Die reale Künstlichkeit des Glücks

Leif Randt erzählt in „Allegro Pastell“ von hyperreflektierten Millennials, selbstgewählten Fernbeziehungen und der Gegenwart als Utopie

Von Michael NavratilRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Navratil

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Leif Randts großes Thema ist das Glück. Die letzten beiden Romane des Autors, Schimmernder Dunst über CobyCounty und Planet Magnon, hatten von utopisch entrückten Welten erzählt, die eine atmosphärisch suggestive, im Detail aber nur schwer zu fassende Verbindung zur Gegenwart ihrer Entstehung unterhielten. Mit seinem neuen Roman Allegro Pastell kehrt Randt nun an konkrete Orte und Zeitpunkte zum Ende der 2010er Jahre zurück – und überzieht dabei die eigene Gegenwart mit dem Glanz der Utopie.

Im Zentrum von Allegro Pastell steht die Liebesbeziehung zwischen Tanja, einer vielversprechenden Autorin Ende zwanzig, und Jerome, einem erfolgreichen Webdesigner in den mittleren Dreißigern. Während Tanja in Berlin weitgehend entspannt ein neues Buchprojekt vorantreibt, wohnt und arbeitet Jerome in einem Bungalow in Maintal bei Frankfurt, der ihm von seinen Eltern überschrieben wurde. Aufrechterhalten wird die Beziehung zwischen Tanja und Jerome in wesentlichen Teilen qua Email und Nachrichten über Messenger-Dienste: ein wohlkalkuliertes Arrangement aus Nähe und Distanz, das – zumindest zeitweise – gut zu funktionieren scheint.

Allegro Pastell erzählt vom Alltag in der Großstadt und in der selbstgewählten Provinz, von Partys, Gesprächen mit Eltern und Geschwistern, Arbeit in Kreativberufen, immer wieder von Sex, vom Runner’s High und dem Besuch einer Hochzeit. Durchlaufendes Thema des Romans ist dabei das Suchen und (zeitweise) Finden des Glücks, und zwar in einem sehr speziellen Milieu: Die jungen Erwachsenen, die das Personal von Allegro Pastell bilden, sind erfolgreich, auf beinahe kybernetisch anmutende Weise reflektiert, autonom, sehr wahrscheinlich gutaussehend und mit beträchtlichen Finanzmitteln ausgestattet. Diese Hochglanz-Millennials streben nicht mehr nach etwas so Essentialistischem und Störungsanfälligem wie Selbstverwirklichung, sondern widmen ihr Leben ganz der achtsamen Gestaltung positiver Erlebnisse. Arbeit, Sex, Liebe und Drogen spielen dabei eine Rolle, jedoch nicht als gefährdende Grenzerfahrungen, sondern als Bausteine einer umfassenden Erlebnisrationalität, die auf die Konservierung eines, wie es im Text heißt, „Zustands distanziert lebensbejahender Zugewandtheit“ abzielt.

So durchdesignt und hyperreflektiert wie das Leben seiner Protagonisten ist auch Allegro Pastell selbst, angefangen bei der in Pastellfarben gehaltenen, typischen Randt-Form auf dem Cover (nach dem narzisstisch-spiegelnden Rechteck auf Schimmernder Dunst über CobyCounty und dem planetenrunden Goldkreis auf Planet Magnon ist es diesmal eine Wabe auf warmbraunem Untergrund) bis hin zu dem kontrollierten, immer leicht unterkühlten, dabei aber niemals zynischen Erzählton des Textes. Randts Prosa fließt gänzlich widerstandlos dahin, ist dabei aber überreich an feinen Beobachtungen und glanzvollen Reflexionen der Gegenwart. Die Rede von „stilistisch präzise gearbeiteten Texten über ein schwer zu greifendes Lebensgefühl“, die im Roman auf Tanjas Schreiben angewandt wird, lässt sich nicht zuletzt auf Randts eigenen Text beziehen (der auch darüber hinaus verschiedentlich auf die Person des Autors, sein bisheriges Werk und seine Tätigkeit als Online-Kurator der PDF- und Video-Plattform tegelmedia.net anspielt).

Was genau das Label ‚Popliteratur‘ bedeutet, mag zwar nie letztgültig klar geworden sein – vieles spricht jedoch dafür, Allegro Pastell als späte, besonders avancierte Manifestation des Pop-Romans anzusehen. Ähnlich wie Christian Kracht, der einstige Begründer der neuen deutschen Popliteratur, ist Leif Randt ein Meister des schwebenden Sowohl-als-auch. Randts frühe, utopische Romane schienen mit ihrer penetranten Positivität eine Lesart als Satire geradezu herauszufordern, entzogen sich aber zugleich permanent einer solchen zynischen Vereindeutigung. Auch für die Poetik von Allegro Pastell ist das Schwebende und Changierende zentral: Wenn die Autorin Tanja bei einer Lesung gefragt wird, ob sie manchmal auch Geschichten schreibe, in denen sie einfach ganz unmittelbar das sage, was sie auch wirklich denke, und daraufhin antwortet: „Ich schreibe eigentlich immer das, was ich denke“, so ist damit jene rätselhafte (Post-)Ironie erreicht, wie sie bereit in der Popliteratur der 90er Jahre produktiv für Verwirrung gesorgt hatte. 

Nicht selten schlagen die völlig abgeklärten Gegenwartsbetrachtungen in Allegro Pastell humoristische Funken, etwa in Sätzen wie „während man seiner Psyche oft schutzlos ausgeliefert schien, ließ sich die eigene Religiosität womöglich designen“, oder „Mittlerweile hatte Jerome das Gefühl, einer sehr kleinen Generation anzugehören, die fast nur aus ihm selbst bestand, und für diese Generation waren Facebook-Profile, Dating-Apps und Spekulationen auf Krpytowährungen gleichbedeutend mit einer emotionalen Nähe zur CDU“. Gelegentlich verleiht der Glaube an die totale Gestaltbarkeit des Glücks den Romanfiguren geradezu einen Anschein von Inhumanität: Wenn etwa die Frage, ob ein erfolgreicher Webdesigner und eine nicht weniger erfolgreiche Unternehmensberaterin ein gemeinsames Kind bekommen wollen, dadurch geklärt wird, dass Erstgenannter eine technisch anspruchsvolle Pro-und-Contra-PowerPoint-Präsentation erstellt, dann mag manche Leserin schon ein kalter Schauer anwehen angesichts einer derart perfekten Kombination aus gutbetuchtem Neo-Biedermeier und instrumenteller Vernunft.

Die erstaunliche Qualität von Randts Roman besteht allerdings gerade in seiner Fähigkeit, das extreme Einzelne mit dem harmonischen Ganzen kompatibel zu halten. Wie andere Beispiele avancierter Popliteratur ist Allegro Pastell nicht zuletzt ein genialer Relaunch frühromantischer Poetik: Das Ernstgemeinte und das Ironische, das Partikulare und das Allgemeine, das Affektive und das Reflexive gehen hier beständig ineinander über – allerdings nicht zu dem schnöden Zweck, gegebene emotionale, soziale oder ästhetische Ordnungen als ‚nur‘ künstlich zu denunzieren. Vielmehr deutet der Roman beständig darauf hin, dass in der Gegenwart die Künstlichkeit selbst ein Ort realer Erfahrung ist. Während bei Christian Kracht teilweise nur noch die Rekursivität kultureller Zeichenordnungen und die Kontingenz jedweden Sinngebungsprozesses genüsslich-maliziös ausgestellt wurden, lässt sich Randt durchaus auch emotional auf seine Erzählgegenstände ein, ohne dass darüber jedoch das Wissen um die Virtualität des Wirklichen – zumal in einer zunehmend digitalisierten Welt – jemals aus dem Blick geriete. Damit gelingt Randt in Allegro Pastell das Kunststück, eine Liebesgeschichte zu erzählen, deren Mechanismen den beteiligten Personen in erstaunlichem Maße durchsichtig sind, die darum aber nicht weniger anrührend wirkt.

Angesichts der extremen Reflektiertheit des Verhältnisses von Künstlichkeit und Authentizität sowie dem leicht überglänzten Erzähleindruck von Allegro Pastell sollte man nicht allzu schnell der Versuchung nachgeben, den Roman als realistische Milieustudie oder gar als ‚Generationenroman‘ zu lesen. Bereits das Wort ‚Pastell‘ im Titel deutet darauf hin, dass die Gegenwartsdarstellung des Textes ein wenig über‑ und weichgezeichnet ist. In gewissem Sinne handelt es sich auch bei Allegro Pastell um eine Utopie; eine Utopie jedoch, die aus einer sehr konkreten Gegenwart – nämlich unserer eigenen – schöpft und dabei zugleich in diese Gegenwart hineingeschrieben ist. Wenn die zentrale Funktion der Popliteratur, wie der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler behauptet, im Archivieren der Gegenwart besteht, so erfüllt Randts Roman diese Funktion auf ganz besondere Weise: Archiviert werden hier nicht nur jene Markennamen, die den Sound der aktuellen Konsumsphäre ausmachen. Archiviert wird eben auch das, was zunächst unarchivierbar – weil allzu ‚allegro‘ vergangen – erscheint: der maximal gegenwärtige Grenzwert im Nachdenken über die Möglichkeit des Glücks.

Titelbild

Leif Randt: Allegro Pastell. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020.
288 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783462053586

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