Ein Plädoyer für das Leben

Ruth Schweikert gibt ungeschminkt Auskunft

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Ruth Schweikert an den diesjährigen Solothurner Literaturtagen die Bühne betrat, waren Bewunderung und Betroffenheit im fast bis auf den letzten Platz besetzten Saal beinahe physisch greifbar. Atemlos lauschten gegen 600 Frauen und Männer, was die Autorin nach einer mehrjährigen Brustkrebsbehandlung zu erzählen hatte. Ruth Schweikert setzt sich in ihrem neuesten Buch Tage wie Hunde schonungslos wie hochliterarisch mit der Krankheit Krebs auseinander. Gut drei Jahre sind vergangen, seit sie, nur wenige Monate nach ihrem fünfzigsten Geburtstag, an jenem 16. Februar 2016 erfahren hat, an einer besonders aggressiven Form von Brustkrebs erkrankt zu sein. Nun sitzt sie da, wach, kämpferisch, aufmerksam, und wirft den Zuhörerinnen in Solothurn, aber auch den Leserinnen, die sich ins Buch vertiefen, den Ball zu, der da heißt: Zum Leben gehört der Tod, der Tod ist eine Bedrohung, jede und jeder ist herausgefordert, sich damit auseinanderzusetzen. Und wenn der Tod anklopft, gilt es, sich für das Leben zu entscheiden, die Verantwortung für das Leben zu übernehmen, aktiv zu bleiben, zu kämpfen, Widerstand zu leisten, nicht nur für das eigene Leben einzustehen, vielmehr für das Leben ganz allgemein, denn letztlich ist alles Leben gefährdet – sei es durch Klimaveränderung oder durch Krebs.

Ruth Schweikert hat mit Tage wie Hunde keine Krankheitsgeschichte geschrieben, keinen Ratgeber «Wie gehe ich mit meinem Krebs um», keinen nach Mitleid heischenden Erfahrungsbericht. Sie ist aber auch weit davon entfernt, einen Sinn in der Krankheit zu sehen. Klagen über die Eltern, die verantwortlich für die Krebserkrankung des Sohnes seien, wie sie in Fritz Zorns Mars nachzulesen waren, sind ihr ebenso fremd wie die Suche nach der Schuld (die eigene oder die der anderen, der Umwelt und so weiter). Sie zeigt uns vielmehr, wie eine Frau mit der Diagnose »aggressiver Brustkrebs« lebt.

Tage wie Hunde beginnt am 16. Februar 2016. Auflehnung, Mitteilung, Suche durchziehen die Kurznachrichten, die die Autorin schreibt und bekommt. Doch bald schon wendet sie sich vermehrt dem zu, was dieses ihr Leben ausmacht. Existenzielle Fragen stellen sich: Was ist wichtig? Was bedeuten ihr die Schreibkurse mit Jugendlichen, die sie leitet, die Begegnungen mit den jungen Menschen, die noch viel vorhaben? Wie lernt sie, mit Zuschriften von Freundinnen, die sie verletzen, umzugehen? Sie fühlt sich zu Hause in ihrer Familie und erlebt eine Nähe zu ihrem Vater und der Halbschwester, wie sie sie noch kaum je erfahren hat. Leben ist ein Begriff, der sich durch diesen Text zieht, Liebe ein weiterer. Liebe zum Partner E., zu den Kindern, zu den Studentinnen und Studenten, die sie in ihrer Tätigkeit als Mentorin am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel begleitet hat, Liebe zum Schreiben, zur Literatur. Verbunden mit Engagement für die Literatur, die Lücken in der Literaturbranche. Dies alles legt uns die Autorin in diesem Text vor und verbindet damit die Aufforderung an jede und jeden von uns, sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen, sich letztlich dem bewusst zu stellen, was leben / Leben bedeutet.

Tage wie Hunde ist ein kunstvoll gearbeiteter Text, der sich über sieben Tage – von Dienstag bis Montag – hinzieht, der weit zurückführt in die Herkunftsfamilie der Autorin und ebenso Gegenwart und Zukunft erfasst. Es ist ein tief philosophischer Text, der zu den zentralen Lebens-Fragen führt. Ein lebensbejahender Text, der auffordert, keinen Tag länger zu zögern, dieses Leben, das einzigartig ist, auch zu leben. Tage wie Hunde lässt keine voyeuristische Lektüre zu, und es geht auch nicht darum zu erfahren, dass die Autorin ihre Krebserkrankung «überwunden» hat. Vielmehr erinnert uns Ruth Schweikert daran, dass der Tod am Ende jeden Lebens steht. Dass diese Aussage Mut macht und nicht traurig stimmt, ist das Verdienst einer Autorin, die sich in ihren Romanen und Erzählungen immer kraftvoll und schonungslos den zentralen Fragen gestellt hat und dies in ihrem neuesten, sehr persönlichen Buch einmal mehr radikal tut.

Titelbild

Ruth Schweikert: Tage wie Hunde.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2019.
208 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783103973860

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