Flüchtige Empathie
Mit Sebastian Andreas Rouget „Drei Stufen im Trockenen“
Von Malin Zinke
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Das Rätsel, die kleinen Geschichten. Alles, was ihn ausmachte, war schon auserzählt, wurde langsam ausgelöscht, lange bevor er dann irgendwann starb. So blieb wenig Pathos am Ende, ein leiser Tusch.“
Die preisgekrönte Kurzgeschichte Jurij hat es neben zwölf weiteren Erzählungen in den ersten Kurzgeschichtenband des jungen Autors Sebastian Andreas Rouget geschafft. Der Saarländer, der in Trier Psychologie studierte und nebenbei auch als Musiker aktiv ist, wurde bereits zweimal mit dem Förderpreis des Hans-Bernhard-Schiff-Literaturpreises ausgezeichnet.
Seine kurzen Geschichten erzählen allesamt aus dem alltäglichen Leben, einige aus der Ich-Perspektive und andere mit personalem Erzähler. Die Erzählweise ist nüchtern, ohne große Aus- oder Abschweifungen, beschränkt auf das Wesentliche, für die Handlung Wichtige. Von Anfang an ist dem/der Leser*in jedoch bewusst, dass etwas nicht Alltägliches passieren wird. So erzählt City of Glass beispielsweise auf wenigen Seiten aus der Perspektive eines Unbekannten von dessen Schlaganfall, der Genesung, dem Aufflammen einer alten Liebe, dem Umzug zu seiner Geliebten nach Kanada und einer gemeinsamen Wohnungsbesichtigung. Bei dem durch Zeitraffung bedingten, hohen Erzähltempo überkommt einen das Gefühl, mit 180 Stundenkilometern auf eine Wand zuzurasen. Eine Wand, von der man noch nicht weiß, ob sie aus massivem Gestein oder bloßen Schaumstoffblöcken besteht. Im Fall von City of Glass ist es ein zugefrorener See, auf den ein Auto im Schneesturm zusteuert. Der leise Tusch am Ende ist hier somit eher ein kleiner Schock oder ein Kloß im Hals. Solch ein Effekt funktioniert manchmal, aber leider nicht immer. Denn nicht immer wird mit der Alltäglichkeit der Erzählung gebrochen.
Erzählungen wie Das Duell oder Eis hinterlassen zwar große Fragezeichen, bleiben jedoch trotz der Verwirrung, die sie nach dem Lesen oder auch schon währenddessen gestiftet haben, nicht in Erinnerung. Wirklich nachklingen tut keine der Geschichten. Die meisten schaffen jedoch einen Moment von flüchtiger Empathie mit den Akteuren, die sich aufs Glatteis begeben, geliebte Menschen verlieren, nach einem Erdrutsch in die zerstörte Heimat zurückkehren, in Kriegsgebieten Reportagen drehen oder wie Jesus übers Wasser laufen können (sollen). Für nachhaltigere Eindrücke bedürfte es wohl mehr Persönlichkeit bei den handelnden Personen, die oft ohne Namen auskommen. Dass in einer Kurzgeschichte nicht viel Platz für lange Charakterzeichnungen ist, liegt auf der Hand. Ein bisschen mehr Informationen zu den Figuren würde der ein oder anderen Erzählung jedoch guttun.
Vielleicht ist langes Nachklingen aber auch gar nicht der Anspruch des Autors.
Ein Trampelpfad. Brombeerhecken haben ihren Stacheldraht über die Wege gelegt. Dickicht, Gefälle. Der Boden, am Anfang noch steinig, gibt jetzt mehr und mehr nach. Feuchtigkeit. Er geht auf den Fluss zu. Sumpfgräser, ein zugewucherter Weg. Links die letzten, hohen Bäume. Etwas knackt, raschelt in den Zweigen.
Dieser Erzählstil begegnet einem in den Geschichten von Rouget. Schnelle, flüchtige Eindrücke. Er schafft damit bildlich eine wirklichkeitsgetreue Umgebung, die man jedoch – wie der Protagonist – nur für den Moment wahrnimmt, bevor man vorübergeht beziehungsweise die Seite umblättert.
Wenn der Autor aus dem gleichen Impetus heraus wie eine seiner Figuren schreibt, erklärt sich die Flüchtigkeit vielleicht: „Ich schreibe und indem ich schreibe, versuche ich schon wieder, weit genug davon weg zu sein, um es richtig betrachten zu können.“ Weit weg, aber doch nah genug dran, um Interesse und Empathie für die Figuren und ihre Geschichte zu empfinden, das gelingt dem Autor mit City of Glass, The Queen, Stars and Stripes und Lena besonders gut. Bei der Vielfalt an Themen und Lebenssituationen, die Rougets Geschichten einfangen, werden die Highlights jedoch wohl von Leser*in zu Leser*in variieren. Es sind Figuren jeden Alters, deren Geschichten erzählt werden – genaue Altersangaben erhält man nicht. Das Außenseiter-Mädchen in der Schule, der Ehemann, der fremdgeht, ein Musiker, dessen Rockkarriere ihren Zenit überschritten hat, ein verliebter Student, der Mann, der im Ausland ein Attentat überlebt. Sie sind bei dem, was sie erleben, nicht immer allein und doch schwingt in jeder Erzählung das Gefühl von Einsamkeit mit.
Mit dieser Sammlung von Kurzgeschichten sitzt man die meiste Zeit über drei Stufen im Trockenen. Das unbekannte, bedrohliche kühle Nass stets vor Augen, aber immer auch die Möglichkeit, sich die Treppe hinauf weiter ins Trockene zu flüchten. Oder aber man wünscht sich das Nass als Befreiung, um nicht länger auf dem Trockenen sitzen zu müssen. So oder so dürfte einem das Wasser allerdings gerne öfter bis zum Hals stehen.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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