Grantler, Brudler, Ich und Du.
Friedrich Schleiermachers Schrift zur Übersetzungstheorie aus dem Jahr 1813 ist in einer neuen Edition erschienen
Von Kai Sammet
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEigentlich übersetzt man ja dauernd, von hier nach da, von da nach hier, und auch sich selbst muss man sich ja dauernd übersetzen: was zum Teufel meintest du eigentlich grade mit deinem Gerede? Oder auch (nur?) finde das treffende Wort! Nein, das war nicht das richtige, aber was wäre das richtige gewesen? Dann fängt das Herumgefingere in der Kiste mit den alten Schrauben an, vielleicht findet sich ja die richtige. Ist das das, worum es hier geht? So ähnlich. Jedenfalls gehört es dazu.
Zweimal hielt Friedrich Schleiermacher einen Vortrag Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens, am 24. Juni 1813 in der Philosophischen Klasse der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, dann am 3. Juli 1813 in öffentlicher Sitzung.
Wann spricht man vom Übersetzen? Natürlich wird von einer Sprache in die andere übersetzt, dann aber auch von Dialekt zu Dialekt oder vom Dialekt ins (Hoch-)Deutsche. Ist der bayerische ‚Grantler‘ identisch mit dem schwäbischen ‚Brudler‘? Nein, aber es gibt womöglich Familienähnlichkeiten. Beide nörgeln, aber sie machen semantisch-pragmatisch auch allerhand Anderes, und ob sie grundcharakterlich Miesepeter sind: schwer zu sagen.
Dann gibt es auch Übersetzungen zwischen verschiedenen ‚Volksklassen‘. Die Unterschicht redet anders als die Bildungsbürgerin. Dann, das muss man ergänzen, reden Generationen unterschiedlich. Ey digga alda, isch schwör! Mom, Däd, cosy, nice. Dann, das muss man ergänzen, könnte die Frage sein, wie sich Migration, d. h. die Prozesse der Verständigung in einem Land mit vielen Sprachen aufs tägliche Verständigen (aka Übersetzen?) auswirkt, was da passiert. Ich habe keinen Schimmer.
Und weiter, sei es nicht oft nötig, so Schleiermacher, dass wir uns die Rede „eines andern, der ganz unseres gleichen ist aber von anderer Sinnes- und Gemüthsart, erst“ übersetzen müssten? Hier kommen Emotionen ins Spiel, denn wir „fühlen, daß dieselben Worte in unserm Munde einen ganz anderen Sinn oder wenigstens hier einen“ stärkeren, dort einen „schwächeren Gehalt haben würden als in dem seinigen“ und dass, wenn wir dasselbe, „was er meint“, ausdrücken „wollten, wir nach unserer Art uns ganz anderer Wörter und Wendungen bedienen würden“. Wie könnten wir ihn oder sie da verstehen? Das ist schwer zu sagen und hat dann natürlich etwas mit Hermeneutik, dem einfühlenden Deuten zu tun – und das dann wieder mit Ich- und Du-Empathie. Wie hätte ich es gesagt, wenn ich an seiner/ihrer Stelle gewesen wäre? Und: Was sagt er/sie? Und schließlich lässt sich bemerken, dass wir uns „unsere eigene Reden […] bisweilen nach einiger Zeit“ übersetzen müssen, „wenn wir sie uns recht wieder aneignen wollen“. Auch semantisch steigt man niemals in denselben Fluss.
Übersetzen ist aber nicht gleich Übersetzen. Schleiermacher unterscheidet Dolmetschen und Übersetzen (fließende Grenzen selbstredend). Gedolmetscht wird bei Handels- oder politischen Beziehungen. Da steht der Gegenstand im Vordergrund, es ist quasi ein mechanisches Transferieren. Auch bei Rechtsgeschäften ist das so, oft jedenfalls, auch wenn hier schon unterschiedliche Rechtstraditionen eine Rolle spielen.
Dort aber, wo man vom Gegenstand wegkommt, wo die Sprache zunehmend tragend wird und d.h. insbesondere in der Kunst, also Literatur und der ‚höchsten Wissenschaft‘, der Philosophie, da wird übersetzt.
Jetzt wird es nicklig. Denn da hat jeder ein vertracktes Verhältnis zur Sprache: „Jeder Mensch ist auf der einen Seite in der Gewalt der Sprache, die er redet“, sein ganzes Denken ist ein Erzeugnis „derselben“. Die Grenzen deiner Sprache sind die Grenzen deiner (Denk-)Welt. Die „Gestalt seiner Begriffe“, Extension und Intension dieser Begriffe, die Möglichkeiten „ihrer Verknüpfbarkeit“ sind „vorgezeichnet durch die Sprache“, in der man/frau „geboren und erzogen ist, Verstand und Fantasie sind durch sie gebunden“. Andererseits aber prägt eine Person selbst die Sprache, ist hier individuell, die ‚Rede‘ muss verstanden werden „aus dem Gemüth des Redenden als seine That, als nur aus seinem Wesen gerade so hervorgegangen und erklärbar“.
Das Übersetzen ist eine Dreierrelation: SchriftstellerIn, ÜbersetzerIn, LeserIn. Allgemein gilt: Wenn LeserInnen etwas verstehen sollen, dann müssen sie „den Geist der Sprache auffassen, die dem Schriftsteller einheimisch war“, sie müssen die je eigentümliche „Denkweise und Sinnesart anschauen können“. Wie kann der/die ÜbersetzerIn „diese beiden ganz getrennten Personen“, SchriftstellerIn hie, LeserIn da, „wirklich einander zuführen“ und LeserInnen, ohne dass sie „aus dem Kreise“ ihrer „Muttersprache heraus“ gezwungen werden, Verstehen des fremdsprachigen Schriftstellers oder der fremdsprachigen Schriftstellerin ermöglichen? Welche Optionen gibt es da?
Grundsätzlich, so Schleiermacher, nur zwei: „Entweder“ der Übersetzer oder die Übersetzerin „läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe, und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen“. Was könnte das meinen?
Im ersten Fall will der Übersetzer oder die Übersetzerin LeserInnen den Eindruck vermitteln wie er oder sie ihn von der Ursprache hatte. Der Leser oder die Leserin werden also dem Fremden entgegen bewegt. Nun ist die Frage, für wen eigentlich übersetzt werden soll? Und, was passiert im/in der ÜbersetzerIn? Abgesehen von zweisprachig Aufgewachsenen wird es so sein, dass ein/e ÜbersetzerIn nicht völlig in der anderen Welt aufgeht, es bleibt ein Moment der Fremdheit. Schleiermacher diskutiert die hier womöglich zugrunde liegenden Probleme nicht. Übersetzungen sind für ein gebildetes Publikum, dem die Fremdsprache, aus der übersetzt wird, vertraut ist, aber eben nicht so vertraut, dass es ohne Übersetzung geht. Würde das aber nicht bedeuten, dass man Übersetzungen aus sehr, sehr vielen Sprachen gar nicht machen könnte/sollte? Oder man nur Bücher lesen dürfte aus einer Sprache, die man selber lesen könnte? Blieben damit nicht viele historische und kulturelle Kontexte völlig außerhalb des Blicks? Habe ich ihn da falsch verstanden?
Wie auch immer, es gibt fast unübersteigliche Probleme vor allem bei Lyrik. Sie lebt u. a. von Rhythmik, Klang. Soll eher das ‚übersetzt‘ werden, dann leidet der Inhalt oder soll der Inhalt übersetzt werden, dann werden die sinntragenden Schichten von Klang, Reim und Rhythmus weggeholzt. Hier muss die „feinste Linie“ beachtet werden, es gibt hier keine Faustregel, kein Kochrezept.
Die entgegengesetzte Methode will dem Leser oder der Leserin „gar keine Mühe und Anstrengung“ zumuten, sie will „den fremden Verfasser in“ des Lesers oder der Leserin „unmittelbare Gegenwart hinzaubern“, will das „Werk so zeigen, wie es sein würde, wenn der Verfasser selbst es ursprünglich in des Lesers Sprache geschrieben hätte“. Der/die ÜbersetzerIn also bleibt in seiner/ihrer Muttersprache – also zum Beispiel Deutsch. Da aber Gedanke und Ausdruck „ganz dasselbe sind“, geht das nicht, denn der/die SchriftstellerIn würde so „von seiner angebornen Sprache“ getrennt werden, denn „eine Gedankenreihe eines Menschen“ könne nicht „eine und dieselbe werden in zwei Sprachen“. Für Schleiermacher ist klar, dass nur die erste Methode funktionieren kann.
Es ist verdienstvoll, dass der Alexander Verlag eine Neuausgabe der Schleiermacherschen Schrift aufgelegt hat. Vielleicht sollte das überhaupt alle paar Jahre passieren, denn egal wie man im Einzelnen zu Schleiermachers Überlegungen stehen mag, sein Vortrag von 1813 ist eine zentrale Referenzstelle für Probleme des Übersetzens. Darauf beziehen sich auch in ihrem instruktiven Nachwort die Herausgeberin und der Herausgeber Elisabeth Edl und Wolfgang Matz, die selbst für viele Übersetzungen insbesondere aus dem Französischen verantwortlich zeichnen. Sie stehen ganz auf Schleiermachers Seite: nur die erste Art des Übersetzens ist möglich. Dabei erwähnen sie auch die Frage des französischen Lyrikers Yves Bonnefoy in dessen Buch zur Übersetzung von Lyrik. Fällt der Schnee in allen Sprachen „‘auf gleiche Weise‘“? Nein. Die naturwissenschaftliche Definition von Schnee, so Edl und Matz, sei universal. Doch der „Echoraum der verschiedenen weltsprachlichen Worte, die ihn bezeichnen, ist es ganz sicher nicht: Klang, Betonung, Silbenzahl, aber auch das so ganz andere Assoziationsfeld etwa für einen provenzalischen oder schwedischen Dichter“.
Und was könnte daraus folgen? So wie man nicht nicht-kommunizieren kann, kann man vielleicht auch nicht nicht-übersetzen. Zu schwurbelig?
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