Ein Buch für die Sache
Ein Interview mit Aktivist und Autor Jakob Springfeld
Von Anne Stollenwerk
Jakob Springfeld, 21, ist Aktivist, Theodor-Heuß-Medaillenträger und seit 2022 auch Buchautor. In Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts berichtet der Student von seinen Erfahrungen im Kampf gegen Rechts in seiner Heimatstadt Zwickau. Gemeinsam mit Ko-Autor Issio Ehrich greift er Themen wie den NSU-Komplex, den Rechtsruck in Ostdeutschland oder Versäumnisse der Polizei auf und erzählt von persönlichen Ängsten, Gedanken und Träumen. Unter Nazis ist eine Mischung aus Tagebuch und soziologischer Gegenwartsanalyse, es erzählt von individuellem Einsatz und gesellschaftlichem Engagement. Im Interview berichtet Springfeld unter anderem davon, wie es war, ein Buch zu schreiben, und stellt sich kritischen Fragen.
Warum hast du ein Buch geschrieben?
Ich hatte primär zwei Absichten. Ich bin engagiert in der antifaschistischen und der Klimaszene in Zwickau und allgemein in Ostdeutschland. Auf der einen Seite sollte es ein Signal dafür sein, dass es Leute gibt, die auch in schwierigeren Regionen aktiv sind. Aktivist:innen aus dem ländlicheren Raum müssen auch öffentlich wahrnehmbar sein.
Im zweiten Schritt sollte das Buch zeigen, dass Sachsen zwar große Probleme mit Neonazismus hat und dass man über jeden einzelnen Vorfall berichten sollte; aber dass es mindestens genauso wichtig ist, denjenigen zuzuhören, die vor Ort Protest machen. Es soll junge Leute motivieren, sich auch zu engagieren und gleichzeitig einfach ein bisschen Bildung zu vermitteln.
Das Buch ist so aufgebaut, dass es auf der einen Seite biographische Elemente enthält und auf der anderen Seite Sachbuch-Akzente setzt. Durch die Verknüpfung mit persönlichen Anekdoten können die Leute diese Realität vielleicht leichter verstehen.
Hattest du während des Schreibens die Zielgruppe „junge Leute“ im Kopf?
Nein. Eigentlich alle. Und das hat sich auch gerade bei den Lesungen bestätigt. Je nachdem, wo eine Lesung stattfindet, kommen teilweise 60-, 70-Jährige und sagen, dass sie gerade das erste Mal richtig über das Problem nachgedacht haben und es jetzt in einem ganz anderen Bewusstsein bei ihnen im Kopf ist. Selbst in Regionen wie Sachsen, wo das Problem wirklich groß ist. Weil ich selbst jung bin und junge Leute mich umgeben, hatte ich vielleicht zu Beginn primär eher junge Leute im Kopf. Aber ich freue mich, dass das Buch aus dieser Altersgruppe auch ganz gut herauskommt.
Du hast ja eben schon über den Aufbau des Buches gesprochen. Es wechselt immer zwischen eigenen Erfahrungen und einer Art soziologischer Abhandlung. Was hat dir beim Schreiben mehr Spaß gemacht?
Dazu muss ich sagen, dass ich das Buch gemeinsam mit Issio Ehrich geschrieben habe, einem freien Journalisten. Ohne ihn hätte ich gerade diese analytischeren Parts nicht so gut hinbekommen – auch einfach, weil ich zu dem Zeitpunkt noch wenig Ahnung davon hatte, wie man wissenschaftlich schreibt. Deshalb habe ich in dem Buch mehr die persönlichen Anekdoten beigesteuert. Issio hat hauptsächlich den analytischen Part übernommen. Aber ich fand beides total spannend. Und es war vor allem cool, dass ich diesen Buchschreibeprozess mit Issio zusammen durchlaufen konnte. Zu lernen, wie man einem solchen Buch einen roten Faden gibt, wie man es aufbauen und die Sachebene mit der persönlichen verknüpfen kann, war sehr interessant. Ich denke, ein solches Buch ist immer eine gute Möglichkeit, um Wissenschaft und Wissen zu kommunizieren. Einfach weil es viel mehr Spaß macht, so etwas zu lesen. Das geht mir selber ja auch so. Ich lese viel lieber ein Sach-Persönlichkeits-Buch als ein reines 500-Seiten-Analyse Buch aus dem Soziologie-Studium oder so. (lacht)
Würdest du sagen, dass die Einschübe mit den persönlichen Erfahrungen dann der Vermittelbarkeit der eigentlichen, heiklen Themen dienen? Oder würdest du sagen, dass du manches auch einfach aus dir rausschreiben musstest?
Ich habe immer schon für mich ein bisschen Tagebuch geführt und das ist auch mit in das Buch eingeflossen. Und es hat natürlich mehrere Funktionen für mich gehabt. Zum einen einfach der Zweck, damit und mit meinem Anliegen Leute zu erreichen. Aber es hat sich schon manchmal (zugespitzt formuliert) auch wie eine Art Selbsttherapie angefühlt, die Dinge mal zu ordnen und zusammenzufassen. Auch weil in dieser Zeit, die das Buch primär in meinem Leben behandelt, so viel Unterschiedliches passiert ist. Auf der einen Seite ‚Empowerndes‘ und Motivierendes – wie man z.B. in Zwickau mit hunderten Leuten eine Klimademo gemacht hat – und auf der anderen Seite die ganzen negativen Dinge, wie beispielsweise die gesellschaftliche Entwicklung in Sachsen, die dazu führt, dass wir in Umfragen gerade bei 30% stehen für die AfD.
Es war dann irgendwie beides. Auf der einen Seite eine Art Selbsttherapie und auf der anderen Seite natürlich eine Form von Aktivismus.
Wie war es, deine persönlichen Erfahrungen mit dem Lektor zu bearbeiten und das fertige Produkt schließlich zu lesen?
Es war vor allem cool, dass der Text auch durch ein Justiziat gegangen ist, sodass wir zum Beispiel sicher waren, dass wir bestimmte Namen von Neonazis nennen können. Da gab es im Nachgang auch einen Presseartikel in Zwickau, der das als möglicherweise persönlichkeitsverletzend gesehen hat. Aber alle, über die ich geschrieben habe, waren Neonazis oder Leute, die sich mit ihrem Handeln auch selbst in die Öffentlichkeit gedrängt haben. Deshalb war es uns wichtig, auch Namen zu nennen.
Und ja, das lektorierte Endprodukt zu lesen, war schon krass. Ich habe ja auch vor ein paar Jahren nicht gedacht, dass ich bald ein Buch rausbringen würde. Ich habe für mich selbst mal Tagebuch geführt und meiner Schwester einige Sachen vorgelesen. Damals meinte ich: „Eigentlich hätte ich ja Bock, irgendwann mal ein Buch zu machen“. Eine Woche später hatte ich eine NDR-Reportage über Hass im Netz. Und daraufhin hat mich über Facebook ein Literaturagent angeschrieben und gefragt, ob ich Lust hätte, ein Buch zu schreiben. Und dann kam eins zum anderen.
Wie ist die Zusammenarbeit mit Issio Ehrich zustande gekommen?
Auch über den Agenten. Ich glaube, es ist gut, dass Issio nicht die gleiche Perspektive hat wie ich und nicht in Zwickau aufgewachsen ist. Weil er einfach nochmal einen ganz anderen Blick darauf hat. Er befasst sich ja journalistisch primär mit anderen Themen: der Sahel-Zone, dem Tschad, dem Sudan oder den Wahlen in der Türkei.
Es war auch gerade spannend, die Hintergrundgespräche über Aktivismus zu führen. Und noch mal zu checken: Ja, was uns passiert, ist schlecht und man sollte darüber reden, dass wir Anfeindungen erleben. Aber es lässt sich halt nicht in Relation setzen zu dem, was Menschen in anderen Ländern, gerade in autoritären Systemen leisten und riskieren, wenn sie da aktivistisch arbeiten.
Wie war deine erste Reaktion, als der Literaturagent dich angeschrieben hat? Warst du sofort begeistert von der Idee oder musstest du erst mal überlegen: Kann oder darf ein linker Aktivist überhaupt ein Buch schreiben? Wie passt Aktivismus und Autorschaft zusammen?
Also dadurch, dass ich den Gedanken schon gehegt hatte, war ich von Anfang an irgendwie dabei.
Hätte ich das Buch von Beginn an ohne den Verlag gemacht (und der Verlag hat da wirklich gar nicht reingeredet und das alles voll unterstützt), dann hätte ich zum Beispiel nicht unbedingt mein Gesicht da vorne drauf gepackt. Meine Arbeit und dass, was mir passiert – das machen ganz viele Menschen. So ist das in gewisser Form personifizierend und spezifizierend. Als würde nur ich so etwas machen.
Gleichzeitig wäre es total dumm gewesen, die Chance, ein Buch zu machen, nicht zu nutzen. Auch wenn ich jetzt nur einer von vielen bin, ist es, glaube ich, trotzdem gut, das zu zeigen. Umso mehr freue ich mich, wenn mir andere Leute aus ländlicheren Regionen in Sachsen schreiben, dass deren Perspektive dadurch auch ein bisschen mitvertreten ist.
Es ist auch so: Bei dem Verlag erscheinen zum Beispiel auch Bücher, die ich jetzt nicht unbedingt lesen würde und die auch nicht meine politischen Ansichten widerspiegeln. Und auf der anderen Seite ist es einfach auch eine riesige Chance: Dadurch, dass es so ein großer Verlag[1] ist, kommt das Buch in ganz andere Blasen. Vielleicht auch dadurch, dass da mein Gesicht drauf ist, liest es dann vielleicht nicht nur die linke Szene, sondern auch ein junger Mensch, der durch den Laden läuft und sich einfach nur denkt: „Das sieht irgendwie spannend aus.“
Zum Thema Reichweite: Du schreibst sehr persönlich zwischendurch, dass du Angst hast. Hast du das Gefühl, dass auch Menschen aus der rechten Szene dein Buch lesen und sich deine Verletzlichkeit damit erhöht hat?
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich das Angstthema mit ins Buch nehmen soll. Dann habe ich aber begriffen: Man muss nicht von Gewalt betroffen sein, um in Zeiten von Krieg und Klimakrise manchmal Angst zu haben. Dass wir über Gefühle reden und nicht irgendwie stahlharten Männlichkeitsidealen hinterherrennen, ist auch genau das, was uns von Neonazis unterscheidet und sogar stark macht. Das hat viele Türen geöffnet. Nach meinen Lesungen sprechen Aktivist:innen mit mir teilweise auch über ihre Ängste. Auch wenn ansonsten oft der Slogan gemacht wird: „Wir sind Antifaschist:innen, wir haben keine Angst, wir lassen uns keine Angst machen.“ Hätte ich das so im Buch geschrieben, wäre das unehrlich gewesen.
Insgesamt glaube ich, das Buch schützt auch ein bisschen. Klar macht man sich irgendwie angreifbarer. Aber zumindest klügere Neonazis wissen: Wenn sie mir jetzt Stress machen und mich anfeinden, wie das z.B. in Bautzen passiert ist bei einer Lesung, dann passt das genau in das Narrativ des Buches. Die mediale Aufmerksamkeit ist dann eher bei mir und dem Buch, das Buch verkauft sich im Zweifel besser und vielleicht gibt es im krassesten Falle sogar noch Ermittlungen gegen sie. Und würde ich mich durch so etwas kleinkriegen lassen, hätte ich das Buch nicht geschrieben.
Gibt es beim Schreiben Reaktionen, die du vorhergesehen oder erwartet hast? Und welche Reaktionen auf dein Buch sind eingetroffen – oder eben nicht eingetroffen?
Es gibt ein paar Leute, die es blöd fanden und mir komische Nachrichten geschrieben haben. Aber was mich am meisten erstaunt, ist, dass es die Blase verlässt. Dass die Reaktionen auf das Buch dann – gerade bei Lesungen – manchmal von Leuten kommen, von denen ich das jetzt nicht unbedingt erwartet hätte. Das ist für mich wirklich mit am Schönsten. Es kommt dabei auch drauf an, wo ich die Lesung mache: Wenn ich in irgendeinem Antifa-Treff eine Lesung mache, kommen natürlich keine 60-jährigen konservativen Omas. Aber wenn man das woanders macht, in den Stadtbibliotheken oder so, dann ist das schon ein sehr gemischtes Publikum. Ich hätte nicht unbedingt erwartet, dass das Thema auch in diesen Kreisen so gut diskutiert wird. Was ja aber richtig schön ist.
Was sagst du, wenn man dir vorwirft, du habest das nur wegen des Geldes gemacht?
Dass Aktivisten ja auch von irgendwas leben müssen und dass ich dadurch nicht reich geworden bin und… Keine Ahnung. Habe ich nicht gemacht. Noch nicht. (lacht)
Ich mache Aktivismus gerade 24/7, das ist fast wie ein Vollzeit-Job. Bei Lesungen jetzt auch unabhängig zu sein, sich die Züge leisten zu können und auch mal unterwegs etwas zu essen an einem Bahnhof holen zu können, das vielleicht nicht das Günstigste ist, ist natürlich erleichternd. Ja, ich gönne es mir. (lacht) Damit habe ich auch kein schlechtes Gewissen.
Was sagst du, wenn ich sage: Du hast das nur für die Aufmerksamkeit gemacht?
Dass ich es gewissermaßen natürlich für die Aufmerksamkeit gemacht habe. Ich glaube, wenn man diese Themen an die Leute bringen will, dann braucht man Aufmerksamkeit. Und natürlich finde ich es schade, dass da jetzt mein Gesicht drauf sein muss. Aber so funktionieren eben auch Medien. Leute erinnern sich an Gesichter und an Menschen. Wenn ich das in diesem Fall, für ein Thema, von dem ich fest überzeugt bin, selbst sein kann und damit Aufmerksamkeit bekomme – dann ist das glaube ich etwas Gutes.
Gibt’s noch mehr kritische Fragen? Das macht irgendwie Spaß. (lacht)
Klar: Du hättest in der Zeit, in der du das Buch geschrieben hast, auch in der Geflüchteten-unterkunft arbeiten können, du hättest Demos organisieren können. Du hast deine Zeit mit dem Schreiben eines Buches ‚verschwendet‘. Was entgegnest du darauf?
(lacht) Erstmal habe ich das trotzdem noch gemacht. Nicht in einer Geflüchteten-Unterkunft, aber ich habe trotzdem Demos organisiert. Und ja, das ist immer die Frage: Was hat die größte Wirksamkeit?
Ich habe schon oft darüber nachgedacht, ob ich nicht einfach hätte soziale Arbeit studieren sollen, um dann im Kleinen immer wieder Erfolgserlebnisse zu haben. Aber ich glaube, mein Anspruch ist es gerade schon noch, eher gesamtgesellschaftlich etwas zu verändern. Und das macht man natürlich auch über die Organisation von Gruppen. Gleichzeitig kann ein Buch Menschen aus Bereichen einbeziehen, die noch nichts mit der Blase zu tun haben. Zum Beispiel bei den Lesungen – die sind ja auch eine Form von politischer Praxis.
Trotzdem habe ich momentan wieder Lust, Leute vor Ort zu organisieren und irgendwie Protest zu machen. Gerade auch wegen der Landtagswahlen nächstes Jahr in Sachsen. Es ist immer eine Abwägung, was am effizientesten ist, aber zu der Zeit kam es mir am effizientesten für diese Themen vor, ein Buch zu machen.
Du stellst dich in deinem Buch gleichzeitig in der Helden- und in der Opferrolle dar. Du hättest mit deiner Reichweite auch anderen Menschen Platz geben können, um ihre Geschichte zu erzählen. Was sagst du hierauf?
Damit wäre ich ja irgendwie wieder der weiße Mann gewesen, der marginalisierten Personen endlich eine Stimme gibt. Das wäre Quatsch. Menschen, die kämpfen, die sich selbst eine Plattform aufbauen, die stark sind, die brauchen jemanden wie mich gar nicht.
Gleichzeitig habe ich teilweise schon versucht, das mit Issio in einen Kontext zu stellen. Wenn wir im Buch über den NSU sprechen, können wir zumindest die Menschen mit ihren Lebensgeschichten für die Leute zugänglicher machen, die nicht mehr für sich selbst sprechen können – weil sie ermordet worden sind.
Beim Schreiben habe ich mich zum Teil schon damit beschäftigt, dass ich nicht als Held gelten will. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die mich als Vorbild sehen. Und das ist natürlich schön. Es ist motivierend, wenn junge Leute zu mir kommen und sagen, dass sie cool finden, was ich mache. Die dann fragen, wie sie sich vielleicht selbst irgendwo engagieren können. Und das passiert gar nicht selten. Trotzdem finde ich es nach Lesungen zum Beispiel eigenartig, Autogramme zu geben. Das fühlt sich nicht wirklich richtig an.
Würdest du sagen, es sollten mehr Aktivist:innen Bücher schreiben?
Schwere pauschale Antwort. Ich glaube nicht, dass wir den gesellschaftlichen Antifaschismus erstreiten, indem alle ein Buch schreiben. Das ist nicht das Hauptmittel, um eine Demokratie vor Neonazis zu schützen oder eine Klimakrise abzuwenden.
Aber ich glaube, es sollten mehr Menschen, deren Perspektive momentan zu kurz kommt, auch die Chance haben, ein Buch zu veröffentlichen. Jedes Buch, das wir Aktivist:innen schreiben, dient unserer Sache.
Anmerkungen
[1] Gemeint ist der Quadriga Verlag, der der Verlagsgruppe Bastei Lübbe AG angehört. [Anm. der Verf.]
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