Linke Argumente gegen die Prostitutionswirtschaft

Ein Sammelband entlarvt den Mythos ‚Sexarbeit‘

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Noch immer rühren die Prostitutions- und Zuhälterlobby lautstark ihre aufdringlichen Werbetrommeln und versuchen, es als tolle Sache zu verkaufen, wenn Männer in Frauen onanieren, gerne auch schon mal als Gangbang zum Flatrate-Preis etwa für die Weihnachtsfeier der männlichen Belegschaft alteingesessener mittelständiger Firmen oder aufstrebender Start-ups. Selbstverständlich all-inclusive, was sich in diesem Falle nicht zuletzt auf alle weiblichen Körperöffnungen bezieht.

Doch es hilft ihnen alles nichts. Zwei Jahrzehnte, nachdem Prostitutionslobbyistinnen mit Vertreterinnen der rot-grünen Regierung per Gesetz grünes Licht fürs Rotlichtmilieu gegeben hatten und Regierungsvertreterinnen mit Milieugrößen die Korken knallen ließen, mehren sich trotz einiger Rückschläge wie der Prostitutions- und Zuhälterapologie von Amnesty International die kritischen Stimmen und dringen inzwischen sogar in die Reihen der einst (und in großen Teilen noch immer) so prostitutionsfreundlichen Partei Die Linke vor.

Ende 2015 trat die prostitutionskritische Fraktion der Partei mit einem Aufruf für eine Welt ohne Prostitution! an die einigermaßen überraschte Öffentlichkeit, was bei den Granden der Partei nicht eben sonderlich gut ankam. Unter dem überaus zynischen Titel Gegen Kapitalismus und Patriarchat – Für sexuelle Selbstbestimmung! reagierte eine Gruppe um die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke mit einem Gegenmanifest. Zynisch ist der Titel, weil die in dem Text hochgelobte Prostitution einer der schärfsten Ausdrücke von Kapitalismus und Patriarchat und somit das gerade Gegenteil von sexueller Selbstbestimmung ist.

Beide Texte wurden in den Anhang eines nun unter dem Titel Mythos „Sexarbeit“ erschienenen Sammelbandes aufgenommen, dessen Untertitel „Argumente gegen Prostitution“ verspricht. Die Prostitutionsapologie von Jelpke und ihren GenossInnen wurde der Herausgeberin Katharina Sass zufolge abgedruckt, weil sie „in relativ sachlicher und prägnanter Form die liberalen Überzeugungen und Mythen zusammenfasst, die innerhalb der gesellschaftlichen Linken zu diesem Thema kursieren“.

In den Beiträgen des Bandes kommen seine Herausgeberin, die Traumatherapeutin Ingeborg Kraus, die Radikalfeministin Manu Schon und eine ehemalige Prostituierte zu Wort. Der Anhang bietet neben den beiden genannten Aufrufen eine Antwort auf das Jelpke-Manifest, in der den von Jelpke und ihrem Umfeld verbreiteten 12 Mythen über Prostitution und Sexkaufverbot widersprochen wird. Des Weiteren enthält der Anhang ein Thesenpapier zur neuen Prostitutionsgesetzgebung von 2017, das Manifest Männer sagen NEIN zur Prostitution der Gruppe Zeromacho sowie einen Offenen Brief der Prostitutionsüberlebenden Huschke Mau an linksjugend [’solid], also an die prostitutionsbefürwortende Jugendorganisation der Linken. Maus Text beschließt den Band nicht nur, sondern bildet in seiner Schärfe auch einen seiner argumentativen Höhepunkte. Geradezu genüsslich führt Mau die Ahnungslosigkeit der ProstitutionsbefürworterInnen des Jugendverbandes der Linken vor.

Die Herausgeberin Katharina Sass ist mit zwei Texten vertreten: einer Einführung in die „Geschichte und Gegenwart der Prostitutionspolitik“ sowie einem sehr informativen Beitrag über die „Nachfrager der Prostitution“. Sass’ historischer Abriss der Prostitutionspolitik, namentlich des Abolitionismus, bietet zwar einen ganz brauchbaren Überblick, allerdings aus allzu sozialistisch/kommunistischer Perspektive, was zu manchen Verzerrungen führt. So ist es eine durchaus fragwürdige Verortung, wenn sie erklärt, dass „der Abolitionismus in der politischen Linken zuhause ist“. Radikale Prostitutionsgegnerinnen wie etwa Lida Gustava Heymann oder Anita Augspurg waren keineswegs Linke und standen dem Sozialismus auch nicht nahe. Von ihnen aber ist in Sass’ Abriss gar nicht erst die Rede. Vielmehr werden von ihr als VertreterInnen des historischen Abolitionismus in Deutschland nicht etwa die beiden um 1900 führenden radikalen Feministinnen genannt, sondern vielmehr „Karl Marx, Friedrich Engels, August Bebel und andere frühe AutorInnen der sozialistischen Bewegung“, wobei die ersten beiden sich für den Abolitionismus recht wenig interessierten und sie Prostitution überhaupt nur am Rande erwähnten.

Anders ist das in dem Beitrag von Manu Schon, ebenfalls Parteimitglied der Linken. In ihm kommen nicht nur die radikalen Prostitutionsgegnerinnen Augspurg und Heymann zu ihrem Recht, sondern auch Minna Cauer und Anna Pappritz, die überaus agile Streiterin für den Abolitionismus. Sogar die ganz zu Unrecht eher als Freud-Patientin denn als Gegnerin der Prostitution bekannte Bertha Pappenheim wird von Schon erwähnt. Dabei weist die Autorin auch darauf hin, dass diese Frauen keineswegs Kommunistinnen oder Sozialistinnen waren, sondern „überwiegend aus dem bürgerlichen Lager stammten“.

Bei Sass aber kommt der Begriff „radikalfeministisch“ nur als Bindestrichwort vor, nämlich als „sozialistisch-radikalfeministisch“. So lässt sie denn auch die radikalfeministische Prostitutionskritik außer Acht, die nicht sozialistisch ist. Zu denken ist etwa an Alice Schwarzer. Ebenso wenig passen Terre des Femmes oder die international vernetzte Marburger Bürgerinitiative bi-gegen-bordell in Sassʼ Raster, das nur „eine sozialistisch-radikalfeministische, eine liberale und eine konservative Analyse der Prostitution“ kennt.

Wohlbegründet ist Sassʼ Kritik der prostitutionsfreundlichen Politik von Linken in der SPD, bei den Grünen und der Partei Die Linke. Doch wenn Sass die Haltung dieser Linken zur Prostitution als „neoliberal“ bezeichnet, verschleiert sie, dass es sich um linke Politik handelt. Selbst Neoliberale kämen wohl kaum auf die Idee, Prostitution als emanzipatorische und befreiende Option für Frauen zu verherrlichen, wie das linke ProstitutionsapologetInnen gerne tun.

Völlig überzeugend ist Sassʼ zweiter Beitrag, in dem sie die Erkenntnisse darlegt, die in diversen Studien bislang über die „Nachfrager der Prostitution“, vulgo Freier, erarbeitet wurden. Nun ist zwar zutreffend, dass Freier aus allen Gesellschaftsschichten und sozialen Milieus kommen, das heißt aber noch lange nicht, dass Freier Männer sind wie alle anderen auch. Denn Sass kann anhand der Studien einige grundlegende Unterschiede zwischen Freiern und Nicht-Freiern aufzeigen. Sie betreffen ihren Charakter, ihre jeweilige Empathiefähigkeit und ihre gesamte Persönlichkeit. Es ist also schlicht falsch zu sagen, Freier seien ‚ganz gewöhnliche Männer‘. Vielmehr ist es ein ganz bestimmter Männerschlag, der Prostituierte benutzt. So legt Sass etwa dar, „dass Sexkäufer einer größere Anzahl an (nicht-prostituierten) Sexpartnerinnen haben als Nicht-Käufer“, da sie sich „an einem altmodischen, patriarchalen Männerbild orientieren“, das sich seiner Männlichkeit über Promiskuität vergewissert. Weiter bevorzugen Freier eher unpersönlichen Sex, beschreiben sich selbst häufiger als „sexuell aggressiv“ und haben öfter „eine Geschichte sexueller Gewaltausübung auch gegenüber nicht-prostituierten Frauen“. 15 Prozent der befragten Freier gaben zudem an, sie würden eine Frau vergewaltigen, wenn sie wüssten, dass ihre Tat nicht aufgedeckt würde. Von den Nicht-Freiern sind dies ‚nur‘ zwei Prozent. „Sexkäufer sind keine gewöhnlichen ‚Kunden‘, sondern Männer, die ein Problem mit ihrer Sexualität haben und diese aggressiv ausleben“, fasst die Autorin die Ergebnisse der Studien zusammen. Ihr Fazit, „dass Sexkäufer Männer sind, die ein gestörtes Verhältnis zu ihrer eigenen Sexualität haben“, liegt auf der Hand. Alleine, dass sie ihre Sexualität (auch) an Prostituierten ausleben, ist schon Beleg genug.

Geradezu akribisch belegt Sass ihre Behauptungen anhand internationaler wissenschaftlicher Studien zum Thema, die sie nicht nur kritisch liest, sondern auch schon mal – zu Recht – in Grund und Boden kritisiert. So wirft sie der deutschen „Freierforschung und -debatte“, vor, „Mythenproduktion und Verharmlosung“ zu betreiben. Gelegentlich vergreift sie sich allerdings auch schon einmal in der Wortwahl, so etwa, wenn sie der „gesundheitspolitischen Sprecherin der Grünen „neoliberal verseuchtes Denken“ attestiert. Deren Forderung „pflegebedürftigen Männern ‚Sex auf Rezept‘ zu finanzieren“, lässt sich auch ohne solche Verbalinjurien überzeugend kritisieren. Denn Sass merkt völlig zutreffend an: „Der Zugang zu Frauenkörpern zwecks Penetration wird quasi mit der Notwendigkeit, medizinische Behandlung zu erhalten, zu essen oder zu trinken, gleichgesetzt“. Sassʼ Spruch „Ohne Nachfrage kein Angebot“ wiederum klingt für eine Marxistin doch recht undialektisch. Ganz abgesehen davon, dass Werbeagenturen ohne Weiteres eine Nachfrage zu schaffen wissen, wenn sie etwas an den Mann bringen wollen.

Sass beschließt ihren Beitrag mit dem Befund, dass Sexkauf Gewalt ist und somit strafbar sein sollte, zumal die körperlichen und seelischen Langzeitfolgen der prostituierten Frauen mit denjenigen von Vergewaltigungsopfern zu vergleichen seien.

Diesen Vergleich nimmt sich die Traumatherapeutin Ingeborg Kraus in ihrem Beitrag genauer vor und untermauert ihre Befunde mit einigen Zahlen, wobei sie sich ausschließlich auf die „sogenannte ‚freiwillige Prostitution‘“ bezieht, mit deren Opfern sie in ihrer Praxis tagtäglich zu tun hat. Während 50 Prozent der vergewaltigten Frauen an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, sind es unter den Prostituierten sogar 60 Prozent. Der Wert liegt zudem nicht nur ebenfalls höher als der von Opfern anderer Gewaltverbrechen (25 Prozent) und von Kriegsopfern (20 Prozent), sondern ist der höchste überhaupt.

Manuela Schon wiederum zeigt nicht nur auf, dass sich „Motivation, Empfindungen und Einstellungen“ der Freier überall auf der Welt „frappierend“ ähneln, sondern stellt vor allem „einige zentrale Akteure“ der sich zunehmend vernetzenden  internationalen prostitutionskritischen Bewegung vor.

Ein „Erfahrungsbericht“ der Prostitutionsüberlebenden Marie Merklinger beschließt den Hauptteil des Bandes, der sich offenbar primär an ParteigängerInnen und (potenzielle) WählerInnen der Linken richtet. Seine strikte Fixierung auf die Prostitutionsdebatte innerhalb dieser Partei mag zwar dazu taugen, die innerparteiliche Diskussion voranzubringen und bei manchen GenossInnen einem kritischeren Bewusstsein auf die Sprünge zu helfen. Für alle anderen könnte es das Buch aber uninteressanter erscheinen lassen. Das wäre bedauerlich, denn der Band arbeitet etliche grundsätzliche Kritikpunkte an der wie Sass sie treffend bezeichnet „Prostitutionswirtschaft“ sehr gründlich heraus und wirft zudem einen für alle erhellenden Blick auf die Freier.

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Katharina Sass (Hg.): Mythos „Sexarbeit“. Argumente gegen Prostitution und Sexkauf.
PapyRossa Verlag, Köln 2017.
159 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783894386481

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