Ein krimineller Kriminaler in zwei Krimis

Frank-Peter Hansen schreibt mit „Rungholttod“ einen Küstenkrimi und erweitert in „Brockentod“ den Schauplatz

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Rungholttod bekommt man es gleich zu Beginn mit einem Vierfachmörder zu tun, der die Leichen seiner Opfer auf einer Salzwiese deponiert hat. Bei dieser Endlagerung geht es ihm nach eigener Überzeugung um „Verlässlichkeit“. Der geistesgestörte Täter hält sich für ein Genie. Zu Unrecht – der aus Flensburg herbeigerufene Kriminalhauptkommissar Horst Blaschke hat rasch in seinem Husumer Kollegen Norbert Börnsen den „Würger von Nordstrand“ erkannt. Doch die Festnahme scheitert und Börsen entkommt in die sturmgepeitschte Nacht.

In ihr ist auch Elfriede Hartmann unterwegs, von Beruf Kriminalschriftstellerin und mit dem Architekten Karl liiert, der sie und ihre vierjährige Tochter Anneken von Herzen liebt. Die Schriftstellerin ist bei einem Spaziergang über das Wattenmeer in ein Unwetter geraten und wird von einem Mann angeschossen. Der Schuss geht fehl, sie verletzt sich bei der Flucht am rechten Bein – und wird wie durch ein Wunder von ihrem Karl gefunden.

Unterwegs ist auch ein Kieler Professor, der das seine Ehe gefährdende Liebesverhältnis mit einer Studentin durch ihre Ermordung beenden will. Sie kann sich losreißen und fliehen, während er in den Fluten versinkt. Zwei Polizisten sterben, als ihr Mercedes der C-Klasse von einer gewaltigen Böe erfasst wird, ein bewaffneter und diebischer Motorradfahrer kommt bei einem Aufprall ums Leben.

Die bildreiche Darstellung der Naturgewalten mit Überschwemmung und Tornadogefahr beeindruckt nicht wegen, sondern trotz der übervielen Toten. Ein solche Sturmnacht hat der Autor, der seine Ortskenntnis auch in einem Reisebegleiter für Flensburg dokumentierte, möglicherweise selbst hautnah erlebt.

Man mag darüber streiten, ob ein Mensch in seiner Haltung zur Geliebten binnen Minutenfrist von „Wie habe ich dich geliebt!“ zu „Schlampe“ und  „Biest“ hinabsinkt – überraschend ist die letzte Tötungsabsicht in dem so düsteren wie gelungenen Krimi allemal. Zwischen Elfriede und Blaschke aber bahnt sich etwas an.

Im folgenden Band Brockentod, vom Autor laut Vorbemerkung, jedoch nicht laut Bibliographie, gemeinsam mit seiner Tochter Olga Klingenberg geschrieben, wird zunächst ein klug erdachtes, kriminalistisches Rätsel präsentiert. Zwei Gymnasiastinnen, Britta und Birte, eng miteinander befreundet und in denselben Mitschüler verliebt, brechen im Winter 1994 kurz nacheinander auf dem Eis eines Tümpels bei Flensburg ein und ertrinken. Zwei Unfälle, zwei Suizide oder ein Suizid aus Verzweiflung wegen des ersten Unfalls? Es gibt keine Abschiedsbriefe, aber auch keine Indizien für ein Tötungsverbrechen und darum keine Mordermittlung. Doch eine Kriminalpsychologin ist nicht von ihrer Theorie eines Doppelmords abzubringen.

Siebenundzwanzig Jahre später treibt ein Würger sein Unwesen in Flensburg. Wer Rungholttod gelesen hat, denkt unwillkürlich an den mörderischen Ex-Polizisten Börnsen, der womöglich die Sturmnacht im Wattenmeer überlebt hat, obwohl er, von Hauptkommissar Horst Blaschke angeschossen, in eine Schleuse gestürzt war. Diese Annahme verdichtet sich, als in Goslar die vierjährige Tochter (ja, Anneken aus Rungholttod) Blaschkes nunmehriger Freundin Elfriede während eines Urlaubs entführt wird. Blaschke macht sich auf den Weg in den Harz und will die Polizei in Goslar erst einmal außen vor lassen. Bei einem Telefonat mit dem Entführer kann der geortet, aber nicht gefasst werden. Es beginnt eine Rundreise durch den Harz, dessen Orte und Höhenkämme der Autor knapp, aber anschaulich beschreibt. Plötzlich spielen auch die Ertrunkenen Britta und Birte wieder eine Rolle – sogar Birtes Tagebuch, seinerzeit von der Polizei sträflich übersehen, hat der Entführer in Besitz. Er ist nicht Börnsen, sondern ein Mann, der erreichen will, dass endlich das Verbrechen aufgeklärt wird, das sein Leben zerstört hat. Der in beide Mädchen verliebte Mitschüler von damals? Nein, sein Bruder, doch hier sei nur noch gespoilert, dass der Entführer von einer Doppelmörderin spricht und Blaschke auf eine in der Öffentlichkeit stehende Persönlichkeit tippt. Auf dem Gipfel des Brockens soll der Treff stattfinden, bei dem Elfriede ihre Tochter zurückbekommt. Die dramatische und tragische Szene dort oben, bei der sowohl der Entführer als auch – mit Verzug – Börnsen den Tod finden und Blaschke knapp davonkommt, ist absolut filmreif. In Flensburg wird die Doppelmörderin dann mit einem psychologischen Trick zum Geständnis veranlasst. Geschickt macht der Autor zwei Frauen zu Hauptpersonen auf der guten und der bösen Seite, die man schon als Gymnasiastinnen bei der polizeilichen Befragung kurz kennengelernt hat.

Beide Krimis sind absolut lesenswert, wobei Brockentod dank des weitgespannten zeitlichen und örtlichen Bogens besonders fasziniert.

Titelbild

Frank-Peter Hansen: Rungholttod. Küsten-Krimi.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2023.
208 Seiten , 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783826078088

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Titelbild

Frank-Peter Hansen: Brockentod. Flensburg-Harz-Krimi.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2023.
262 Seiten , 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783826078101

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