Eine Phänomenologie des mittelalterlichen Pandaimonions
Rudolf Simek analysiert „Böse Geister im europäischen Mittelalter“
Von Wolfgang Herbert
Eingangs soll das caveat Rudolf Simeks in der Einleitung ausführlich wiedergeben werden, da in ihm präzise vorgegeben ist, was vom vorliegenden Buch Dämonen, Teufel, Hexenglaube. Böse Geister im europäischen Mittelalter erwartet werden darf:
Wovon hier nicht die Rede sein wird, sind moderne esoterische Auslegungen eines Dämonenglaubens, und auch auf die tiefenpsychologischen Aspekte des Dämonischen wird nicht weiter eingegangen. Als Mediävist werde ich mich zudem nur kurz mit den Wurzeln des mittelalterlichen Dämonenglaubens in der griechischen und jüdischen Antike beschäftigen, um mich dann seiner Entwicklung zu einem Denksystem des europäischen Hoch- und Spätmittelalters, am meisten aber den vielfältigen phänomenologischen Erscheinungsformen der Dämonen im Leben der mittelalterlichen Menschen und nicht zuletzt ihren oft unglaublich phantasievollen ikonographischen Darstellungen in mittelalterlichen Kunstwerken zu widmen. Der vorliegende Band will also ganz bewusst nicht ‚zeitgemäß‘ sein, sondern im Gegenteil den Leser in die Geistes- und Mentalitätsgeschichte des Mittelalters entführen, einer Epoche, deren Ende kaum viel mehr als 15 Generationen zurückliegt und deren Vorstellungen uns oft näherstehen, als wir glauben wollen.
Schon ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt uns, dass wir es genau damit zu tun haben: einer detailreichen, minutiösen Phänomenologie des Glaubens an Dämonen, Teufel und Hexen, das heißt einer deskriptiven Wiedergabe dieser Erscheinungen, wie sie sich in den Quellen in Schrift und Bild darstellen. Theoretische Spekulationen und interpretative Einordnungen werden weitgehend hintangestellt. Darin liegt das Forte dieses durchaus enzyklopädischen Werkes.
Als wichtige Referenz zur Antike verweist der Autor auf Augustinus von Hippo, für den Dämonen Geistwesen sind, die nahezu jede Gestalt annehmen können und danach trachten, dem Menschen Schaden zuzufügen. Heidnische Götter, menschliche oder menschenähnliche Gestalten, gar Engel sowie Verwandlungen in allerlei Tiere und Mensch-Tier-Mischwesen gehörten damit zum Maskeninventar des als abtrünniger Engel aufgefassten Teufels und seiner Helfer. Damit war nicht nur der Fantasie jede Türe geöffnet, sondern auch dem Generalverdacht der Weg bereitet, nach dem alle möglichen unliebsamen Phänomene als Dämonenausgeburten gelten konnten. Ubique Diabolus, der Teufel ist überall, so lautete die feste Überzeugung im gesamten Mittelalter.
Die Beschreibung beginnt mit dem Fürsten der Dämonen, dem Satan oder Teufel, der biblisch als Widersacher und Versucher Jesu in der Wüste auftaucht. In der Offenbarung des Johannes ist von einer Schlange die Rede, gemeint war ein Drache, der im Mittelalter in Europa durchgehend negativ konnotiert war – im Gegensatz zu Asien. Transkulturelle Vergleiche oder Parallelen zieht Simek nicht, er bleibt strikt in Europa und dem historisch gerade noch relevanten nahöstlichen und vorderasiatischen Raum.
Früh schon wurde der Teufel gehörnt, bocks- oder vogelfüßig, schwarz, behaart oder sonst wie grausig dargestellt. Der Ikonografie widmet der Autor reichlich Platz, die Abbildungen sind hingegen zuweilen so klein, dass man sich bei Details mit einer Lupe behelfen muss. Freilich triebe dies die Druckkosten und damit den Verkaufspreis in die Höhe, aber ein eigener Bildtafelteil hätte angesichts der Fülle an Darstellungen den ästhetischen Wert des Buches erhöht. Ein Bild von Hieronymus Bosch, das auf eine kleine Ecke einer Seite verbannt wird, erzielt schließlich nicht die Wirkung wie eine Wiedergabe auf einer ganzen oder gar Doppelseite in Glanzformat.
Im Christentum ist der Satan ein Geschöpf Gottes, ein gefallener Engel, der eine ganze Schar derer mit sich in die Hölle gerissen hat, die an seiner Hybris teilgenommen haben. Ein langes Kapitel widmet sich diesen Heerscharen und allen Arten von Dämonen. Diese sind Schadensgeister, die den Menschen Krankheiten, Unglück, Unwetter und Versuchungen aussetzen. Möglichst viele sollten der Hölle und ewigen Verdammnis anheimgestellt werden. Dämonen sind nicht nur allgegenwärtig, sondern in großer Zahl unterwegs, wobei häufig Metaphern aus dem Insektenreich verwendet wurden. Auch in Bildern etwa von Exorzismen werden dunkle fliegende, im gelungenen Falle fliehende schabenartige Schwärme dargestellt.
Ausführlich geschildert und bebildert werden die unzähligen Gestalten, die Dämonen annehmen können: Anthropomorphe Erscheinungen, heidnische Götter als Tarnung, Tiere (Katze, Kröte, Schlange et cetera), Mischwesen mit animalischen Attributen und viele andere missgestaltete Fantasiewesen bevölkerten die mittelalterliche Welt.
Alltagssprachlich bekannte Phänomene wie Albdrücken oder Besessenheit werden erläutert, und Belästigungen sexueller Natur in Träumen und Halluzinationen – oder ganz handfest in den Gestalten des Inkubus, der Frauen besteigt, und des Sukkubus, der unter dem Manne liegt – werden mit literarisch belegten Beispielen untermalt.
Wir erfahren auch eingehend, wie sich die Menschen vor den dämonischen Versuchungen und teuflischen Einwirkungen zu schützen suchten. Der Beistand von Heiligen konnte erbeten werden, allen voran galt der Erzengel Michael als wirkmächtig und die Gottesmutter bot den besten denkbaren Schutz. Amulette, Talismane, Pergamentstreifen oder Bleikreuze waren materielle Utensilien mit apotropäischer Wirkung, insbesondere wenn sie mit Zaubersprüchen oder Anrufungen der Dreifaltigkeit oder Mariens versehen waren. Auch für das Wetterläuten konnten Glocken mit Inschriften versehen werden, die üble Geister und Unwetter zu vertreiben vermochten.
Auch hier gibt es wie im ganzen Buch viele Quellenzitate und Illustrationen. Kürzere, im Original lateinische Zitate oder Sentenzen werden von einer Übertragung ins Deutsche begleitet, ohne Übersetzung verständliche mittelhochdeutsche kurze Texte in ihrer Originalfassung und lange Passagen auf Hochdeutsch wiedergegeben. Damit werden lebendige, lebensweltnahe Eindrücke heraufbeschworen. Quellenangaben finden sich in Endnoten, die pro Kapitel neu nummeriert werden.
Das Werk ist säuberlich gegliedert in Text, Anmerkungsapparat, Bildverzeichnis, eine in Quellen und 26 (!) Seiten Sekundärliteratur unterteilte Bibliografie, Online-Verweise und ein Personenregister. Wie angemerkt, hätte sich hier ein großformatiger Bildteil statt der laufenden Miniaturabbildungen gut eingefügt. Die Internethinweise beschränken sich auf nur eine halbe Seite, was klarmacht, dass Simek nach alter Schule noch in Bibliotheken, Museen und Archive gegangen ist. Die systematische und akkurate Arbeitsweise lässt an einen Carl-Spitzweg-Gelehrten denken, der mit Lupe im Schmetterlingshaus oder gleichzeitig mehrere Bücher konsultierend in einer Bibliothek steht. Dazu passt übrigens die wohlfeile Edition mit Hardcover und einem adretten roten Lesezeichenstoffbändchen. Der Druck ist allerdings relativ klein gehalten, wohl um die Seitenzahl nicht ausufern zu lassen.
Der im Untertitel genannte Hexenglaube wird eher stiefmütterlich behandelt, da es ein systematisches Konzept von Hexen erst ab der Mitte des 15. Jahrhunderts zu beobachten gab. Dennoch werden die mit Hexen in Verbindung gebrachten klassischen Vorstellungen behandelt: Teufelspakt, Hexenflug, Hexensalben und -kräuter, die Teufelsbuhlschaft und der Hexensabbat.
Die Systematisierung des Hexenglaubens geschah durch zwei Dominikaner, Johannes Nider (circa 1380–1438) und Heinrich Kramer (um 1430–1505), dessen Malleus maleficarium (Hexenhammer) einfluss- und folgenreich sein sollte. Angemerkt wird, dass die Hexerei zunächst noch nicht geschlechtsspezifisch festgelegt war und erst in der Neuzeit auf der Höhe des Hexenwahns und der Hexenverfolgung fast ausschließlich Frauen betraf. Kramer war ein lokaler Inquisitor und Wegbereiter der Hexenverfolgung, obwohl sein Werk und Tun schon zu Lebzeiten selbst in kirchlichen Kreisen umstritten blieben. Ihm ging es um die Aufdeckung von echtem Schadenszauber, reine Wahrsagerei hielt er zum Beispiel eher für Gaukelei. Es ging um Impotenz, Unfruchtbarkeit sowie um Opferung von Säuglingen oder Föten an die Dämonen, was deren Verehrung implizierte und somit dem christlich äußerst verwerflichen Glaubensabfall gleichkam. Besonders Hebammen gerieten hier unter Verdacht.
Das Buch endet recht abrupt mitten in einem guten Leseduktus ohne eine zusammenfassende Conclusio oder ein in allgemeine Thesen gegossenes Resümee. Das Opus bleibt ein penibel erstelltes, beschreibendes Inventar diabolischer Erscheinungen, ohne diese in einen daraus abstrahierten oder induzierten großtheoretischen Rahmen zu stellen. Nach der knappen Präsentation des berüchtigten Hexenhammers heißt es im Schlussabsatz:
Damit haben die Vorwürfe der Hexerei ein Stadium erreicht, in dem trotz Kramers Beteuerung, zur Hexerei gehöre immer dreierlei: ‚[d]er Dämon, die Hexe und göttliche Zulassung‘, von Gott und den Dämonen nicht mehr viel die Rede ist, sondern sich die Hexenjagd ganz auf die unterstellten Handlungen menschlicher Frauen konzentriert. Das im Mittelalter allen selbstverständliche direkte Wirken der Dämonen tritt nun ganz in den Hintergrund und wird durch das oben schon behandelte eingängige, wenn auch flache Bild von der angeblichen Teufelsbuhlschaft und dem Wirken menschlicher Hexen ersetzt.
Damit wird der Leser entlassen – oder in Cliffhanger-Manier hängen gelassen. Vom Autor gibt es in ähnlicher Façon gehaltene Werke zu Monstern, Wundervölkern und Fabelwesen im Mittelalter und zu Trollen mit Bezügen zu modernen Adaptionen in Literatur und Kino. Vielleicht gibt es in Zukunft tatsächlich einmal eine Fortführung, die allemal eine Bereicherung sein wird – so wie das vorliegende akribisch erstellte Buch für Historiker, Kunsthistoriker, Religionswissenschaftler und sonstige Geister- und Geisteswissenschaftler eine Fundgrube darstellt und als Vademecum sowie als veritabler Thesaurus zum abendländischen mediävalen Pandaimonion gelten darf.
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg
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