Melancholische Gelassenheit

„Jung entschlafen“: Der Roman des finnischen Literaturnobelpreisträgers Frans Eemil Sillanpää in neuer und kompletter Übersetzung

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Silja, das junge schöne Landmädchen, verstarb ungefähr eine Woche nach Johannis, als der Sommer noch jung war. In Anbetracht ihrer Stellung bekam sie einen vergleichsweise angemessenen Tod. Obwohl sie eine vater- und mutterlose Dienstmagd war, die auch keine Hilfe von sonstigen Verwandten erwarten durfte, und obwohl sie einige Zeit von anderen gepflegt werden musste, war sie immerhin nicht auch noch auf Armenhilfe angewiesen. So blieb ihr Leben auch von diesem recht unschuldigen Anflug von Hässlichkeit verschont.

So beginnt der Roman Jung entschlafen des bislang einzigen finnischen Literaturnobelpreisträgers (1939) Frans Eemil Sillanpää (1888-1964). Am Ende heißt es lakonisch: „Silja hatte so gut wie keine ernsthaften Sorgen im Leben gehabt, nur vorübergehende qualvolle Momente, über die sich leicht ein poetischer Glanz hatte legen können.“

Der Text, 1931 auf Finnisch unter dem Titel Nuorena nukkunut und zeitgleich in schwedischer Übersetzung erschienen, kam nur ein Jahr später als Silja, die Magd auf den deutschen Buchmarkt. Ein Nachdruck des allerdings sowohl vom Verlag als auch von der Übersetzerin mehr oder weniger stark bearbeiteten Romans in Höhe von 5.000 Exemplaren wurde eingestampft, als Sillanpää im Dezember 1938 in der Zeitschrift Finnischer Sozialdemokrat einen „Weihnachtsbrief an die Diktatoren“ Hitler, Mussolini und Stalin veröffentlichte. Umso dankenswerter, dass der Berliner Guggolz Verlag, der sich der Pflege der Literatur vor allem aus skandinavischen Ländern verschrieben hat, diesen Klassiker nun neu übersetzt und ungekürzt vorlegt.

Ließ der Titel Silja, die Magd an herkömmliche, eher triviale Geschichten aus dem bäuerlichen Milieu – mit vielleicht leicht kitschigem Einschlag – denken, so wird die Neuübersetzung Jung entschlafen mit dem Untertitel Eines alten Stammbaums letzter Trieb diesem Roman über den melancholisch gelassenen Lebensweg der Hauptfigur Silja weit mehr gerecht.

Im zweiteilig angelegten Text erzählt Sillanpää, der nach dem Zweiten Weltkrieg als finnische Ikone galt, von der jungen Magd Silja, die 22-jährig an Schwindsucht stirbt. Der kurze Prolog gibt gleichermaßen einfühlsam wie lakonisch die Richtung der Romanerzählung vor, wenn es heißt: „Das Mädchen hatte in ihrem Leben kaum Zeit gehabt, mehr zu sein als ein Mensch, der lächelnd sein Schicksal erfüllte.“

Der erste Teil, mit „Der Vater“ überschrieben, gilt dem Lebensweg von Siljas Vater Kustaa Salmelus als einziges Kind wohlhabender Bauern auf einem alten Hof. Nach dem Tod der Mutter und bald des Vaters übernimmt er denselben. Kustaa, der mit einem „Lächeln in seinen Augen […] auf sämtlichen Pfaden seines Lebens“ wandelt, verliebt sich in Hilma, die Tochter des verschuldeten Kätners Plithari und seiner mürrischen Ehefrau – außerdem Schwester eines Tunichtgut. Kustaa und Hilma heiraten, bekommen Kinder, von denen zwei früh sterben. Nur Silja, von Anfang anders als ihre beiden etwas älteren Geschwister, überlebt. Kustaa und Hilma wirtschaften jedoch eher schlecht als recht und bald ist Kustaa verschuldet und muss schließlich den Hof verkaufen. Mit Frau und Tochter zieht er weiter südwärts, kommt aber auch dort nicht mehr recht auf die Beine, zumal Hilma bald stirbt. Kustaa kümmert sich liebevoll um das Kind, rettet ihr sogar das Leben, als sie in einen See einbricht. Als die 16-jährige Silja konfirmiert wird, stirbt der Vater: „Kustaa wurde dann an demselben Sonntag beerdigt, an dem Silja konfirmiert wurde, aber keines von diesen beiden Ereignissen blieb Silja nachhaltig im Gedächtnis.“

Als Vollwaise ist sie nun gezwungen, sich als Magd zu verdingen. Im Hause des Professors, in der Villa Rantoo in Rauhala, erfährt Silja väterliche Fürsorge:

Anfang Juli kam ein junger Herr nach Rauhala, um hier seinen Sommer zu verbringen. Er hieß Amras, und seinen Familiennamen konnte Silja niemals richtig in Erfahrung bringen, obwohl dieser junge Mann gerade ihr mehr bedeuten sollte als irgendeinem anderen Menschen in dieser Ortschaft – und mehr als jemals irgendjemandem in irgendeiner Ortschaft.

Silja verliebt sich in ihrem letzten Sommer in Amras, der nach einer gemeinsamen Nacht aber Hals über Kopf abreist. Die Kriegswirren verhindern eine Rückkehr, und auch Silja gerät zwischen die Fronten der Roten und Weißen, folgt aber – fast wie ein zweites Käthchen von Heilbronn – ihrem Gefühl. Auf ein Happy End allerdings wartet der Leser mehr als Silja selbst vergebens. Mit sich im Reinen, nachdem sie, schon schwer krank, für einen Tag nochmals an den Ort ihres Sommers mit Armas zurückgekehrt ist, stirbt sie schließlich in ihrer Krankenkammer, der Umkleide der Sauna, auf dem Kierikkahof.

„Und auf dem Gesicht lag ein nie vergehendes Lächeln; wenn schon an nichts anderem, so konnte jeder daran erkennen, wessen Tochter sie war“, heißt es gegen Ende des Romans, in dem Sillanpää sowohl seine Figuren, insbesondere Silja und Kustaa, als auch deren Naturerleben gleichermaßen einfühlsam und empathisch schildert.

Titelbild

Frans Eemil Sillanpää: Jung entschlafen. Eines alten Stammbaums letzter Trieb.
Übersetzt aus dem Finnischen von Reetta Karjalainen.
Guggolz Verlag, Berlin 2017.
410 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783945370148

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