Das Schöne als des Schrecklichen Anfang

Über Frank Schwamborns essayistische Betrachtungen zum Werk W.G. Sebalds

Von Karl-Josef MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karl-Josef Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Begriff des Poeten ist aus der Mode gekommen, auch Dichterinnen oder Dichter sind äußerst selten geworden, wenn von zeitgenössischer Literatur die Rede ist. Schriftsteller oder Lyriker ja, aber Dichter und Poeten? „Bildungssprachlich veraltend, sonst scherzhaft“, lautet die Duden-Definition zum Begriff des Poeten.

Iris Radisch bezeichnet die Sprache von W.G. Sebald als „ein kostbares, der Jahrhundertwende abgelauschtes Idiom“. „Manchmal“, so Radisch, kippe „derselbe leicht verschnupfte, hoch elegante Gelehrtenton, der einen bei der Beschreibung englischer Landgüter und den Ausflügen in die Kulturgeschichte gerade entzückte, […] ins Gespreizte und Affektierte.“ Einen „Verriss“ nennt Frank Schwamborn in seinem Buch W.G. Sebald. Moralismus und Prosodie Radischs Rezension des letzten literarischen Werkes von W.G. Sebald mit dem Titel Austerlitz. Der Ton, den Radisch dabei anschlägt, muss in den Ohren begeisterter Sebald-Leser beleidigend klingen, denn die Rezensentin lässt kaum ein sprachliches Mittel unversucht, das Buch von Sebald der Lächerlichkeit preiszugeben.

In einer seiner vielen Parenthesen distanziert sich Schwamborn denn auch von ihr: „Die blanke Verständnislosigkeit, die aus dem Verriss von Radisch spricht, stellt nicht gerade ein Ruhmesblatt dar für die renommierte Kritikerin.“ Die bloße Behauptung blanker Verständnislosigkeit wird von Schwamborn nicht weiter begründet. Dabei könnte eine ausführliche und fundierte Auseinandersetzung mit den kritischen Stimmen zu Sebalds Werk, für welche die Position von Radisch nur ein Beispiel ist, einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis dieser Texte liefern.

Denn das Werk von Sebald ist eher das eines Poeten und Dichters im emphatischen Sinne als das eines Schriftstellers im nüchternen. Es herrscht ein hoher Ton vor, hervorgerufen durch den alliterierenden Sprachgestus und die häufige Verwendung einer erlesenen und antiquarisch anmutenden Begrifflichkeit. Sebald bedient sich einer Sprache, bei der einem die Werke von Rainer Maria Rilke oder Stefan George in den Sinn kommen. Bei Bewunderern wie Kritikern unbestritten ist der stilistische Einfluss Adalbert Stifters.

In vielerlei Hinsicht wirkt das Sebaldʼsche Werk wie aus der Zeit gefallen. Und wer sich nicht wie Radisch a priori voller Spott und Hohn von diesen Texten abwendet, möchte nur zu gerne begreifen, was ihn bei der Lektüre von Nach der Natur, Schwindel. Gefühle, Die Ausgewanderten, Die Ringe des Saturn. Eine englische Wallfahrt und Austerlitz eigentlich ergreift, um es mit Emil Staiger zu sagen.

Schwamborn kann diese Frage auf 262 Seiten plus umfassender Bibliografie mit weit über 300 Titeln nicht beantworten. Hinzu kommen 825 mehr oder weniger umfangreiche Anmerkungen sowie eine Überfülle von in Klammern gesetzten Parenthesen. Beides, die Parenthesen wie die zum Teil sehr umfassenden Fußnoten, machen es dem geneigten Leser nicht gerade leicht, den Gedankengängen des Autors zu folgen. Zu sehr ist dieser bemüht, seine Belesenheit unter Beweis zu stellen, weniger wäre oftmals mehr gewesen.

Schwamborn möchte das Werk Sebalds „auf betont persönliche, um Textnähe und Blick auf die Details bemühte Art“ lesen, wie er in seiner kurzen Vorbemerkung kundtut. Dagegen wäre nichts einzuwenden, würde die Fülle der hervorgehobenen Details nicht den Blick auf das Zentrum des Sebaldʼschen Werkes verunmöglichen. Denn anstatt konzentriert der Frage nachzugehen, welchen Einfluss die Werke Stifters oder die Thomas Bernhards auf das Schreiben von Sebald haben, verstreut Schwamborn seine entsprechenden Beobachtungen dazu auf jeweils 14 kurze Einlassungen zu beiden Autoren. Gleiches gilt für den Komplex der deutsch-jüdischen Geschichte. Im von Claudia Öhlschläger und Michael Niehaus herausgegebenen W.G. Sebald-Handbuch (Stuttgart 2017) wird dazu die zentrale Frage gestellt: „Eignet sich die Vermischung von Tatsachenbericht und Fiktion überhaupt für einen so beladenen Stoff wie die deutsch-jüdische Geschichte?“

Man kann Schwamborn nicht vorwerfen, dieser Thematik ausgewichen zu sein. Aber anstatt ihr ein eigenes Kapitel zu widmen, verteilt er seine darauf gerichteten Überlegungen über die gut 260 Seiten seines Buches.

Im Besonderen fehlt ein eigenständiges Kapitel, das die Spannung zwischen dem hohen elegischen Ton von Sebalds Texten einerseits und ihren ans Nihilistische grenzenden Inhalten andererseits thematisieren würde. Das Schöne des Tons und das oftmals Schreckliche des Inhalts stehen vermeintlich unvermittelt und provozierend nebeneinander. Das Ergebnis ist ein faszinierender Sebald-Sound, der manchem auch fragwürdig klingt, wie Sulamith Sparre vermerkt: „Ich habe mir manchmal gedacht, dass doch bisweilen gleichsam die symbolische Überhöhung eines Schicksals zu dick aufgetragen ist.“ Schwamborn weiß um diese Problematik, das Zitat von Sparre findet sich in seinem Text, er versäumt es aber, der Frage nach dem hohen Ton in einem eigenen Kapitel expliziter auf den Grund zu gehen.

Damit kommen wir zurück auf das Ziel Staigers, der seinen Lesern anhand einer genauen Lektüre dabei helfen wollte zu begreifen, worin die Faszination eines sprachlichen Kunstwerkes begründet liegen könnte. Schwamborn gelingt genau das nicht. Er reiht eine Fülle von interessanten Beobachtungen aneinander, in denen der Leser die Orientierung zu verlieren droht. Wiederholt gelangt er zu bedenkenswerten Überlegungen, doch anstatt diesen systematisch nachzugehen, lässt er den aufgegriffenen Faden fallen, um sich einer neuen Beobachtung zuzuwenden, die dann ebenfalls nicht zu Ende gedacht wird. So bleibt weiterhin offen, welche Bedeutung dem Sebaldʼschen Œuvre zukommt, das auch fast siebzehn Jahre nach dem Tod seines Autors nichts von seiner verstörenden Faszination verloren hat.

Titelbild

Frank Schwamborn: W.G. Sebald. Moralismus und Prosodie.
Iudicium Verlag, München 2017.
287 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783862055050

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