Ein langer Bart

Einblicke ins Ruhrgebiet vom Wuppertaler Slam-Poeten Patrick Salmen

Von Marcel MenneRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Menne

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn man einen Bart hat und dazu auch noch Social-Media-Nutzer ist, stehen die Chancen nicht schlecht, irgendwann schon einmal von Bekannten auf den Clip „rostrotkupferbraunfastbronze“ eines gewissen Patrick Salmen aufmerksam gemacht worden zu sein. Diese Ode an den Bart geistert schließlich seit Jahren durch das Netz, hat dort mehrere Millionen Klicks und hat Salmen neben einem Kultstatus in Hipster-Zirkeln und Einladungen zu Metal-Festivals 2010 auch den Titel Deutscher Meister im Poetry Slam eingebracht. Natürlich können sich nicht nur Bartträger von Salmen unterhalten lassen. Das weitere Schaffen des Schriftstellers steht aber doch arg im Schatten seines viralen Web-Erfolges. So ist auch dem mittlerweile fünften Erzählband, Genauer betrachtet sind Menschen auch nur Leute, eine Leseprobe von „rostrotkupferbraunfastbronze“ beigefügt, was allerdings keinen Mehrwert bietet: Ohne die inbrünstige Intonierung durch den Slam-Poeten ist es höchstens eine Erinnerung daran, den Text schon einmal besser gehört zu haben.

Auch die meisten neuen Geschichten entfalten deutlich mehr Wirkung im mündlichen Vortrag. Damit bei Lesungen auch nichts schiefgehen kann, hat Salmen die Anmoderationen oftmals sogar einfach mit abdrucken lassen. Als Leser muss man es ihm allerdings auch danken, wäre man doch beispielsweise in der Story „Die Unzurückspulbarkeit des Lebens“ ohne das Vorwort vollends verloren gegangen. Dort geht Salmens Alter Ego am Dortmunder Phoenix-See vorbei, schaut in die Wohnungen und macht seltsame Beobachtungen. Wie hätte man das nur verstehen sollen, wäre dem nicht vorangestellt worden, der Ich-Erzähler sei letztens am Dortmunder Phoenix-See vorbeigelaufen, habe in die Wohnungen gesehen und dort seltsame Beobachtungen gemacht? Das humoristische Grundkonzept aus alltäglicher Beobachtung, harmlosen Übertreibungen und der final-absurden Wendung für den großen Lacher will jedoch selbst dann nicht so recht aufgehen, wenn man sich die – für die Bühnendichtung inzwischen obligatorischen – künstlerisch-künstlichen Sprechpausen mitdenkt:

Der Mann, der sich noch vor wenigen Sekunden beschwert hat, fängt an zu telefonieren. Laut. Sehr laut. Ungefähr so laut, wie mein Vater spricht, wenn er jemanden im Nachbardorf anruft und dabei so klingt, als müsse er durch ein Dosentelefon mit einem willkürlichen Menschen im Senegal kommunizieren – einem Senegalesen ohne Ohren.

Über den literarischen Wert lässt sich dabei selbstverständlich auch streiten, was dem Slam-Poeten wohl bewusster ist als beispielsweise noch im lesenswerten Band Distanzen von 2011. Denn nicht ohne Grund beziehen sich die meisten gelungenen Pointen von Genauer betrachtet sind Menschen auch nur Leute auf den Widerspruch zwischen Salmens Geschichten und deren literarischen Anspruch. Da hält es die Freundin beispielsweise für süß, wenn der Erzähler seine Schriftstücke im mit „Literatur“ betitelten Ordner abspeichert. An anderer Stelle gefällt einer Frau ein Buch des Protagonisten, obwohl sie „so belanglose Sachen“ nicht gerne lese.

Tatsächlich sind manche der wiederkehrenden Figuren innerhalb der 48 kurzen Erzählungen vom Alltag im Ruhrgebiet liebenswert. Wer würde schon nicht gerne einen vor Filmzitaten strotzenden Kioskbesitzer zum Freund haben, der den Erzähler selbst dann noch unterstützt, wenn dieser sich bei einer Hausbesichtigung als Cortal Consors ausgibt? Doch nerven abgestandene Klischees wie toughe Großeltern, die den Enkel mit Ghetto-Faust verabschieden, oder ein hart dreinschauender Trucker, der sich selbstredend als Sensibelchen herausstellt. Verkorkste Anspielungen mit dem Holzhammer auf Zurück in die Zukunft in „Der Zeitreisende“ oder Der Pate in „Faust III – Eine Mafiageschichte in Beige“ führen die Liste nur fort, aber leider nicht zum Ende.

Zu oft beschleicht einen eben das Gefühl, den Großteil des Buches nicht schlechter schon woanders gelesen zu haben. Wenn Salmen ein paar Zeilen des Patenkindes wiedergibt, hat das zugegebenermaßen Unterhaltungswert, unterscheidet sich aber auch nicht von zahlreichen Kinderdialogen, die stolze Eltern auf Facebook posten. Zeitgeistiges Gemecker über Kindle und Spotify kann man auch nicht mehr hören, vor halblustigen Listen wie „Die fünf Ebenen der Fotografie“ gibt es bei keinem Lesewettstreit ein Entkommen. Auch wenn bei albernen Sätzen der Marke „Bube auf Bube geht nicht – Homophobie im Kartenspiel“ durchaus ein Lacher entfleuchen kann, macht das Salmens Textsammlung noch lange zu keinem gelungenen oder besonders unterhaltsamen Buch. Dazu müsste es häufiger aus dem herausstechen, was man bei jedem Poetry Slam um die Ecke geboten bekommt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Patrick Salmen: Genauer betrachtet sind Menschen auch nur Leute.
Knaur Taschenbuch Verlag, München 2016.
224 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783426519561

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