Vom Wert der populistischen Methode

In seinem „Essay zur politischen Dramaturgie“ nimmt Bernd Stegemann „das Gespenst des Populismus“ an die Hand

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Beschäftigung mit Populismus scheint dringend geboten. Populistische Parteien erobern zuhauf Sitze in den Parlamenten, bang erwartet man in den europäischen Ländern anstehende Wahlen, weil sie Populismus regierungsreif machen könnten. Gerade so, wie es in den Vereinigten Staaten Donald Trump vorgemacht hat. Populismus an die Macht?

Eine besondere Bedrohung der demokratischen Strukturen entsteht dadurch, dass dieser Populismus ein Rechtspopulismus ist. Der liefert, sofern man überhaupt eindeutige programmatische Grundlagen erkennen kann, unschöne Beigaben aus dem Arsenal der rechtsradikalen oder gar rechtsextremen Ideologie, die auf der Idee der Ungleichheit von Menschen und Völkern beruhen. So entsteht eine Nähe zu Rassismus und Nationalismus, um nur diese beiden, die Werte einer demokratisch-rechtsstaatlichen Gesellschaft in Zweifel ziehenden Aspekte zu nennen. 

Geht also ein neues bedrohliches Gespenst „um in Europa“? So wie einstmals angekündigt im 1848 erschienen kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels: Das Gespenst des Kommunismus? Bernd Stegemann, Professor für Dramaturgie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, scheut in seinem Essay zur politischen Dramaturgie die Assoziation nicht: Das Gespenst des Populismus nennt er sein Buch – eine effektvolle dramaturgische Zuspitzung. 

Der Gespenstervergleich wird von Stegemann nicht weiter vertieft. Aber in einer Hinsicht bleibt er doch relevant: Marx und Engels thematisierten im Kommunistischen Manifest den die Verhältnisse bestimmenden Gegensatz von Kapital und Arbeit. Stegemann hält diesen Gegensatz nach wie vor für den zentralen Bedingungsfaktor des gesellschaftlichen Lebens. Nur sei er heute völlig aus dem Bewusstsein der Menschen und damit auch aus allen politischen Diskursen verschwunden. Indem man aber den grundlegenden Konflikt der modernen Gesellschaften nicht mehr diskutiere, dringe man auch nicht mehr vor zu den Nachfragen nach tatsächlichen (ökonomischen) Machtverhältnissen und Interessenlagen in der Gesellschaft. Mit dem Argument der Alternativlosigkeit zu einer angeblich rationalen Politik habe die Ideologie des Neoliberalismus, so legt Stegemann dar, erfolgreich die Interessen des Kapitals popularisiert. Fragen der sozialen Gerechtigkeit werden nicht mehr diskutiert; die angebliche Alternativlosigkeit zur herrschenden Politik verhindert Diskurse über komplexe politische Zusammenhänge. Einwände gegen die Dominanz dieser speziellen Rationalität werden als Normabweichungen diffamiert: „Der Populismus, der die Launen des Marktes zur absoluten Wahrheit erklärt, ist der liberale Populismus unserer Zeit, der vor allem in Deutschland seine Musterschülerin gefunden hat“, schreibt Stegemann.

Auf diese Zumutungen reagiert der Rechtspopulismus mit den berühmten einfachen Lösungen. Und kann damit kein Modell der Zukunft beschreiben: Der „rechte Populismus“, so Stegemann, „ist weniger eine raffinierte Methode [wie der liberale Populismus] denn eine altmodische Weltanschauung“. Er kann keine produktive Energien kreieren, „seine Angriffe sind eher dumpfe Explosionen“. Freilich mit konkreten Folgen, weil die rassistisch und nationalistisch motivierten Aktionen das Zusammenleben der Menschen unmittelbar vergiften können.

Ein gewisses tragisches Moment erkennt Stegemann darin, dass es nun aber ausgerechnet der Populismus von rechts ist, der den herrschenden liberalen Populismus erstmals wirkungsvoll infrage zu stellen scheint. Und nicht etwa ein linker Populismus, den Stegemann als dritte Populismusvariante ins Spiel bringt. Der Autor hält ihn für nötig, um wirkungsvoll die gesellschaftlichen Konfliktfelder nicht als naturgegeben hinzunehmen, sondern konkret „als Folge der ökonomischen Zustände“ zu beschreiben. Eine Zuspitzung der Verhältnisse „ist im besten Sinne populistisch, weil sie der alltäglichen Erfahrung des Volkes, dass es nicht gerecht zugeht, die Begriffe gibt, um die gefühlte Ungleichheit konkret benennen zu können.“ So ließe sich dann die heute notwendige „populistische Forderung“ begründen: „Freiheit für die Menschen und Knechtschaft für das Kapital.“

Stegemanns Bestandsaufnahme zur Situation der demokratischen Gesellschaft und ihrer Herausforderung durch den Populismus ist aus politikwissenschaftlicher Perspektive nicht neu. Erfrischend ist aber die klare Parteinahme, die den Kern dessen benennt, was Populismus bedingt: die Dominanz des Kapitals, das sich in Form der neoliberalen Ideologie die Politik zu Diensten genommen hat. Dass bei der Aufdeckung dieser Verhältnisse nun der Populismus auch eine aufklärende Funktion haben kann, ist ein ungewohnter Gedanke, den Stegemann mit populistischem Elan in anregender Weise formuliert.

Titelbild

Bernd Stegemann: Das Gespenst des Populismus. Ein Essay zur politischen Dramaturgie.
Theater der Zeit, Berlin 2017.
178 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783957490971

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