Bomben über Spanien

Rüdiger Reinecke analysiert in „Gernika und der Luftkrieg gegen die spanische Republik (1936–1939)“ deutschsprachige und internationale Literatur zum Spanischen Bürgerkrieg

Von Georg PichlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Pichler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mehr als achtzig Jahre nach seinem Ende ist der Spanische Bürgerkrieg (1936–1939) immer noch ein Thema von sozialer, politischer und akademischer Relevanz. Dies liegt an seiner bis heute andauernden ideologischen Sprengkraft ebenso wie an seiner zeithistorischen Bedeutung und Komplexität. Denn er war zugleich Bürgerkrieg, also eine innerspanische Auseinandersetzung, und internationaler Krieg, in dem zum ersten Mal in Europa die verfeindeten Ideologien aufeinanderprallten: der Faschismus in seinen unterschiedlichen Ausformungen gegen Sozialismus, Kommunismus und Anarchismus, während die bürgerlichen Demokratien eine historisch fatale Zuschauerrolle einnahmen. Er war der erste Medienkrieg, da die neuen Massenmedien, Presse, Radio, Film und Fotografie, eine bis dahin nicht gekannte Rolle spielten. Er war ein technologischer Krieg, wurden doch per Telefon die Nachrichten rascher übertragen als je zuvor. Er war ein Materialkrieg, in dem sowohl NS-Deutschland und das faschistische Italien als auch die Sowjetunion ihre neuesten Flugzeuge im Einsatz erprobten. Und er war ein literarischer Krieg, an dem eine Unzahl von Schriftstellern und Schriftstellerinnen teilnahmen, sei es als Mitglieder der Internationalen Brigaden auf der fortschrittlichen, republikanischen Seite, sei es als Berichterstatter für Medien aus aller Welt auf beiden Seiten.

Trotz dieser Internationalität wurde die Literatur über den Bürgerkrieg bislang in den allermeisten Fällen aus einer rein nationalen Perspektive und nach Sprachen getrennt analysiert. Dabei war gerade dieses Aufeinandertreffen der verschiedenen Sprachen und Kulturen – allein in den Internationalen Brigaden gab es rund 35.000 Freiwillige aus 53 Ländern – das Besondere des Krieges, denn statt hinter einem Land, wie im Ersten Weltkrieg, standen die Kriegsparteien hinter einer Idee, einer Ideologie – mit Ausnahme der zwangsrekrutierten Spanier auf beiden Seiten natürlich. Von wenigen Studien abgesehen, sind diese Internationalität, die Vielsprachigkeit und der Umgang damit erst seit kurzem Gegenstand von Forschungen, wie einige jüngst erschienene Bücher zeigen, etwa der von Julia Kölbl, Iryna Orlova und Michaela Wolf herausgegebene Band ¿Pasarán? Kommunikation im Spanischen Bürgerkrieg (2020) oder Lenguas entre dos fuegos von Jesús Baigorri-Jalón (2019).

Einen ähnlichen, wenn auch etwas anderen Weg hat der Osnabrücker Literaturwissenschaftler Rüdiger Reinecke in seiner Studie Gernika und der Luftkrieg gegen die spanische Republik (1936–1939) in der zeitgenössischen internationalen Literatur gewählt. Unter Berücksichtigung der erwähnten Prämissen hat er die internationale Literatur zum Spanienkrieg auf ein Thema hin analysiert, nämlich den Luftkrieg, der damals gegen die spanische Republik erstmals in großem Maßstab erprobt wurde. Pablo Picassos Gemälde Guernica (so die spanische Schreibweise), das heute nicht nur ein Mahnmal des Spanienkriegs, sondern des sinnlosen Kriegsmordens schlechthin ist, wurde von der Bombardierung der kleinen, symbolträchtigen baskischen Stadt Gernika Ende April 1937 inspiriert. Kaum bekannt ist aber, dass ab Herbst 1936 Madrid die erste massiv bombardierte Großstadt der Geschichte war, der bald andere Ziele folgten wie der unbedeutende Marktflecken Durango, Barcelona oder Valencia, die ihrerseits nur ein Vorspiel der Flächenbombardements von Städten wie Coventry oder Dresden im Zweiten Weltkrieg waren. W. G. Sebald ist diesem Thema in der deutschsprachigen Literatur in seinem viel diskutierten Band Luftkrieg und Literatur (1999) nachgegangen.

Rüdiger Reinecke unternimmt seinerseits auf der Suche nach diesem „literarischen Sujet“ eine Parforce-Tour durch die Geschichten aus der Geschichte des Spanienkriegs, bei der nicht nur die gängigen Namen und Werke anzutreffen sind, sondern auch unbekannte Autorinnen und Autoren, Journalistinnen und Journalisten, Fotoreporterinnen und -reporter. Die Analyse beschränkt sich aus nachvollziehbaren methodologischen, quantitativen und wohl auch qualitativen Gründen auf die republikanische Seite und spart profranquistische Texte ebenso aus wie jene Werke, die nach dem Ende der Franco-Diktatur entstanden sind.

Auch wenn der Schwerpunkt seiner Ausführungen auf der deutschsprachigen Literatur zum Spanienkrieg liegt – die leider national und international weitgehend unbekannt ist –, holt Reinecke weit aus und bezieht journalistische Texte, Lyrik, Romane und Erzählungen von spanischen, englischsprachigen, französischen, slawischen, skandinavischen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen ein, ein Unterfangen, das wegen seines Aufwands und Umfangs sisyphoshafte Züge trägt – doch bringt es der Autor auf 765 Seiten glücklich zum Abschluss. Reinecke hat sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt und war an wichtigen Ausstellungen beteiligt, zu denen bemerkenswerte Kataloge mit innovativen Ansätzen entstanden sind (UPTHEREPUBLIC, 2006, España en el corazón, 2008). Ebenso ist er Mitherausgeber des Sammelbandes Der Spanische Bürgerkrieg in der DDR: Strategien intermedialer Erinnerungsbildung (2009). Er weiß also, wovon er schreibt.

Das Buch ist aus einer Doktorarbeit hervorgegangen, was an der Systematik des Aufbaus erkennbar ist. So nähert sich Reinecke behutsam seinem Gegenstand, indem er über den Spanienkrieg an sich schreibt, über die Literatur, die zu ihm entstanden ist, über das Thema des Luftkriegs in Literatur und Medien, um schließlich die Geschichte der Rezeption der Bombardierung von Gernika nachzuerzählen, all dies ausführlich, erschöpfend und vor allem für Uneingeweihte sehr gewinnbringend. Den Hauptteil seiner Arbeit widmet der Autor drei Gattungen: Kriegsreportagen in Wort und Bild (sprich Fotografie), Lyrik und Lieder sowie fiktionale Prosatexte, also Erzählungen und Romane. Dabei geht es ihm darum, „nach den ästhetischen Strategien in dieser Literatur und nach ihrem Erneuerungspotential zu fragen“ (S. 21). Und er breitet auf über 500 Seiten ein literarisches Panorama des Bürgerkriegs aus, wie es in dieser Fülle noch niemand zustande gebracht hat.

Zugleich mit den gattungstheoretischen und literaturhistorischen Fragestellungen wird anhand von Textausschnitten eine völlig neue Geschichte des Spanienkriegs entworfen. Sie konzentriert sich auf die vielfältigen Beschreibungen der Bombardierungen und zeigt, welch große Bedeutung diese Kriegsform tatsächlich hatte und welch tragische Folgen. Erstaunlich ist nicht nur die Menge der Texte, die Reinecke ausfindig gemacht hat, sondern auch die Zahl der Autorinnen und Autoren, die über Bombardements berichtet haben. Hier sind neben den bekannten Namen (Ernest Hemingway, André Malraux, Michail Kolzow, Gustav Regler, Arturo Barea etc.) solche zu finden, die vergessen wurden und deren Bücher man oft nicht einmal mehr antiquarisch erhält. Dazu gehören Anna Siemsens Spanisches Bilderbuch (1937) ebenso wie eines der wohl profundesten kulturhistorischen Sachbücher über das Bürgerkriegsspanien, Spanien zwischen Tod und Geburt (1937) von Peter Merin (eigentlich Oto Bihalji-Merin), das neu herauszugeben jedem Verlag zur Ehre gereichen würde. Zugleich werden literarhistorische Kuriositäten erwähnt, kurze Texte von Joseph Roth etwa, die dieser aufgrund von Fotoreportagen über die Opfer des Bombenkrieges in Spanien verfasste.

Neben neuen, oft überraschenden Bezügen zwischen Autoren und Texten zeigen sich die reichen Gestaltungsformen der damaligen Literatur. Die Prosatexte sind ebenso unterschiedlich und verschiedenen Stilrichtungen geschuldet wie die Lyrik. Hier stehen neben expressionistisch exaltierten, hymnischen und elegischen Gedichten prägnante Kurzformen wie Bertolt Brechts dreistrophiges Gedicht Mein Bruder war ein Flieger, in dem er den Einsatz der deutschen Legion Condor, von dem viele wussten, aber niemand sprach, auf den Punkt brachte. Da Reinecke über die Analyse der jeweiligen Texte hinausgeht, die Biografien und das Werk der Autorinnen und Autoren kurz referiert und sie in den Kontext der Literatur zum Spanienkrieg stellt, wird sein Buch zu einem umfassenden, vielschichtigen Kompendium des aktuellen Wissens über das Thema.

Trotz der Fülle zeigen sich ein paar blinde Flecken, die vor allem Bürgerkriegsteilnehmer aus der Schweiz und Österreich betreffen; die umfangreiche Studie Österreichische JournalistInnen und PublizistInnen im Spanischen Bürgerkrieg (2016) von Edgar Schütz fehlt etwa ebenso wie Spanien im Herzen (1996), die Erinnerungen des Schweizer Interbrigadisten Hans Hutter, obwohl es in beiden Büchern einiges Material zum Thema gegeben hätte. Doch sind dies Kleinigkeiten, die in keiner Weise die Leistung Reineckes schmälern. Geschmälert wird hingegen der potenzielle Kreis der Leserinnen und Leser. Einem Buch wie diesem, das umfangreiches Wissen vermittelt, das gekonnt internationale Literaturgeschichte mit Historiografie und kulturwissenschaftlichen Techniken kombiniert, das einladend lesbar geschrieben ist, möchte man ein möglichst großes Publikum wünschen, um die Literatur zum Spanienkrieg endlich so bekannt zu machen, wie es ihr gebührt – der Preis von 68 Euro ist dafür eher kontraproduktiv.

Titelbild

Rüdiger Reinecke: Gernika und der Luftkrieg gegen die spanische Republik (1936–1939) in der zeitgenössischen internationalen Literatur.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2019.
765 Seiten, 68,00 EUR.
ISBN-13: 9783849813116

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch