Der nicht so ernste Tod

In Ferdinand Schmalz‘ Debütroman trifft groteske Handlung auf skurrile Figuren und abenteuerlichen Satzbau. Witz und Ernsthaftigkeit vermischen sich zu „Mein Lieblingstier heißt Winter“.

Von Alisa HrubyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alisa Hruby

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rehragout, Nazi-Weihnachtsbaumschmuck und ein rotfaktoriger Kanari. Die Willkürlichkeit dieser zusammengewürfelten Begriffe könnte kaum größer sein. Und dennoch gelingt es Ferdinand Schmalz in seinem Text dieser Willkür einen sinnhaften Zusammenhang zu verleihen. Der Roman knüpft an seine 2017 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis gekürte Kurzgeschichte selben Namens an. Die Handlung wird ausgebaut und deckt das Verschwinden einer Leiche auf. Die Bezeichnung Krimi, anstelle von Roman, ist somit durchaus angebracht.

Den Ausgangspunkt der Handlung bildet der Wunsch von Doktor Schauer, in seiner Tiefkühltruhe zu sterben. Später möchte er auf einer Lichtung wieder auftauen, um nicht auf ewig in seinem Keller zu liegen. Hier kommt der Tiefkühlkost-Lieferant Franz Schlicht ins Spiel, der Schauer alle zwei Wochen sein Rehragout liefert, welches besagte Tiefkühltruhe füllt. Schlichts Aufgabe ist es, „mit seinen tiefkühlunternehmerischen Möglichkeiten“ den Transport des Leichnams in Angriff zu nehmen. Als er die Leiche zu vereinbartem Zeitpunkt abholen möchte, ist die Tiefkühltruhe allerdings leer. Nun beginnt für Franz Schlicht die Suche nach der Leiche. Ohne besonderes Zutun seinerseits gerät er dabei von einer verrückten Handlung in die nächste und trifft eine Vielzahl von interessanten Personen.

Bei den Figuren handelt es sich um absolute Kunstfiguren. Stark überzeichnete Personen mit sprechenden Namen. Figuren und Sprache des Romans bilden eine Einheit deren Basis die Künstlichkeit ist. Der mit einem österreich-bayrischen Dialekt versetzte Duktus weist einen sonderbaren Satzbau auf, der bereits zu Beginn des Textes unübersehbar ins Auge fällt: „Und dass jetzt er, der Schlicht, in diesem Plan auftauche. Dass mit den Möglichkeiten, mit seinen tiefkühlunternehmerischen Möglichkeiten, man einen Transport seines Leichnams doch in Angriff nehmen könnte.“ Hat man sich aber erst einmal an diesen besonderen Stil gewöhnt, erscheint die ungewöhnliche Syntax melodisch und wie eine Mischung aus alltäglicher Sprache und Lyrik. Besonders wirkungsvoll ist das im Übrigen beim lauten Lesen des Texts, da dabei das Melodische besonders hervortritt.

Die Figuren und deren Vorlieben, denen Franz Schlicht auf seinem Weg begegnet, irritieren, verwundern und bringen zum Lachen. Erwartet man ernste, psychologisch ausgefeilte Figuren auf der Grundlage eines Krimis wird man hier enttäuscht. Doch wird mit literarischer Unterhaltung belohnt, wer sich auf die bizarren Kunstfiguren einlässt: Da ist die Besitzerin Teufel der Putzfirma Schimmelteufel, die ihrem Namen alle Ehre macht und alles und jeden hintergeht. Ein Ministerialrat und seine Leidenschaft für Nazi-Weihnachtsbaumschmuck. Ein Ingenieur, der sich in seinem Haus einmauert. Der Ehemann einer Doktorin, der sein Leben erst genießen kann, wenn er sich ins künstliche Koma versetzt. Zwischen all diesen amüsant erscheinenden Figuren verbirgt sich, geschickt eingeflochten, das ernste Thema des Todes. Um genau zu sein, die Frage, „Wie geht das Sterben?“. Es gelingt dem Autor, auf diesem schmalen Grat zwischen Humor und Ernst auch, das schwierige Thema Freitod angemessen zu diskutieren.

Immer wieder überrascht der Text mit tiefgründigen Unterhaltungen in bizarren Situationen und lässt so zu keinem Zeitpunkt Langeweile aufkommen. Wer den Text mit zu ernsten Erwartungen liest, wird an Mein Lieblingstier heißt Winter wenig Gefallen finden. Sowohl auf die gewöhnungsbedürftige Sprache als auch auf die verrückte Handlung muss man sich einlassen. Ist man dazu aber bereit, sorgt der Roman gleichzeitig für Lachen und Nachdenken und bietet gute und mitunter tiefgründige Unterhaltung.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2022 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2022 erscheinen.

Titelbild

Ferdinand Schmalz: Mein Lieblingstier heißt Winter.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2021.
208 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783103974003

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