft der Stadtflüchtlinge auf einem Dorf in der Uckermark und der Konfrontation mit der Realität des Dorflebens unterhaltsam, so enthält der neue Roman sehr viele aus dem Corona-Alltag bekannte Erfahrungen. Alles dreht sich nun um die Frage, wie die Bedrohung durch einen Virus den Alltag verändert. Gelingt es der Autorin, der gelebten Langeweile des Lockdowns einen Spannungsbogen abzugewinnen? Gibt es besondere Ereignisse, die das Leben in einer dörflichen Gemeinschaft während eines verordneten Stillstands prägen – vor allem, wenn die Städter noch nicht lange zur Gemeinschaft gehören? Ist das Misstrauen den Zugezogenen gegenüber qualitativ von dem Argwohn unterscheidbar, der scheinbar Infizierte trifft? Gibt es vielleicht sogar gewalttätige Konflikte wie sie Klaus-Peter Wolf 2010 in seinem Vogelgrippe-Krimi Todesbrut für die Urlaubsinsel Borkum erzählt? 

Nur wenig von alledem ist im Roman zu finden: Die Erzählerin dokumentiert ihren Alltag und – wie es auf dem Dorf unvermeidlich ist – meist auch den ihrer Nachbarn. Von Problemen beim Homeschooling über eine Paartherapie mit dem Liebhaber bis zu schrägen Blicken beim Einkauf ist alles dabei, aber weniges interessant. Auch der Versuch, erzählend das eigene Leben in den Griff zu bekommen, überzeugt nicht wirklich. Dass die Erzählerin scheitert, ist mehr als offensichtlich. Das Haus, das sie mit ihrem Mann renoviert, verfügt aktuell über keine Fußböden, den Estrich können sie sich nicht leisten, weil ein Auftrag weggebrochen ist. Nicht nur symbolisch fehlt also der Boden unter den Füßen. In der Ehe ist vieles unausgesprochen, was aber niemanden zu stören scheint. Der ganz reale Irrsinn in Zeiten von Corona oder kann der Text mehr? Randl bemüht sich – wie das Beispiel mit dem fehlenden Fußboden zeigt –, ihrem Roman einen doppelten Boden zu verleihen. Dies geschieht unter anderen durch verschiedene Erzählebenen, die in die Rahmenhandlung um die Drehbuchautorin eingeflochten sind. 

Unabhängig von der Pandemie beginnt der Roman mit einem Scheitern. Nachdem ein großes Projekt, an dem die Erzählerin bereits eine Zeit lang gearbeitet hat, unvermutet und ohne Honorarzahlung abgesagt wird, kann sie auf dem Filmfestival einen Auftrag für eine Zombiegeschichte einwerben. Die Entwicklung der Geschichte, die im Titel Honka, Bar des Vergessens auf einen Hamburger Serienmörder anspielt, ist in die Erzählung eingeflochten. Die Untoten, die an einem unbekannten Erreger starben und nun auf der Suche nach Gehirnmasse alle noch lebenden Figuren angreifen, sind eine unverhohlene Allegorie auf die Pandemie. 

Hiermit reiht sich die Drehbuchautorin Randl in eine in erster Linie kinematographische Narration ein, gibt es doch eine lange Tradition, die Gefahr durch (unbekannte) Krankheitserreger filmisch mittels Zombies darzustellen. Einen Überblick gibt Elisabeth Bronfen in ihrem jüngst veröffentlichten Essay Angesteckt. Zeitgemässes über Pandemie und Kultur. Anhand verschiedener Vampir- und Zombiefilme entwickelt die Amerikanistin die These, dass die Viruserkrankung metaphorisch als Invasion von Untoten dargestellt werden kann. Das in Randls Roman entwickelte Narrativ folgt den von Bronfen dargestellten Plots. Der Erkenntnisgewinn des Zombiestrangs liegt allerdings eher in der Vertiefung der existentiellen Sorgen der Familie, die auf die Honorare angewiesen ist, denn auf der Versinnbildlichung der Gefahr, die vom Virus ausgeht. Zwar versucht Randl, die Motive des Zombiefilms auch auf die Realität der Erzählerin zu übertragen – ihre Lust auf Fleisch und das unbedingte Bedürfnis, den Nachbarn zu küssen, wohl wissend, dass sie ihn damit auch anstecken kann. Diese Verhaltensauffälligkeiten scheinen aber eher eine Reaktion auf die psychische Belastung durch die Corona-Krise denn Ausdruck einer realen Erkrankung zu sein. 

Dass die Corona-Krise den Alltag nicht nur in der Provinz durcheinander bringen kann, wird an weiteren kurzen Erzählsträngen gezeigt. Zwei mehr oder weniger fiktionale Figuren tauchen immer wieder in kurzen Handlungssequenzen auf. Neben einem Präsidenten, der unschwer als Donald Trump zu entschlüsseln ist, rückt die Erzählerin auch die Moderatorin einer Talkshow in den Fokus. Der Leser hat unweigerlich Anne Will vor Augen. Daneben sind in den Text sowohl Recherchen zum Virus als auch zu Elementen der Zombieerzählung eingestreut. Inhaltlich bieten diese meist wenig mehr Information als die entsprechenden Wikipedia-Einträge. Lediglich ab und an ist eine persönliche Färbung oder ein abschließender Kommentar der Erzählerin erkennbar. Damit führt Randl dem Leser vor allem dessen eigenes Bedürfnis nach zuverlässigen Informationen zu Beginn der Pandemie vor Augen, als dass sie den Text mit Wissen anreichert. 

Der Titel des Romans Die Krone der Schöpfung legt nahe, dass thematisch in irgendeiner Weise der Mensch und seine kognitive Überlegenheit im Zentrum des Romans stehen. Allerdings zeigt bereits der in der Pandemie aufgerufene Heldenbegriff, der nun Pflegekräften oder den Kassiererinnen an der Supermarktkasse gilt, dass hier nur bedingt von einer Überlegenheit der Spezies Mensch gesprochen werden kann. Nicht nur ist in der Pandemie der Plot einer Heldengeschichte mit einer Bewährung in der Fremde nur schwer umsetzbar, zugleich stellt das Virus auch die Verfügung über das eigene Leben in Frage. Auch der Mensch ist seiner Körperlichkeit ausgeliefert. 

Trotz der vielen ineinander verwobenen Handlungsteile liest sich der Text flüssig und es entstehen keine inhaltlichen Brüche. Die kurzen Kapitel versuchen, die Pandemie enzyklopädisch zu erkunden, wie das angehängte Register deutlich macht. Allerdings stellt sich im Lauf der Lektüre die Frage, welche Absicht die Autorin mit ihrer Erzählung letztendlich verfolgt. 

Bitte keine Corona-Literaturschnellschüsse, hat der Literaturkritiker Gerrit Bartels schon im Mai im Tagesspiegel gefordert. Der Krise nicht nur als gesellschaftlichen Einschnitt in den Alltag gerecht zu werden, sondern darüber hinaus die Dynamik im Stillstand zu beschreiben und ihre Auswirkungen zu reflektieren, bedarf Abstand. Ob der Anschluss an die lakonische Erzählweise des Debütromans von 2019, der übrigens nahtlos an den Film Von Bienen und Blumen aus dem Jahr 2018 anschließt, der Gegenwart noch gerecht wird, sollte zumindest reflektiert werden. Immerhin eine kurze Überlegung hierzu findet sich gegen Ende des Romans: 

Kurz zögerte die Erzählerin. Sollte sie das wirklich so schreiben? Und was, wenn alles noch viel schlimmer käme? Wenn ihre Mutter stürbe, der Mann, der Liebhaber oder sogar die Kinder? Sie selbst? […] Immerhin hatte sie schon das ganze Buch geschrieben und eine schwere Krankheit durchgemacht. (213) 

Spätestens an dieser Stelle möchte man der Autorin zurufen: Man kann das so schreiben, aber man muss es nicht zwangsläufig auch veröffentlichen! Dieser Versuch, einen Beitrag zum Verständnis der Krise zu liefern, ist spätestens mit dem zweiten Lockdown im November 2020 überholt. Ein Ende ist nicht absehbar, die Lösungsvorschläge der Dorfbewohner dokumentieren vor allem deren Ratlosigkeit. Eine Gewissheit aber bleibt: Die Wahrscheinlichkeit, dass Untote die Welt bevölkern, ist relativ gering. Wie man der Corona-Krise erzählerisch beikommen kann, muss erst noch gezeigt werden. Der Roman von Lola Randl wird in einigen Jahren als historisches Dokument gelesen werden, das die Gefühlslage der Pandemie zu beschreiben versucht. Literarisch kommt er der Krise nicht bei.

Titelbild

Lola Randl: Die Krone der Schöpfung.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2020.
160 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783751800068

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