Das Böse in ihm
In seinem Romandebüt „Als läge dort tot der Vater“ beschreibt der Schweizer Yves Rechsteiner das alltägliche Leben aus Gewalt, Hass, Angst – und der Suche nach einem Ausweg
Von Lea Anna Mitterhammer
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Der Vater ist unglaublich böse, so richtig durch und durch. Alles an oder in ihm ist böse, dort gibt es nichts Gutes, nichts Liebenswertes, nichts, das ich mit Menschlichkeit in Verbindung bringen könnte.“ Mit diesen Worten beginnt Rechsteiners Roman; eine Geschichte, die aus der Perspektive des sechzehnjährigen Julians von den tagtäglichen Gewaltausbrüchen des alkoholsüchtigen Vaters erzählt, unter denen er zusammen mit seiner Mutter und den zwei jüngeren Brüdern, der vierzehnjährige Jerome und der elfjährige Roger, zu leiden hat.
Auf 144 Seiten wird der Alltag dieser Familie beschrieben, ihr Leben mit den verbalen und körperlichen Attacken des Vaters: Die Mutter wird regelmäßig als „fettes Stück Dreck“ bezeichnet, die Kinder als „Kanakensau“; auf nichtige Vergehen folgen willkürliche Bestrafungsmaßnahmen begleitet von der Androhung des Vaters sie alle umzubringen. Neue Kleidung, ein Handy oder ein Computer, das Spielen mit Nachbarskindern nach der Schule wird den Söhnen verwehrt, ein Spaziergang im Park oder ins Einkaufscenter wird zu einem seltenen und heimlichen Vergnügen. Die Mutter und die zwei ältesten Söhne fangen an zu trinken – die Aussicht, nach der Schule zusammen zwei Flaschen Wein unter einer Brücke zu leeren, sorgt bei Julian und Jerome für Freude und einen kurzen Moment des Glücks. Immer wieder wird der Wunsch geäußert, der Kontrolle des Vaters zu entfliehen, doch die Mutter und Kinder bleiben machtlos, durch Angst, Hilflosigkeit und körperliche Unterlegenheit bestimmt. Als der Vater sich auf eine mehrwöchige Geschäftsreise begibt, wird der Zusammenhalt zwischen Julian, seinen Brüdern und der Mutter gestärkt. Erstmals fühlen sie sich als eine Familie und fassen den Entschluss, dass es so nicht mehr weiter gehen kann, dass sich etwas ändern und dem Terror des Vaters ein Ende gesetzt werden muss.
Als läge dort tot der Vater von Yves Rechsteiner, der auch Kurzgeschichten, Hörspiel- und Theatermanuskripte verfasst, erschien beim Independent-Verlag Marta Press, der sich besonders auf gesellschaftskritische Themen konzentriert, darunter physische und psychische Gewalt und deren traumatisierenden Folgen. Rechsteiners Roman ist in insgesamt 36 kurze Kapitel gegliedert, die sich wie kleine Ausschnitte aus dem Alltagsleben der Familie lesen lassen. Ausführlich werden die Schikanen des Vaters geschildert; man erhält ein gutes Bild von der Hilflosigkeit und Ohnmacht der restlichen Familienmitglieder, die zerstörte Kindheit, die Hass und Gewaltbereitschaft bei allen drei Söhnen auslöst. Immer wieder wird von Julian das Böse des Vaters, das Schlechte und die Wut in ihm, thematisiert, sowie der Wunsch des ältesten Sohnes seinen Vater tot auf dem Boden liegen zu sehen, sich in seiner Fantasie dabei die möglichen Todesarten ausmalend. Die sachliche und nüchterne Erzählweise des Romans trägt zur Betonung der Grausamkeiten des Vaters bei und zur Entstehung eindrücklicher Bilder.
Es ist jedoch auch diese Erzählweise, die dazu führt, dass eine gewisse Distanz zu den beschriebenen verstörenden Ereignissen erhalten bleibt; trotz der Schilderung aus der Sicht des Sohnes bleiben einem die Figuren fremd und eine Identifikation wird nur zu einem bestimmten Grad möglich. Dazu tragen nicht zuletzt die endlosen Wiederholungen bei, die den Großteil des Romans bestimmen: die Beschimpfungen und Beleidigungen des Vaters, die traumatisierten, von Narben und blauen Flecken übersäten Kinder, die passive Mutter, die lediglich mehrmals ihr Bedauern über das Verhalten ihres Mannes und ihre Unfähigkeit ihren Kindern zu helfen zum Ausdruck bringt. Ähnlich wie diese Mutter, die stumpf vor sich hin lebt, führt die Repetition der dargestellten Geschehnisse, der Gedanken und Gefühle des Ich-Erzählers zu einem „stumpfen“ Lesen. Die grausamen und teils schockierenden Ereignisse werden nur noch zur Kenntnis genommen, ohne dass sie einen wirklich berühren.
Was von Yves Rechsteiners Roman in Erinnerung bleibt, ist die Suche und Frage nach einem möglichen Ausweg, auf die keine eindeutige Antwort geliefert wird. Einprägsam bleiben die Auswirkungen der erlittenen Gewalt, darunter unter anderem die Isolation des Einzelnen, die Sprachlosigkeit angesichts der familiären Probleme. Erst zögerlich finden eine Annäherung und eine Offenheit in der Kommunikation zwischen den Figuren statt; das Gefühl der Unsicherheit, Ratlosigkeit und Machtlosigkeit aber bleibt bis zum Schluss erhalten.
Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2018 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2018 erscheinen.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz
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