Etwas ist faul im Hause Dunbar

Edward St Aubyn verlegt William Shakespeares König Lear in die mörderische Hochfinanzwelt

Von Dominik RoseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dominik Rose

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Edward St Aubyns Dunbar und seine Töchter legt der Knaus Verlag den nächsten Band aus der Reihe der Neuinterpretationen William Shakespeares vor, die 2016 zum 400. Todestag der großen Dramatikers vom englischen Partnerverlag The Hogarth Press gestartet wurde und aus der bislang unter anderem Margaret Atwoods Übertragung von Der Sturm (unter dem deutschen Titel Hexensaat) und Shylock, Howard Jacobsons Adaption des Kaufmanns von Venedig, auf Deutsch erschienen sind. St Aubyn, der aus einer der ältesten Familien des englischen Hochadels stammt und in seinen Werken mit Vorliebe eben jene blaublütige „High Snobiety“ genüßlich seziert, verlegt den blutigen Erbfolgekrieg um den abdankenden König Lear in die börsennotierte Finanzwelt unserer Tage – und konzipiert den klassischen Plot als Wirtschaftsthriller mit reichlich Sex and Crime.

Aus Shakespeares Lear wird bei St Aubyn der jähzornige Medienmogul Henry Dunbar, der – ebenso urteilsschwach wie Lear – seine gutherzige jüngste Tochter Florence verstoßen hat, um die operativen Geschäfte seines mächtigen New Yorker Unternehmens den intriganten älteren Töchtern Abigail und Megan zu übertragen. Diese danken es dem Vater, indem sie ihn mit Hilfe des skrupellosen Psychiaters Dr. Bob als geistig umnachtet in ein englisches Sanatorium verfrachten, um die Kontrolle über das Unternehmen an sich zu reißen.  Diesem unheilvollen Triumvirat steht die verstoßene Florence gemeinsam mit dem Anwalt Wilson gegenüber, dem langjährigen Berater des Vaters, der den Zorn des alten Mannes auf sich gezogen hat und von diesem entlassen wurde, weil er Florence im Streit mit dem Vater verteidigt hatte. Soweit die dramatische Grundkonstellation, deren Bezüge auf Shakespeares Vorlage leicht zu entschlüsseln sind: In dieser findet der Kampf um die Thronfolge zwischen dem ehrenhaften Bündnis um die jüngste Tochter Cordelia und dem Grafen von Kent, einem treuen Gefolgsmann des abdankenden Lear, und der Gruppe der Unehrenhaften statt, die aus den älteren Schwestern Goneril und Regan sowie den mit ihnen verheirateten Herzogen Cornwall und Albany (der sich später als rechtschaffen erweist und die Seiten wechselt) besteht – eine finten- und intrigenreiche Auseinandersetzung vor dem Hintergrund der drohenden Invasion Britanniens durch die französischen Truppen. Diese findet bei St Aubyn keine dramaturgische Übertragung, ebenso entschlackt der Autor die Tragödie um einige Nebenfiguren.

Die Verkürzung des Stoffs auf den Kampf um Dunbars Medienkonzern kommt dem Tempo, in dem St Aubyn seine Geschichte vorantreibt, zugute – für komplexere, ambivalente Charakterzeichnungen bleibt hingegen keine Zeit. Seine Figuren sind von Grund auf gut oder böse, ohne nennenswerte Zwischentöne. Das liegt vor allem daran, dass St Aubyn seine Adaption nicht als Tragödie, sondern eher als Groteske anlegt, in der er seine Vorliebe für moralische Verkommenheit ausspielt: So sind Dunbars ältere Töchter Abigail und Megan nicht einfach nur skrupellos und machtgeil, sondern dazu noch sadistisch und sexuell pervers, was sich unter anderem in ihrer ménage à trois mit dem ihnen gefälligen Dr. Bob offenbart, dem sie aus Vergnügen „wie Greifvögel mit spitzen Zähnen“ auf seine Brust „hacken“:

Das Wissen, dass die Schwestern nach immer höheren Dosen der Perversion gierten, um ihre abgestumpften Gelüste zu stimulieren, ermutigte ihn [Dr. Bob], den Gefahren des bevorstehenden wichtigen Telefonats zu trotzen. Sein Körper, längst entstellt von heftigen Striemen und Kratzern, gelblich verfärbten Blutergüssen und neuerdings der schmalen Wundnaht auf seiner Brut, schrie nach Rache…

So schablonenhaft die Figuren der bösen Schwestern in ihrer personifizierten Niedertracht auch sein mögen, setzen ihre sadistischen Eskapaden doch immer wieder jene von tiefschwarzem Humor erfüllten Akzente, die von der Lektüre am ehesten in Erinnerung bleiben. Etwa, wenn sie einen Vertrauten des aus dem Sanatorium entflohenen Vaters – den Fernsehkomiker Peter – gefangennehmen und mit Hilfe ihrer schurkenhaften Handlanger einem Whiskey-Boarding unterziehen, um an Informationen über den Aufenthaltsort Dunbars zu gelangen, und anschließend belustigt den Todeskampf des torkelnd in einen angrenzenden See gestürzten Peter betrachten: „‚Ich kann schon nachvollziehen, warum die Leute ihn komisch finden‘, sagte Megan und klatschte in die Hände, während Peter in dem eiskalten Wasser herumstrampelte.“

Von diesen immer wieder aufblitzenden, humorigen Abscheulichkeiten abgesehen ist Dunbar und seine Töchter ein phasenweise durchaus spannender, routiniert abgespulter Witschaftsthriller, dessen Plot auf einen vermeintlichen Showdown der verfeindeten Parteien auf der bevorstehenden Vorstandssitzung hinsteuert. Henry Dunbars etwas klischeehafte Läuterung und Versöhnung mit der einst verstoßenen Florence verweist auf eine Schwäche des Romans, die sich gewissermaßen als Kehrseite von St Aubyns genussvoller Faszination für seine grundverdorbenen Charaktere ergibt: Mit seinen moralisch aufrechten Figuren kann er eben nicht sehr viel anfangen, sowohl Florence als auch der treuherzige Wilson bleiben blass, selbst die Hauptfigur Henry Dunbar ist in ihrer tattrigen Cholerik eher konturlos. Aller sprachlichen Finesse des Autors zum Trotz spult er die Handlung doch eine Spur zu routiniert ab, ganz so, als habe ihm, mit dem Werk des großen Shakespeare konfrontiert, eine zündende Idee gefehlt, etwas wirklich Aufregendes daraus zu entwickeln. Eine Neuinterpretation Shakespeares, die sich im Wesentlichen darin erschöpft, Figuren und Handlungsstränge quasi als literarisches Gimmick in einen modernen Kontext zu übertragen, dabei aber über eine oberflächliche Handlung hinaus keine Ideen liefert, die das Originalwerk für eine heutige Leserschaft erhellen oder irgendwie bereichern könnten, stellt letztlich die Sinnhaftigkeit des Hogarth Press-Projekts in Frage.

Titelbild

Edward St Aubyn: Dunbar und seine Töchter. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Nikolaus Hansen.
Knaus Verlag, München 2017.
253 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783813506983

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