Der Untergang des Abendlandes

Leonhard F. Seidl lässt einen Philosophen in „Vom Untergang“ politisch werden

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist am Ende doch eine Petitesse, die Frage nämlich, ob Oswald Spengler, dessen „Untergang des Abendlandes“ ihn zu einem der bekanntesten Autoren (Denker mag man nicht recht sagen) des frühen 20. Jahrhunderts gemacht hatte, sich tatsächlich daran versucht hat, die verhasste Republik in den Untergang zu treiben. War sie doch in seinen Augen Ausdruck von gesellschaftlicher Dekadenz, Niedergang und Zerfall. Eine derart unkriegerische, dem Hedonismus verfallene Gesellschaft, wie sie sich schon zu Beginn des Massen- und Konsumzeitalters zeigte, konnte gegen die kriegerischen Gesellschaften im Aufstieg kaum bestehen. Und in den Untergang zu treiben, was ihm ohnehin verschrieben war, ließ sich sehr gut als wohlüberlegte und kluge politische Tat verkaufen – womit sich dann jeder Gewaltexzess legitimieren, zu dem sich die politische Rechte in der Weimarer Republik gegenüber ihren eigenen Landsleuten hinreißen ließ, weil die sich einer weniger überlieferten als zynischen Weltordnung widersetzten.

Das ist Teil der politischen Geschichte der jungen deutschen Republik, die ihre ersten Monate nur deshalb überlebte, weil sie eine verhängnisvolle Liaison mit den korrupten und aggressiven Freikorps einging, die der später als „System“ beschimpften Republik ferner nicht stehen konnte. Eben alles Pack, was sich da Rechte anmaßte.

Die erste deutsche Republik war voller Widersprüche und Extreme, was bekannt genug ist und zu zahlreichen, höchst lesbaren historiografischen Studien geführt hat, und mittlerweile zu einer erklecklichen Zahl literarischer Bearbeitungen. Der Krimi folgt da dem Generaltrend, der offensichtlicher nicht sein kann.

Leonhard F. Seidl unternimmt in Vom Untergang nun den Versuch insbesondere die Phase um das Jahr 1922, in denen die bereits extremen Widersprüche der Weimarer Republik nochmals auf die Spitze getrieben wurden, erzählerisch zu fassen. Das ist die Hohe Zeit der Organisation Consul, der Attentate auf Scheidemann und Rathenau, kurz vor dem Hitlerputsch 1923, der dann so erbärmlich enden sollte, auch wenn damit der Spuk nicht vorbei war.

Dabei greift Seidl auf einen Plot zurück, der vielleicht ein wenig unnötig kompliziert ist: Die Tochter eines Anarchosyndikalisten, Emma Hierer, wird zufällig Sekretärin eines Fabrikanten, der in einen Komplott zum Sturz der Republik verwickelt ist, der maßgeblich vom Forstrat Georg Escherich, der bei den bayerischen Bürgerwehren nach 1919 eine zentrale Rolle spielte, – und eben Oswald Spengler vorangetrieben wird. Das Ganze spielt mehr oder weniger in Fürth, wobei Seidl immer wieder auch ins Große Ganze und in die Politik abhebt. Die Geschichte des Komplotts, den Emma als Vertraute und Geliebte des Fürther Spiegelfabrikanten Gumbrecht (auch das ein beständiges Motiv in der Literatur der 1920er, in der die Chefs die Finger von den Bürofrauen nicht lassen können, samt der ungewollten Schwangerschaft) aufdeckt, ist verwoben mit der missratenden Beziehung Emmas mit dem Tischler Max Schmidtill, der notgedrungen, weil arbeitslos, als Eintänzer arbeitet. Schmidtill, ein Sozialdemokrat, gerät im Laufe der Handlung an den unehelichen Sohn Gumbrechts, Hans Schachtel, der zu den Nazis gestoßen ist und ansonsten in der Fabrik seines Vaters sein Unwesen treibt. Schachtel erpresst Schmidtill und zwingt ihn so dazu, in der väterlichen Firma im Betriebsrat die Arbeiterinteressen zu unterlaufen. Die Anstellung bekommt er als Belohnung. Aber das Ganze läuft aus dem Ruder, unter anderem weil Emma, die sich wieder Schmidtill zugewandt hat, das Kind, das sie erwartet, abtreiben will. Auch wenn nicht klar ist, wer der leibliche Vater ist, empört sich Schmidtill. Und am Ende ist er tot. Besser, und da beginnt die Konstruktion Seidls, bereits zu Beginn des Romans wird sein Tod mitgeteilt (Schachtel erschießt ihn). Es folgt eine kaum als zielführend zu begreifende Polizeiermittlung. Ein Sozialdemokrat als Opfer, und der Sohn eines der großen Fürther Spiegelfabrikanten als möglicher Täter, und das in einem Milieu, das eh den Arbeitern feindlich gegenübersteht – die Ermittlung wird wohl zu keiner Anklage führen. Was dann der Moment ist, in dem sich Emma endlich von Gumbrecht löst und das ungeborene Kind Schmidtill zuschreibt.

Unter dieser dann doch eher privaten Geschichte wird die der Emanzipation Emmas und wird auch der politische Skandal um die Verfolgung ihres Vater ein wenig verschüttet.Selbst der Komplott Spenglers, Escherichs und Gumbrechts, der bis in die große Politik einwirkt, läuft da ein wenig nebenher. Aber zugleich wird die enge Bindung der persönlichen Schicksale an die Ereignisse auf höchster politischer Ebene immer wieder, wenigstens durch die Struktur des Textes betont. Was es dann auch erlaubt, dokumentarische Texte bis hin zu Reichstagsreden politischer Größen der Zeit wie Karl Helfferichs (Deutschnationale Volkspartei) und Kanzler Joseph Wirths (Zentrum) abzudrucken und sie mit den profanen Handlungen auf der Akteursebene zu verschneiden. Das Private ist politisch und vice versa.

Dieser Verschnitt historischer Texte und fiktionaler Entwürfe, aus den Verschiebungen, die Seidl vornimmt, um einen lesbaren, verdichteten Text zu entwerfen, ist sicherlich das Interessante des Textes, auch wenn sich der Eindruck aufdrängt, dass Seidl hier am Ende zu viel versucht hat und ihm zu wenig gelungen ist. Aber das kann passieren.

Titelbild

Leonhard Seidl: Vom Untergang.
Edition Nautilus, Hamburg 2021.
243 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783960542841

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