Ein Studie in Korruption

Jerome P. Schaefers ungarischer Nachwenderoman „Der Dschungel von Budapest“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kann viel gegen diesen Krimi einwenden: die überbordende Bezeichnungslast, die Ausstattungsklischees, der allzu typische (weil verkrachte) Ermittler, die Verneigung vor dem touristischen Highlight Budapest, die vielleicht dann doch zu naheliegende Mixtur von Macht und Machtmissbrauch in der Nachwendezeit, die vielleicht doch zu idyllische Schilderung des Gangstermilieus (vor allem der alten Schule), die aufgeladene Geld- und Machtgier, die den Zusammenbruch der Ostblocksysteme noch beschleunigte, und die Abscheu vor den neuen Zeiten, die nichts so belassen, wie sie einmal waren. Ja, sogar den Titel kann man gegen diesen kleinen Krimi wenden: Dass das da draußen ein Dschungel ist, weiß jeder halbwegs brechtkundige Leser ebenso wie der medienfreudige „Monk“-Zuschauer. Warum dann nicht auch Budapest? Und dass hier jemand, der sich auskennt, seine Leser durch Straßen schickt, von denen er und sie bislang nichts ahnten, bleibt eben nicht ungestraft – Budapest-Liebhaber werden das hingegen schätzen. Immerhin hat die Stadt, haben die beiden Städte, einiges zu bieten.

Aber sei’s drum, den Kern dieses Krimis fasst man mit einem solch wohlfeilen Generalverriss eben doch nicht. Denn Schaefer bietet in der Konstruktion seines Krimis dann noch, wenn nicht einiges Überraschendes, dann doch nicht allzu Leichtgängiges.

Bleiben wir beim Machtthema: Dass die Wende- und Nachwendezeit selbst in einem im Ostblock so solitären Land wie Ungarn Raum für eine Menge krimineller Karrieren gegeben haben mag, lässt sich wohl nicht ganz von der Hand weisen. Aber auch wenn der Budapest-Dschungel am Ende doch vor allem von einer semi-kriminellen Elite beherrscht wird, die ihre Position mit aller Macht erhalten will (was eben doch ein bekanntes Muster ist), ist das Szenario allerhand wert. Womit – das sei hier ausdrücklich formuliert – die wohlfeile, wenngleich berechtigte Kritik an der derzeitigen ungarischen Regierung nicht gemeint ist: Dieser Krimi ist, auch wenn er betont, auf Tatsachen zu beruhen, vor allem eine Fiktion, und das heißt im Wesentlichen eine Fallstudie über eine Gesellschaft im Umbruch und der Fraktionen, die dabei Wirkung entfalten (wenn Sie Friktionen nicht wollen, dann Brüche). Und die hat eben einer Truppe, die aus dem alten Regime kommt und sich über die neuen ökonomischen Brachen in die politische Macht putscht, wenig entgegen zu setzen. Was erstens eben auch der These Futter gibt, dass ein solcher politischer Umbruch eigentlich nicht moderierbar ist. Und zweitens: Was eben auch nicht bedeutet, dass dieser Umbruch vermieden werden könnte oder auch nur sollte. Aber das ist eben eher ein Thema fürs politische Praxisseminar, zu dem dieser Roman eigentlich wenig mehr beizusteuern hat als die Einsicht, dass gegen Machtmissbrauch oder den Aufstieg der Falschen wenig zu machen ist, man aber trotzdem etwas anderes will als die ewigen Parteivorsitzenden da oben. Wir werden sehen, was mit dem nächsten autoritären Regime passiert, das bankrott geht und seine Kamarilla nicht mehr nährt.

Wenngleich Schaefer also ein wenig mit der Empörung spielt, die angesichts der Skrupellosigkeit von Kriminellen an der politischen Macht nahe liegt, richtet er den Fokus dann doch auf etwas anderes. Und das ist eben nicht zuletzt die fatalistische Lösung, soll heißen, er meidet bei allen touristischen Ehren das gute Ende und lässt – auch wenn er seinen Ermittler schont – weder den Kriminellen alter Schule (Boxschule als Fassade, was sonst) noch Ehefrau und Kind des juristischen Handlangers der neuen Akteure davonkommen. Und das, obwohl sie dem erkenntnisleitenden Helden der Geschichte persönlich anvertraut worden sind, gegen gutes Geld, aber eben auch gegen das, was man wohl Detektiv-Ehrenwort nennen muss. Hilft alles nichts, die schöne Advokatengattin und deren kleines Mädel werden schließlich genauso hingemeuchelt wie einige andere Leute auch, die zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen sind. Und das gute böse Geld auf den Auslandskonten ist auch schon weg. Der Plot ist denn auch sehr einfach: Ein offensichtlich wohlhabender Anwalt beauftragt den Ermittler, einen rückgekehrten ungarischstämmigen Amerikaner, seine Frau und Tochter zu beschützen, was ziemlich daneben geht. Das Ganze wird in wenigen Tagen abgehandelt, in denen nicht zuletzt das Rätsel, das hier als formuliert vorgestellt werden muss, gelöst werden soll.

Was auf eine aufschlussreiche Lösung des Erkenntnisproblems hinweist, das für diesen wie für andere Krimis gilt: Woher bekommen die Ermittler ihre Hinweise und was macht sie so schlau, dass sie am Ende nicht nur alles aufdecken und die Bösen hinter Gitter bringen (oder neuerdings: umbringen), sondern auch noch die Beweise dafür heranschaffen können? Mittelmäßige Krimis haben dafür den diskursiven Showdown am Ende, bei dem Ermittler und Bösewicht einander gegenüberstehen und der Letztgenannte dem Vertreter von Recht und Ordnung alles erklärt, was er wissen muss. Und wir wissen, ein Geständnis ist noch besser als ein Beweis. Ansonsten rennen die Ermittler durchs Geschehen, reden mal diesem, mal mit jenem, zapfen ihre Quellen im Milieu an und dergleichen mehr, was bei der Post mit dem sogenannten Sohlengeld vergolten wird. Im Krimi kommt dabei immer was heraus, und man fragt sich manchmal wieso?

Schaefer hingegen schaltet eine andere ermittelnde Instanz vor, womit es ihm möglich wird, den allzu kurzen Auftritt seines Detektivs hinreichend aufzuwerten (soll heißen: überhaupt erst möglich zu machen). Der kommt nämlich einem Journalisten auf die Spur, der – auf dem Sprung zur internationalen Karriere – zu den korrupt-kriminellen Ursprüngen des Regierungschefs (damals nach der Wende) recherchiert hat. Dabei hat er eine Menge herausbekommen und wird dafür bitter bestraft. Aber er hat alles aufgeschrieben, und unser Detektiv ist schlau genug, genau diese Notizen zu finden und der Polizei zu übergeben. Womit dann alles klar wird, aber nichts auffliegt. Die Verhältnisse, die sind eben dann doch so. Im Dschungel gibt’s die großen Tiere mit großen Zähnen und die kleinen, die gefressen werden.

Titelbild

Jerome P. Schaefer: Der Dschungel von Budapest. Roman.
Transit Buchverlag, Berlin 2021.
144 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783887473877

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