Zwischen Obsession und Mystifizierung

Ludwig Steinherrs Novelle „Der Carolin-Papyrus“ verdeckt mit seiner Poesie die Handlung

Von Leoni BuchnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Leoni Buchner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ludwig Steinherr ist bekannt für seine in mehrere Sprachen übersetzten und vielfach ausgezeichneten Lyrikbände. Zu diesen gesellen sich in jüngster Zeit mehrere Prosawerke, sowie Theaterstücke. Mit Der Carolin-Papyrus ist nun seine zweite Novelle im Allitera Verlag erschienen.

Sowohl Steinherrs literarische Wurzeln in der Lyrik als auch sein Philosophiestudium, welches er mit einer Promotion über Hegel und Quine abschloss, sind in Der Carolin-Papyrus  deutlich zu spüren. Der Protagonist und Erzähler der Geschichte selbst hat erst vor kurzem seine Promotion in Philosophie abgeschlossen. Nun steht er, arbeitssuchend und nicht recht wissend, was er mit sich anfangen soll, im „Limbus“. Und so beginnt er all seine Aufmerksamkeit dem Carolin-Papyrus zu schenken. Eine Hommage an seine Freundin Carolin, welche er mit dem Werk nichts anderes als untersterblich machen möchte. Er möchte eine Erinnerung an sie schaffen, auch wenn er schon lange tot sein wird – „Etwas, das wie im Wüstensand vergraben wartet, um plötzlich in Jahrzehnten vor deinen Augen zu leuchtender Gegenwart aufzuerstehen.“

Sein persönlicher Blick auf seine Liebe zu ihr und die gemeinsame Beziehung gibt dabei weniger von Carolin Preis als von ihm selbst. Immer wieder differenziert er sein „lebendiges“ Ich von dem Blick des „Toten“. Sein lebendiges Ich existiert in der realen Welt und seine Handlungen haben einen direkten Einfluss auf das Zusammenleben der Beiden. Der Tote schreibt den Carolin-Papyrus. Der Tote weiß was zu sagen oder zu tun ist, der Lebende nicht. Damit wirkt der Carolin-Papyrus wie eine Reflektion dessen, was der Protagonist gerne wäre, und dessen, was er nicht ist.

Der Papyrus dreht sich also schnell mehr um den Protagonisten selbst, als um Carolin, welche durch die Augen des Protagonisten in all ihren Handlungen romantisiert und dadurch auf eine höhere, übermenschliche, Ebene gehoben wird.

Wie die Gattung des Werkes schon erahnen lässt, ist Der Carolin-Papyrus mit seinen 106 Seiten recht kurz. Die Novelle unterteilt sich in 21 knappe Kapitel. In diesen lässt sich auch an der Sprache Steinherrs nicht verkennen, dass er Lyriker ist. Der Inhalt wechselt zwischen existenziellen Fragen nach Sinn und Identität und alltäglichen Situationen. Diese werden durch die Reihe weg mystifiziert und romantisiert. Allerdings schaffen diese philosophischen und lyrischen Zugänge es nicht, die Geschichte an sich mystischer oder geheimnisvoller werden zu lassen. Die Verhältnisse zwischen den Figuren, ihre Konflikte und Ambitionen sind vorhersehbar. Vor allem aber das, worum es geht: die Liebe des Protagonisten zu Carolin wirkt fast schon lächerlich übertrieben. Der Protagonist wirkt überzogen, zwar obsessiv, doch leider auch in seiner Obsession sehr vorhersehbar. Er verrennt sich in seinem Wahn, was das Leseerlebnis aber nicht spannender gestaltet, sondern ihm Glaubwürdigkeit raubt. Dabei stechen einige Passagen durch ihre Präzession hervor, im Allgemeinen ist es dann aber doch zu überladen.

Steinherr zeichnet die Geschichte einer modernen Beziehung. Der arbeitssuchende Philosoph, dessen Promotion zwar wissenschaftliche Erfolge, aber keine Anstellung brachte. Die Probleme der angehenden Lehrerin. Ihr Verhältnis zu ihrer Arbeit und die Probleme in der Beziehung der beiden zueinander. All das skizziert ein durchaus komplexes und spannendes Bild eines jungen Paares, das kurz nach dem Studium seinen Weg in der modernen Welt sucht. Umso ernüchternder ist es dann, dass durch die überladene Sprache und den romantisierten Blick des Protagonisten wenig dieser Welt für voll genommen werden kann. Dass von der eigentlichen Handlung sogar eher abgelenkt wird. Die aufgebaute Dramatik in der Sprache ist dabei nicht kongruent mit den Konflikten in der Handlung. Die Handlung wird in das ungläubige, übertriebene gezogen. Die Beziehung der beiden Figuren erschließt sich rein aus seiner obsessiven Sicht auf Carolin. Trotz dieser Obsession mangelt es der Erzählung an Leidenschaftlichkeit.

Der Carolin-Papyrus hält den Erwartungen an eine rätselhafte, leidenschaftliche Liebesbeziehung, die der Klappentext verspricht, nicht stand. Auch wenn es immer wieder sehr starke Textpassagen gibt, ist die Novelle doch zu überladen von sich immer wieder wiederholenden lyrischen Umschreibungen und Metaphern. Ein Leseerlebnis, das manche Lyrikfans vielleicht begeistern mag, grundsätzlich aber schnell ermüdet und jegliche Spannung raubt.

Titelbild

Ludwig Steinherr: Der Carolin-Papyrus.
Allitera Verlag, München 2022.
108 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783962333508

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