Golden Trump?

Salman Rushdie sprach mit Homi Bhabha über „The Golden House“ als „big social novel“

Von Martina KopfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martina Kopf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kaum war Rushdies Roman Anfang September erschienen, hielten übereifrige Kritiker bereits ihre druckfertige Replik parat und es hagelte raue Worte. Trump einzubauen sei keine gute Idee, so Jan Wiele in der FAZ, dies führe dazu, dass Rushdie nun monatelang Interviews nur über Trump geben müsse, die wenig Neues brächten, während andere Aspekte des Romans in den Hintergrund treten würden. Was aber, wenn der Roman genau dies beabsichtigt? Wie soll ein aktuelles US-amerikanisches Gesellschaftsporträt ohne Trump denn funktionieren?

Im Gespräch mit dem Literatur- und Kulturwissenschaftler Homi Bhabha im Rahmen einer Präsentation seines 13. Romans betonte Rushdie sein Anliegen, eine „big social novel“ zu schreiben. Die USA, so Rushdie, gleichen derzeit einer Tragikomödie und manches sei einfach lustig, anderes weniger. Tatsächlich zielte Bhabhas erste, unverhohlen reißerische Frage auf die Person, die derzeit auch selbstverständlich das kulturelle Leben bewegt und berührt: Versteckt sich Trump vielleicht nicht nur hinter dem grünhaarigen Joker, sondern auch hinter Rushdies mysteriösem, despotischem Protagonisten, Nero Golden, der wie Trump seine Frisur pflegt und eine zweite Ehe mit einer wesentlich jüngeren Osteuropäerin eingeht? Die Ähnlichkeiten sind stellenweise frappierend, doch Rushdies Antwort auf diese Frage war deutlich: „He‘s not, he’s much more interesting“.

The Golden House ist ein US-amerikanisches Gesellschaftsporträt mit satirischen und sarkastischen Zügen, in dem nicht nur Obama, Trump und der Wahlkampf im vergangenen Jahr zwischen „Batwoman“ und dem „Joker“, einem „green-haired white skinned red-slash-mouthed giggler“, einen Platz finden, sondern Diskriminierung ebenso wie Terrorismus oder Transsexualität in die Handlung integriert werden. Dies geschieht allerdings mit Hilfe einer globalen Herangehensweise, in der sich Rushdies „art of juxtaposition“ – wie Bhabha es formuliert – offenbart. Und das meint nicht nur, dass der Roman in New Yorks Greenwich Village spielt, aber gleichzeitig von dem Anschlag in Mumbai 2008 erzählt, als es zu mehreren terroristischen Anschlägen kam, und immer wieder auf die indische Metropole rekurriert, sondern lokale Probleme zu globalen werden (so wie eben Trump) und das Lokale ohne das Globale kaum existiert. Es mag also kein Zufall sein, dass Rushdie den in den letzten Jahren zum New Yorker Kultgebäck avancierten cronut, einem Hybrid aus Donut und Croissant, in seinem Roman einen Platz einräumt.   

Diese Form der gegenseitigen Durchdringung, Vermischung, Hybridität hat Rushdie bereits 1991 zu einem Stilprinzip seiner Poetik erklärt, nämlich für den Roman, der die Erlassung der Fatwa durch Ajatollah Chomeini mit sich brachte:

The Satanic Verses celebrate hybridity, impurity, intermingling, the transformation that comes of new and unexpected combinations of human beings, cultures, ideas, politics, movies, songs. It rejoices in mongrelization and fears the absolutism of the Pure. Mélange, hotchpotch, a bit of this and a bit of that is how newness enters the world. It is the great possibility that mass migration gives the world, and I have tried to embrace it.

Fast 25 Jahre später scheint dieses Stilprinzip so aktuell wie nie: „We don’t live in sealed off communities. […] We live in worlds that collide with each other.“ erklärte Rushdie, der sich selbst als ewigen Einwanderer bezeichnet: „I am an immigrant, I spent most of my life being an immigrant and so it won’t suprise you that I am not against immigrants.“ Was so schön klingt, ist leider gerade nicht selbstverständlich. Trotz allem betonte Rushdie die Kreativität fördernde Seite dieser Position zwischen den Kulturen: „I have always been in the minority and […] that’s a very creative place to be“. The Golden House ist damit kein klassischer New York-Roman, sondern vielmehr ein Mumbai-New York-Roman, in dem es nicht nur um die USA im 21. Jahrhundert geht, sondern dank der migrierten Protagonisten auch um die Verbindung zwischen reichen indischen Familien, der indischen Mafia, der von beiden finanzierten Filmindustrie und der in Pakistan ansässigen Dschihadisten.    

Rushdie, der wie Bhabha formuliert, auch in diesem Roman wieder mit seinen Augen „schreibt“, macht in The Golden House den beobachtenden Nachbarn zum Romancier: Der Roman entpuppt sich als fragmentarisches Drehbuch von Neros Nachbarn René, einem Filmemacher, der sich im zweiten Kapitel als Erzähler outet: „I’ve been hiding behind the first person plural, and may do so again, but I’m getting around to introducing myself.“ Interessanterweise wird René schließlich vom Beobachter selbst zum Protagonisten und scheint sich dem suggerierten amoralischen Verhalten seiner Nachbarn anzupassen – laut Bhabha ein „very Jamesian maneuver“. Mit dem Einzug von René in das Golden House trägt er regelrecht zum Fortbestehen der Goldens bei: Da sich Nero Golden als zeugungsunfähig entpuppt, muss er spontan einspringen.

The Golden House strotzt vor intertextuellen Bezügen, von Sophokles und Ovid, über Shakespeare und Kafka bis zu Filmen von Truffaut, Kurosawa oder Resnais. Ohne ein bestimmtes Level an kultureller Bildung sei der Roman doch kaum zugänglich, meinte Bhabha. Doch für Rushdie sind diese Bezüge „just flavoring“, sie sind „spice“, die Würze seiner Romane und andere Autoren praktizierten dies ja außerdem in einem ganz anderen Maße, Nabokov oder Borges zum Beispiel. Manche Leser verstehen diese Anspielungen, andere nicht. So wie damals, als ein Kritiker in Eliots Gedicht The Waste Land die Bedeutung von „Shantih shantih shanti“ verkannte. Aber das – so Rushdie – geschah eben bevor der Westen vom Buddhismus überrannt wurde.  

Wieder einmal demonstriert Rushdie seine Gabe als Erzähler, der in einer Geschichte – dem Matrjoschka-Prinzip getreu – schon die nächste entdeckt. Der Monolog von Baba Yaga, einer Figur aus der slawischen Mythologie ist nur eines der zahllosen Beispiele. Auch wenn The Golden House über einen Handlungshauptstrang verfügt, so ist es in seinem neuen Roman wie in einem Garten, in dem sich die Pfade verzweigen, man immer wieder vom Weg abkommt und doch zurückfindet. Doch was stellenweise vielleicht als zu exkurslastig empfunden werden mag, spiegelt dann auch wieder ein Stück weit unsere Zeit wieder: „We are living in a moment, when reality becomes questionable, and has been attacked and fragmented,“ erklärte Rushdie und dies sei nicht nur der Fall in Amerika, sondern ebenso in Südasien oder im Mittleren Osten, hier scheint es keine Übereinstimmung, keinen Treffpunkt, mehr zu geben. Was passiert also, wenn Glaubenssysteme ins Wanken geraten? Und wenn „realities are in war with each other“?         

Genau dieser Frage widmet sich The Golden House: Der Roman untersucht Vorurteile und bricht mit diesen, wie Rushdie erklärt: „The novel is a dissident form […] and in a way deconstructs people’s notion of reality and so the novel is a way of putting in crisis the idea of belief […].“ Und Bhabha fügte ergänzend hinzu, dass – ja, auch das kann Literatur! – der Leser gleichzeitig sogar mehrere Positionen einnehmen kann: „You can shift the reader into various different positions, belief and disbelief at the same time.“

Auch wenn The Golden House zugegebenermaßen Schwachstellen aufweist und wegen der fragmentarischen Schreibweise stellenweise selbstverständlich anstrengend ist, lohnt sich der Roman aus zwei Gründen: Erstens wegen seines fulminanten Anfangs und zweitens wegen Trump. Wie Monica Ali in The New York Times kürzlich schlussfolgerte: „It may not be the novel we long for, but it could, just possibly, be the novel we deserve.“

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Salman Rushdie: Golden House. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen Sabine Herting.
C. Bertelsmann Verlag, München 2017.
512 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783570103333

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