Metakommunikation mit Unterhaltungscharakter
Mit seinem Roman „Die Möglichkeit eines Gesprächs“ schafft Philipp Röding ein philosophisches Meisterwerk, das durch Witz und Gehalt zugleich besticht
Von Marie Jendrusch
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Ich glaube trotz allem an den unendlichen Nutzen des Gesprächs für die menschliche Gattung. Einzig die Möglichkeit des Gesprächs steht zwischen uns und der ultimativen Katastrophe.“
Dieses sprecher- und zusammenhangslose Zitat spiegelt in seiner Paradoxie das Motto des Romans von Philipp Röding wider. Ist Kommunikation die Rettung oder das Verderben des Menschen? Diese essentielle Frage schwingt im Verlauf des Romans von der ersten bis zur letzten Seite mit, und trotzdem wird gleichzeitig gefragt, ob Kommunikation überhaupt noch irgendeine wirkliche Bedeutung hat. Mit Themen wie Schaffensprozessen, Suizid, Sex, Lebenskrisen oder der Erfindung des Telefons schafft der 27jährige Autor es, das weite Feld unserer alltäglichen Kommunikation übertrieben realistisch (und nein, das ist in diesem Fall kein Paradox) nachzuzeichnen.
Auf knackigen 143 Seiten lässt Röding 13 Figuren auftreten, jede mit ihrer individuellen Geschichte, jede mit ihrer eigenen Art zu kommunizieren, und jede so absurd gezeichnet, dass es tatsächlich echte Menschen sein könnten. Die am häufigsten auftretenden Figuren sind Maya, eine Filmemacherin, und Jana, eine Telefonseelsorgerin. Die Indirektheit der Kommunikation, die allein schon in den Berufen der beiden Protagonistinnen liegt, spricht hier Bände. Während Maya versucht, eine Wahrheit, die sie selbst nicht ganz versteht und auch niemandem durch direkte Kommunikation verständlich machen kann, zu verfilmen, versucht Jana per Telefon, Menschen vom Suizid abzuhalten und ihnen aus Lebenskrisen herauszuhelfen. So auch, als Jon Veldkamp sie anruft und ihr Folgendes berichtet:
„Mittlerweile sei er ganz sicher, mit niemandem mehr jemals sprechen zu können, es sei geradewegs so, als ob ihm der Mund zugewachsen wäre und dieses Gefühl, niemals mehr jemandem etwas mitteilen zu können [kursiv im Original], ließe in ihm den Wunsch wachsen, sich aus den Fenstern des Hochhausturmes fallen zu lassen […]. Aber man rede doch jetzt, oder nicht? Sagt Jana“.
Dass Jon in einem Gespräch über die Unmöglichkeit eines Gesprächs spricht, ist Ausdruck für die Metaebene der Kommunikation, die die gedankliche Grundlage des gesamten Rödingschen Debütromans ist.
So wenig zielführend das Sprechen der Figuren miteinander ist, so offen sind auch die Erzählstränge, in denen Röding Einblick in zahlreiche verschiedene Leben gibt. Dabei entspricht der Ausgangspunkt genau dem nicht vorhandenen Endpunkt: inhaltslose Kommunikation.
„Markus fragt: Und was war das jetzt?, […] und Jana sagt: Schweigeanruf, und Markus […] sagt: Aha, und Jana sagt; Ja, ich glaube jemand, der im Auto saß, irgendwas hat gerauscht, keine Ahnung. […] Telefonieren im Auto ist verboten und ich darf dich daran erinnern, dass du verpflichtet bist, darauf hinzuweisen. Jana: Ich muss pissen.“
Gerade die Gehaltlosigkeit der Kommunikation füllt den Roman mit Gehalt, indem der Text dem Leser eine Vielzahl von Interpretationsangeboten macht. Spannung und Anregung zur Reflexion werden so nicht nur durch die Handlung und die zahlreichen involvierten Figuren, sondern nicht zuletzt auch durch die sprachliche Ebene kreiert. Dem Text fehlen meist die Marker für direkte Rede, häufig ist noch nicht einmal klar, wer gerade spricht oder ob es sich um direkte oder indirekte Rede handelt. Rödings Technik, in der dritten Person zu schreiben und dem Leser gleichzeitig ohne wörtliche Rede den Eindruck eines Sprechers zu geben, erinnert an Thomas Bernhard, wie beispielsweise in dieser Passage:
„und es sei auch nicht so wie bei anderen Phantasien, dass es irgendwie schön sei, wenn sie nicht einlösbar sind, es sei einfach nur eine un-auf-hörliche Quälerei und darüber hinaus gebe es niemanden, dem er das jemals wirklich verständlich machen könne, weil er sei sich ziemlich sicher, dass er der einzige Mensch auf der Welt mit dieser spezifischen Phantasie sei.“
Rödings Sprachstil ist bildlich, kreativ, anschaulich und eloquent; seine Sätze sind so lang wie ein scheinbar unaufhörlicher Redefluss, seine Nutzung der Interpunktion ist ebenso gehaltvoll wie seine Metaphern und Vergleiche. So befindet sich das Büro der Telefonseelsorge für Suizidgefährdete in der „Nekropole der Dienstleistung, Frankfurt-Fechenheim“ und das Schweigen in einem Gespräch „ist wie ein Schwitzkasten.“.
Philipp Rödings Werk ist Vieles zugleich: philosophisch und salopp, gesellschaftskritisch und witzig, vielschichtig und einfach, paradox und geradeheraus, zum Lachen und zum Weinen, zum Staunen und zum Nachdenken. Vor allem ist es aber eines: brillant!
Es gibt nichts an diesem Roman, das nicht interpretierbar wäre, nichts, das nicht zum Nachdenken und zum Hinterfragen unseres Umgangs miteinander veranlassen könnte. Durch inhaltliche Absurdität gelingt Philipp Röding mit seinem Roman ein Paradebeispiel für unsere heutige Kommunikation, das einen jeden Leser dazu anregt, die Bedeutung seiner alltäglichen Worte zu reflektieren. Die Sprache ist unsere Rettung und unser Verderben, sie ist das, was den Menschen ausmacht. Doch wozu gebrauchen wir sie eigentlich jeden Tag?
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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