Ganz normal und unglaublich packend

In „Normale Menschen“ erzählt Sally Ronney eine Liebesgeschichte über Klassengrenzen hinweg

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Letztes Jahr feierte die 1991 geborene Sally Rooney mit ihrem Debutroman Gespräche unter Freunden einen internationalen Überraschungserfolg. Mit ihrem zweiten Roman unterstreicht sie jetzt ihr Ausnahmetalent und kultiviert die Kunst des Einfachen.

In Normale Menschen erzählt sie von der wechselvollen und über Jahre gehenden On-Off-Beziehung zwischen Marianne und Connell. Marianne ist die superkluge Außenseiterin in ihrer Schule und trägt „ihre offene Verachtung für die anderen zur Schau. […] Viele hassen sie aufrichtig.“ Im Gegensatz dazu ist Connell äußerst beliebt, gut aussehend und Star der Fußballmannschaft der Schule. Darüber hinaus trennt die beiden aber auch noch ein Klassenunterschied: Mariannes alleinerziehende Mutter ist wohlbetucht und Connells Mutter putzt bei ihr. Als Connell sie einmal abholt, kommt er Marianne näher, dem ersten Kuss folgt der erste Sex und die Erkenntnis: „Mit ihr allein zu sein ist, als würde er eine Tür öffnen, die weg vom normalen Leben führt und sie dann hinter sich schließen.“ Und so beginnt eine vor seinen Kumpels und in der Schule geheim gehaltene Beziehung. Connell wechselt zwischen zwei Welten hin und her und trägt „das Geheimnis wie etwas Großes und Heißes mit sich rum, wie ein überfülltes Tablett mit Heißgetränken.“

Nach der Schule gehen Marianne und Connell an das renommierte Trinity College in Dublin, wo sich ihre Rollen umkehren: Plötzlich ist Marianne mit ihrer eleganten, gelangweilten Aura „mit der Anmutung perfekter Selbstsicherheit“ angesagt und Connell fühlt sich einsam und unbeliebt. Im Innersten ist aber auch Marianne von Minderwertigkeitsgefühlen zerrissen und lässt sich von einem neuen Freund demütigen und schlagen.

Immer wieder finden Marianne und Connell aber zusammen und spüren ihre innerste Verbundenheit, sie müssen keine Spiele spielen und nichts vortäuschen und können einfach so sein wie sie sind.

Sally Rooney setzt ihren frappierend einfach gehaltenen Stil aus Gespräche unter Freunden auch in ihrem zweiten Roman fort. Er ist aus den wechselnden Perspektiven von Connell und Marianne erzählt und verschränkt die Gegenwart mit Rückblenden. Rooneys Prosa besteht aus glasklaren, kurzen Sätzen und zieht den Leser magisch in einen Kosmos aus genauesten Beschreibungen der Gefühle und Gedanken ihrer Protagonisten und wie aus dem Leben gegriffenen Dialogen. Ihr Ton ist dabei höchst lakonisch und sie enthält sich konsequent jeglicher moralischer Bewertung oder Einordnung des Geschehens. Das Leben und Lieben zieht hier vorbei, wie es ist – mit all seinen Höhen und Tiefen, seinen verzwickten Wegen und verpassten Chancen – ganz normal halt und unglaublich packend.

Titelbild

Sally Rooney: Normale Menschen.
Aus dem Englischen von Zoë Beck.
Luchterhand Literaturverlag, München 2020.
320 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783630875422

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