Flüchtlingsfragen und Eingliederungspolitik
Jan Ruhkopf analysiert „Ordnungskonzepte und Politisches Verwalten“ des Bundesvertriebenenministeriums zwischen 1949 und 1961
Von Jens Flemming
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAutoren wissenschaftlicher Qualifikationsarbeiten neigen bisweilen dazu, ihre Analysen mit szientifischen Sprachmelodien aufzuladen. Das mag gut ankommen in Kreisen akademischer Selbstgenügsamkeit, Lesefreude evoziert es jedoch nicht. In etlichen Sätzen, die man in Jan Ruhkopfs Buch über das Bundesvertriebenenministerium lesen kann, spiegelt sich mangelnde Bereitschaft zu klar formulierten, auf Anhieb verständlichen Aussagen: „Mehrere Faktoren bildeten das neue Politikfeld der Vertriebenenintegration.“ Auch winkelige Konstruktionen hellen den Befund nicht auf:
Rees (ein Vertriebenenpolitiker) ist jedoch primär ein eindrückliches Beispiel dafür, wie weit die durch das Bundesministerium für Vertriebene vermittelte Perspektive und damit korrespondierende narrative Setzungen auf das deutsche Vertriebenenproblem im Schrifttum von Angehörigen der Integrationslobby geprägt werden konnten.
Die Benutzung von Genderzeichen, wenn schon notwendig, sollte einheitlich sein und nicht von Zufall oder Belieben abhängen. Vielfach sind in die Sätze englische Partien eingeflochten: ein nicht nur in ästhetischer, sondern auch in argumentativer Hinsicht wenig überzeugendes Verfahren.
Früheres Interesse richtete sich auf die Durchdringung des Ministeriums mit Vertriebenenfunktionären und ehemaligen NSDAP Mitgliedern. Deren Anteil war relativ hoch, aber für die Vermutung, dass diese sich eins zu eins von früheren Parolen und Elementen der NS-Weltanschauung hätten leiten lassen, fehlt die dokumentarische Evidenz. Insofern ist Jan Ruhkopf beizupflichten, dass sich historische Studien nicht primär an personellen Kontinuitäten orientieren sollten. Obwohl eine Figur wie Theodor Oberländer, Minister von 1953 bis 1960, wegen seiner zweifelhaften NS-Vergangenheit manchen Anlass dazu bot. Vielmehr gelte es, das Augenmerk auf das „Handeln“ des Ministeriums, auf die getroffenen Maßnahmen, die gesetzgeberischen Initiativen und die öffentliche Resonanz zu richten. Die Entwicklung von dafür geeigneten Konzepten sollte sich jedenfalls nicht in erster Linie leiten lassen von den NS-Belastungen der Bediensteten.
Ruhkopfs Stichwort lautet: „Historische Behördenforschung“. Im Sinne einer „Neuen Verwaltungsgeschichte“ konzentriert er sich „nicht auf das Personal“, sondern auf „Ordnungsvorstellungen und Praktiken“. Im Vordergrund stehen „politische Vorstellungen, Deutungen und Ziele“, ferner die Frage, wie sich dergleichen auf die Politik des Ministeriums ausgewirkt habe. „NS-Kontinuitäten“ seien „unzweifelhaft“ gegeben, aber von der Vergangenheit eines Mannes wie Oberländer könne man nicht umstandslos auf die Aktivitäten des Ministeriums schließen. Im Übrigen seien auch in anderen Bundesbehörden ehemalige Parteimitglieder tätig gewesen, und die Rekrutierung der Mitarbeiter sei in wesentlichen Zügen bereits unter Oberländers Vorgänger Hans Lukaschek erfolgt, ein in Breslau geborener Schlesier und „Anti-Nazi“. Kurzum, der Kurs des Ministeriums sei nicht von vornherein als reaktionär und vergangenheitslastig zu qualifizieren.
Dem Autor geht es um „Ordnungskonzepte“ und „Politisches Verwalten“. Dies verbindet er mit dem „Vorschlag, die Perspektive behördenhistorischer Fragestellungen zu erweitern“. Das heißt, sie als „kulturgeschichtlich informierte Politikgeschichte“ zu entwerfen. Dahinter verbirgt sich ein ganzes Bündel von Aspekten. Weit vorn rangierte die – eher konventionelle – Frage nach den Aufgaben des 1949 gegründeten Ministeriums. Dabei wurde rasch klar, dass Zusammenhalt und Stabilität der Bundesrepublik von einer angemessenen sozialen und politischen Integration der acht Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge, außerdem der Kriegsheimkehrer und Kriegssachgeschädigten abhingen. Die Probleme, die sich in diesem Feld abzeichneten, waren komplex und bedurften zur Lösung ebenso komplexer Strategien. Die Probleme waren auch deshalb groß, weil die ausgerufenen Maximen nicht ohne Widersprüche daherkamen. Denn eine erfolgreiche Eingliederung sollte die Fundamente für „eine spätere Rückkehr“ aufschütten. Damit hoffte man, Tendenzen einer Radikalisierung auf der linken wie auf der rechten Seite des politischen Spektrums unterbinden zu können. Dass solche Losungen auf den „deutschen Opferdiskurs“ übersprangen, betont der Autor zu Recht. Denn die Erfahrungen der erlittenen Verluste wurden „zum Identitätsmerkmal und zur Grundlage von ‚Versöhnung‘“ erhoben. Das hatte zur Konsequenz, die „vielfachen Verwerfungen der NS-Zeit“ zu verdrängen, „NS-Verfolgte als ‚Fremde‘“ auszuschließen und die „Deutschen zu einer ‚Schicksalsgemeinschaft‘“ zu verklären.
Begleitet und vorangetrieben wurde das alles durch Presse- und Publikationsarbeit. Auch dies fungierte als Bollwerk gegen einen „Rückfall in die Vergangenheit“. Angesprochen waren Vertriebene wie ‚Einheimische‘. Bloße Berichte des Ministeriums boten hier keine oder nur geringe Hilfe. Sie seien, so der Staatssekretär Peter Paul Nahm, „ein Feuer, das nicht wärmt.“ Förderlicher erschien der Zugriff auf die Massenmedien, auf Film, Zeitungen und Rundfunk. Den Strom der Informationen zu steuern, gelang jedoch nicht in vollem Umfang. Um die Erinnerung an die verlorene Heimat zu visualisieren, beherbergte das Ministerium insgesamt 81 Filme, die dem Ziel dienten, „die kulturellen Identitäten der Vertriebenen zu erhalten.“ Darin steckte das Bemühen, die Vertreibung als „unverschuldeten Schicksalsschlag“ im öffentlichen Bewusstsein zu verankern und so deren „politische Brisanz“ abzumildern. Denn die deutsche Verantwortung wurde mit derartigen Interpretationen und vergangenheitspolitischen Kunstgriffen nicht offenbart, sondern verschleiert.
In einer Epoche, in der Soziologie und Planungswissenschaft ihre Hochzeiten hatten, erstaunt es nicht, dass deren Methoden und Erkenntnisse auch das Vertriebenenministerium nutzen wollte. 1959, um nur dies noch zu erwähnen, erschien ein dreibändiges Werk, herausgegeben von Friedrich Edding und Eugen Lemberg. 43 Aufsätze befassten sich mit Gesellschaft und Politik, mit Ökonomie und Kultur. Das war ein Projekt der „politischen Integrationsforschung“, die sich in mehrdisziplinärem Zugriff, wie ein Werbeprospekt erläuterte, als grundlegendes „Orientierungswerk“ verstand. Dessen Entstehung, institutionelle Fundierung und dessen Personal widmet Ruhkopf etliche detaillierte Abschnitte. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass viele der Mitarbeiter NS-belastet waren. Ein Hindernis war das offenbar nicht. Interventionen der Ministerialbürokratie waren teils erfolgreich, teils stießen sie an Grenzen. Der Anspruch, den man verfolgte, schreckte vor hochfliegenden Perspektiven nicht zurück. Das geplante Werk, so Lemberg im April 1954, sollte sich nicht allein auf soziale und wirtschaftliche Dimensionen konzentrieren, sondern klarmachen, dass die Integration der Vertriebenen in die bundesdeutsche Gesellschaft nichts Geringeres als ein „geistesgeschichtlicher Wendepunkt für Europa und für die Menschheit“ sei. Allerdings, so noch einmal Lemberg, die Vertriebenen sollten „aus den Kategorien des Volkstumskampfes der Vorkriegszeit und aus ihrem durch die Volksgruppenlage gegebenen Provinzialismus zu einer weltweiten Sicht und zu einem Verständnis der Völkerprobleme ihrer verlorenen Heimat in Vergangenheit und Gegenwart gelangen“. Ob und in welchem Umfang derartige Absichten eingelöst wurden: Dazu hätten ein paar zusätzliche Absätze nicht schaden können.
Ein letztes: Die vom Autor verkündete neue Behördenforschung wandelt vielfach auf alten Pfaden. Sie referiert Absichten, Planungen, Programme, „Ordnungskonzepte“, aber über Durchsetzung und Scheitern, über ministeriale Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse hätten man hier und da mehr und Genaueres gewusst. Es ist, verkürzt gesagt, Behördenforschung ohne den behördlichen Unterbau und dessen Funktionsweisen. Insofern ist die angekündigte, gewiss innovativ gemeinte, Behördenforschung über weite Strecken Forschung ohne Behörde. Dazu passt, dass der Terminus „Politisches Verwalten“ ebenfalls blass bleibt – oder eine Banalität womöglich nur wissenschaftlich ‚adeln‘ möchte.
|
||