Von Herzensrein bis Hundsgemein
Der Sammelband „Wow. Hundestories zum Staunen“ hält Geschichten über Fellnasen jeden Gemüts bereit
Von Anna-Lisa Meil
Von autobiografisch bis abstrakt, von emotional-mitreißend bis nüchtern-komisch, von 1884 bis 2019: die Spannweite des von Christine Stemmermann herausgegebenen Bands über die beliebten Wegbegleiter des Menschen ist beeindruckend. Noch dazu werden den Leser*innen weit mehr als nur Schilderungen über Hunde in der stereotypen Rolle des „besten Freunds des Menschen“ geboten. Hunde, die bellen, beißen eben doch manchmal und das tut den betroffenen Erzählungen keinerlei Abbruch.
In einigen der Texte tritt der Hund selbst als starker Akteur hervor, der den Alltag erschwert, einfach alles auf den Kopf stellt oder gar einen kompletten Lebensumbruch in die Wege leitet. Im Falle der autobiografischen Geschichte George, der Hund, der mir das Leben rettete treffen gleich alle diese Aussagen zu. Als der ehemalige Obdachlose – aber noch in sehr ärmlichen Verhältnissen lebende und auf das Betteln angewiesene – Londoner John Dolan einem kräftigen Staffordshire bei sich Asyl gewährt, trägt er plötzlich eine riesige, sein Leben noch verkomplizierende Verantwortung. „Das alles war der komplette Wahnsinn; ich würde es nie schaffen“, beschreibt Dolan seine Situation. Auch für die Leserschaft mag die Adoption eines solch anspruchsvollen Tiers in Dolans Lebenslage wie eine Herkulesaufgabe erscheinen. Doch Dolan schafft es, sich um George und im Zuge dessen auch gleich mehr um sich selbst zu kümmern. Die berührende Geschichte und Dolans heutiger Erfolg als streetartist und Buchautor sprechen deutlich für sich.
In anderen Texten tritt der Hund in die bloße Rolle eines Beobachters ein – und nicht selten treten die Beobachteten als Reaktion auf den Hund ein. So trägt es sich auch in der Erzählung Der Dichter und sein Hund des isländischen Literaturnobelpreisträgers Halldór Laxness zu. Die bereits Anfang des letzten Jahrhunderts entstandene Geschichte erzählt von einem hoch angesehenen Mann, der zugunsten der Liebe einer Frau sein geschätztes Tier und dessen grenzenlose Treue verschmäht. Als er sich schließlich nach seinem Freund zurücksehnt, ist die Geschichte bereits an einem Punkt angelangt, an der ein tragisches Ende unausweichlich erscheint. Laxness zeigt auf, wie wandelbar die gesellschaftliche Stellung und der Wert eines Tiers sein können und wie stark sie sich daran bemessen, wer ein Tier besitzt. Der Dichter und sein Hund ist ein Text, dessen Aktualität unvermindert groß ist und der sowohl durch die grenzenlose Liebe und Treue des Tiers zum Menschen bewegt als auch durch den Verrat des Dichters erschüttert.
Eine weitere Erzählung, die noch einmal ganz anders mit der Thematik „Treue“ umgeht, ist Auf Posten des britischen Schriftstellers Evelyn Waugh. Die Situation ist ähnlich: Ein Mann, der auf eine lange Reise geht, muss seine Angebetete im viktorianischen England zurücklassen. Diese Frau hat einige Verehrer – nicht zuletzt aufgrund eines ganz besonderen optischen Merkmals. Waugh schreibt: „Doch eines machte sie mehr als alles andere der gefühlsduseligen angelsächsischen Männerwelt lieb und teuer, und das war ihre Nase.“ Auf Posten ist eine von großartiger Selbstironie durchzogene Satire. Dennoch schafft Waugh eine letzte, bösartige Wendung in der Geschichte, die sehr unerwartet kommt und besonders belustigt – ausgelöst durch den gezielten Biss eines Hundes, in der Rolle eines dumm-treuen Wachposten, der jeden Verehrer in die Flucht schlägt. Pure Treue, um der puren Treue willen, die keine Notwendigkeit mehr hinterlässt selbst nachzudenken, schwingt sich zum zentralen Motiv der Geschichte auf und stimmt nachdenklich.
Neben dieser beispielhaften Auswahl finden sich noch 18 weitere Geschichten in Wow. Hundestories zum Staunen,die unterschiedlicher kaum sein könnten. Mit Texten von Truman Capote, Anton Pavlovič Čechov – einem der bedeutendsten Autoren russischer Literatur Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts – und der fabelartigen Erzählung Forschungen eines Hundes von Franz Kafka setzt der Sammelband auf literarische Hochkaräter. Diese besondere Qualität ist durchweg spürbar. Die einzelnen Texte verhalten sich wie Gemälde, die zwar alle das gleiche Motiv gewählt haben, deren Pinselduktus, Farbauswahl und Epochenmerkmale sich aber so sehr unterscheiden, dass es sich letztlich bei jedem einzelnen lohnt, einen längeren Blick zu riskieren. Hinzu kommt eine immense kulturelle Vielfalt der Geschichten. Diese stammen nicht nur von britischen, isländischen, amerikanischen, russischen und deutschen Autor*innen, sondern darüber hinaus von polnischen, arabischen und westafrikanischen. Die Geschichten spielen in Kamerun, New York, Berlin, London oder irgendwo im Nirgendwo und ihre Autor*innen stammen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Hintergründen. Viel besser hätte die Kompilation der Geschichten nicht sein können.
Ungünstig zeigt sich die Zusammenstellung nur für Texte, denen anzumerken ist, dass sie keine eigenen, abgeschlossenen Geschichten sind, sondern Auszüge aus Romanen. Hier können sich Leser*innen etwas zu schnell in eine Situation hineingeworfen fühlen, die noch dazu dann kein rundes Ende bieten kann und Fragen offen lässt. So ist es leider bei Ingrid Nolls Der böse Hund der Fall. Wären in der Anthologie noch einige Informationen über die Geschichten vermerkt – wie das Erscheinungsjahr der Geschichten, ob faktual oder fiktional, ob Auszug oder eigenständiger Text, kurze Informationen über Autor*innen – dann wäre ein Großteil dieser Verwirrung vermeidbar und die Leserschaft würde zudem mit dem Gewinn einer besseren Einordnung der Geschichten herausgehen. Bei dem kulturellen Reichtum der Texte können selbst die größten Namen nun einmal nicht immer helfen, die Geschichten unmittelbar richtig verorten zu können.
Weitere Kritikpunkte bilden das Cover und der Titel des Buchs. Die Aufmerksamkeit erheischende, eckige Illustration eines Hundekopfes mit Knopfaugen bedient nicht den eigentlichen Inhalt des Bands, sondern präsentiert sich viel stereotypischer und schafft möglicherweise im Vorfeld andere Erwartungen. Andererseits handelt es sich um einen eyecatcher. Beim Titel Wow. Hundestories zum Staunen handelt es sich um ein schwaches Wortspiel auf Kosten der Aussagekraft. Es wird der Eindruck erweckt, dass es sich hauptsächlich um nicht-fiktionale Berichte über Hunde handelt, die außergewöhnlich sind und dadurch ins Staunen versetzen. Genau das Gegenteil ist aber der Fall, es handelt sich fast ausschließlich um fiktionale Geschichten. Dabei kommen viele Emotionen zu Tage: Freude, Trauer, Mitleid, Belustigung – aber weniger das Staunen. Auch die Wortwahl „Hundestories“, die doch recht journalistisch anmutet, bestätigt diesen Eindruck. „Hundeerzählungen“ oder „Hundegeschichten“ wäre sicherlich stimmiger. Des Pudels Kern bleibt aber dennoch eine Sammlung von Geschichten von Format, die weiterzuempfehlen ist.
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