Was ist eigentlich Feminismus?

Margarete Stokowskis Kolumnen sind stets unterhaltsam und oft überzeugend

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei Jahre nach dem Erscheinen ihrer recht erfolgreichen feministischen Streitschrift Untenrum frei hat die Feministin Margarete Stokowski nun mit einem weiteren Buch nachgelegt. Sein hoffnungsfroher Titel kündigt Die letzten Tage des Patriarchats an.

Die Autorin hat für den Band Kolumnen und Essays zusammengestellt, die sie in den vergangenen acht Jahren in der taz oder auf Spiegel Online veröffentlicht hat. Für die neuerliche Publikation hat sie ihre Texte „überarbeitet“ und dabei „viele Kleinigkeiten geändert“. Außerdem wurden „Erklärungen eingefügt, wo vielleicht nicht jede*r die Debatte noch im Kopf hat oder wo sich Dinge inzwischen geändert haben“. Gelegentlich hat Stokowski einige der bei ihr eingegangenen Kommentare unter die betreffenden Artikel gesetzt. Ganz offensichtlich wurden diese überwiegend von Männern verfasst. Jedenfalls beweisen sie, dass die beste Methode, hater lächerlich zu machen, darin besteht, sie zu Wort kommen zu lassen.

Stokowskis Texte befassen sich zwar überwiegend, aber nicht ausschließlich mit feministischen Belangen, frauenrechtlerischen Themen oder misogynen Verhältnissen und Zeitgenossen. Sie nehmen auch sonstige „bekloppte Zustände“ in den Blick und outen „das beschissenste Event im deutschen Fernsehen“ oder klären Unbedarfte darüber auf, dass der Begriff Anarchie nicht etwa Gewalt und Chaos meint, sondern „Ordnung ohne Herrschaft“, wie es der nicht eben als Feminist bekannte Franzose Pierre-Joseph Proudhon vor mehr als anderthalb Jahrhunderten formulierte. Die Anarchafeministin selbst hält es besonders mit dem anarchistischen Prinzip der „gegenseitigen Hilfe“ der Altvorderen Pjotr Kropotkin und Gustav Landauer.

Manche der Texte sind ein wenig belanglos, doch auch sie sind ebenso unterhaltsam wie die anderen oder zumindest recht lustig. Gelegentlich gelingen Stokowski sogar schöne Aphorismen wie etwa: „man kann über alles reden, aber nicht alles ist verhandelbar.“

Die Autorin trägt ihre oft klugen Ein- und Ansichten stets unprätentiös und fast nie ohne Humor vor. Der vergeht ihr nur höchst selten, etwa angesichts der Flüchtlingsnot vor dem Berliner Lageso. Dann wieder packt sie der gerechte Furor. So prangert sie beispielsweise „die skandalöse Unfreiheit im deutschen Abtreibungsrecht“ an und fordert, „der Staat sollte sich aus dem Uterus raushalten“. Denn der Ausdruck Gebärmutter sei „nicht die Funktionsbeschreibung eines ganzen Menschen, sondern ein Organ“. Kurz, „jede Frau“ habe „das Recht sich für oder gegen eine Schwangerschaft zu entscheiden“. So und nicht anders ist es! Demonstrantinnen gegen den § 218 fassten das vor nunmehr bald einem halben Jahrhundert bereits in die griffige Parole „Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine!“

Gegen die Auffassung, es gäbe eine feministische Rechte, bringt sie einen ganz grundsätzlichen Einwand vor: „Die Gesellschaft, die Feminist*innen wollen, kann eine parlamentarische Demokratie sein oder anarchistische Kollektive, aber sie kann nie völkisch, nationalistisch, rechtsextrem sein.“ Das sei „einfach logisch nicht möglich, weil diese Haltungen auf Ausschluss basieren und auf der Diskriminierung oder noch härteren Bekämpfung von Minderheiten“. Ganz davon abgesehen vertreten Rechte tausende Positionen, die mit einer feministischen Haltung unvereinbar sind. Stokowski zählt einige von ihnen auf.

An anderer Stelle wirft sie die Frage auf, warum Frauen in den Sexstreik treten, um politische Forderungen durchzusetzen, nie aber Männer. Eine interessante Frage, auf die Stokowski jedoch keine Antwort bietet. Dafür aber deckt sie auf, welche sexistischen Klischees mit weiblichen Sexstreiks verknüpft sind. Der Frage, ob es „ein nichtkonservatives Konzept von Ehe geben“ könne, geht sie ebenfalls nicht weiter nach, sondern konzentriert sich in dem entsprechenden Essay auf eine Kritik des Ehegattensplittings als einem „zentralen Machtinstrument, mit dem der Staat das Patriarchat stützt“. Ein Befund, der so falsch nicht ist.

Dann wieder wendet sie sich gegen die pejorativ gemeinte Bezeichnung „weiße mittelalte heterosexuelle Männer“, positioniert sich im Streit um das Eugen Gomringer-Gedicht, nimmt Rechte gegen den Vorwurf, dumm zu sein, in Schutz und Dumme gegen den, rechts zu sein. Sie empfiehlt Männern, schwimmen zu lernen (was natürlich metaphorisch gemeint ist) und kritisiert das Skandalurteil gegen den Vergewaltiger Brock Turner. Am Beispiel der Debatte um Manspreading wiederum zeigt Stokowski, „wie Diskussionen um feministische Themen in der Öffentlichkeit geführt werden“. Sie fordert „mehr dicke Mädchen in Leggins“, da jede von ihnen eine „Demo für mehr Vielfalt“ sei. Überhaupt freut sie sich, „dass es jetzt so viel ‚feministische Mode‘ gibt“, und weist die Kritik zurück, sie schwäche die feministische Bewegung. Problematisch werde es allerdings, wenn T-Shirts mit feministischen Botschaften hunderte von Euro kosten oder von unterbezahlten Frauen zusammengenäht werden müssen. Wer wollte dem widersprechen. Plausibel sind auch ihre Erklärungen, warum die Frauenquote notwendig ist, damit „Menschen im Berufsleben nicht mehr nach ihrem Geschlecht beurteilt werden“, und wie der Ausdruck Homophobie Lesben- und Schwulenhass „verniedlicht“.

In einem anderen Essay nimmt sie gekonnt die „frauenfeindliche Polemik“ des Bundesrichters Thomas Fischer auseinander. Nun ließe sich zwar sagen, wer braucht schon einen Kavanaugh, wenn er einen Fischer hat, doch ist dieser inzwischen nicht nur seinen Job bei der Wochenzeitschrift Die Zeit los, sondern auch den am Bundesgerichtshof. Ein anderer der von ihr für ihre frauenfeindlichen Ergüsse kritisierten Männer, Jens ‚Smarties‘ Spahn, hat es inzwischen hingegen bis zum Bundesgesundheitsminister gebracht. Besonders amüsant aber ist ein Text, in dem Stokowski zeigt, wie lächerlich der „völlig wirre Thesengulasch“ der maskulinistischen Untergangsfantasien des Zeit-Autors Jens Jessen ist.

Angesichts der #MeToo-Debatte hält sie für Männer, die partout nicht von selbst daraufkommen wollen, die „einzige feministische Flirtregel“ bereit: „Sei kein Arschloch“. Das sollte natürlich auch sonst im Leben gelten. Sabine Rückert wiederum dient ihr als Beispiel dafür, dass auch „Frauen ein ebenso elendes Frauenbild haben können wie manche Männer“.

Doch teilt die Autorin nicht nur nach allen möglichen misogynen Seiten aus, sondern übt nicht selten auch innerfeministische Kritik. Zur Lieblingsgegnerin auf diesem Feld hat sich Stokowski offensichtlich Alice Schwarzer auserkoren. So bekennt sie, dass sie schon vor Jahren die Emma abbestellt hat, weil sie ihr „unerträglich“ wurde. Nun, anderen geht es mit dem Missy Magazine genauso. Auch ist es wenig hilfreich, die ideologischen und theoretischen Differenzen innerhalb der Frauenbewegung zu einem „Konflikt zwischen altem und neuem Feminismus“ zu verschieben. Überhaupt werden ihre Texte immer genau dann am schwächsten, wenn sie gegen den von Schwarzer und Emma vertretenen Feminismus polemisiert.

Gelegentlich stürzt sich die Autorin mitten ins Grundsätzliche. Zwar findet sie, dass es letztlich nicht wichtig sei, ob sich jemand das „Label“ Feminismus umhänge, „weil vieles damit gemeint sein kann“, definiert bei dieser Gelegenheit aber, was sie selbst darunter versteht: Feminismus bedeute, „sich dafür einzusetzen, dass alle Menschen die gleichen Rechte und Freiheiten haben sollen, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität und ihrem Körper“. Dieses Statement ist ihr so wichtig, dass sie es gleich in zweien ihrer Texte vorbringt. Allerdings passen Bezeichnung und Definition nicht recht zusammen. Denn die Definition löst das im Begriff Feminismus enthaltene Geschlecht der Frauen in einer unbestimmten Geschlechtervielfalt auf, während der Begriff seinerseits eben diese Geschlechtervielfalt nicht sichtbar werden lässt, um die es Stokowski – auch mit der Erwähnung der Sexualitäten und der Körper –  ja gerade geht. Zu ihrer Definition würde der Begriff Genderismus besser passen oder noch genauer Sexismus, wenn dieser Ausdruck nicht bereits eine ganz andere Bedeutung hätte. Vielleicht also Queerismus? Aber sicher nicht Feminismus, auch wenn sie mit ihrer Definition gewiss nicht alleine steht. Dass Begriffe und ihre Inhalte zusammenpassen, ist nicht ganz unwichtig, denn „Wörter sind relevant“, wie auch Stokowski weiß: „wir verbinden in unseren kleinen schmutzigen Hirnen Dinge mit ihnen, auch unbewusst“.

Wie alle Menschen liegt auch Stokowski schon einmal kräftig daneben. Etwa wenn sie meint, Prostitution sei kein Problem, sofern sie „unter geregelten Bedingungen stattfindet“. Abgesehen davon, dass das Rotlichtmilieu durchaus Regeln hat, die auch schon mal mit letalem Nachdruck durchgesetzt werden, verkennt Stokowski, dass Prostitution einer der schärfsten Ausdrücke und einer der stärksten Pfeiler des Patriarchats ist, mithin also sehr wohl ein Problem, ein ziemlich großes sogar.

Auch flüchtet sie sich angesichts der sexuellen Angriffe junger, meist arabischer asylbegehrender Männer in der Kölner Silvesternacht 2015 in whataboutism und erklärt, sexuelle Gewalt „zu verharmlosen und zu billigen“ sei „ein deutsches Kulturgut“. Nun gibt es zwar Johann Wolfgang Goethes bekanntes Gedicht vom Heideröslein, das zweifellos zum deutschen Kulturgut zählt und das man durchaus als Verharmlosung, wenn nicht gar Billigung einer Vergewaltigung interpretieren kann, ansonsten aber sind ganz andere Kulturen für die Verharmlosung und Billigung sexueller Gewalt berüchtigt.

Abgesehen davon verharmlost auch die Autorin selbst sexuelle Gewalt, indem sie durchgängig von bloß „sexualisierter Gewalt“ spricht. Zur Begründung des von ihr gewählten Ausdrucks führt sie eine Variante des Arguments an, das besagt, der Ausdruck sexuelle Gewalt nehme die Perspektive des Täters ein. „Es gibt den Begriff der ‚sexualisierten Gewalt‘“, legt Stokowski dar, „um zu verdeutlichen, dass es nicht um etwas Sexuelles für den Täter geht, sondern um Machtmissbrauch.“ Dass die Perspektive des Täters eingenommen werde, träfe dann aber auch für die von ihr benutzten Wendungen „sexuelle Belästigung“ und „sexuelle Handlungen gegen den Willen einer Person“ zu. Stokowskis Argumentation zufolge müsste sie eigentlich von „sexualisierter Belästigung“ und „sexualisierten Handlungen“ sprechen. Falsch an ihrem Argument aber ist vor allem, dass es durchaus auch um die Sexualität der angegriffenen Person geht, die beschädigt werden oder gar zerstört werden soll, wie insbesondere im Falle der von den Tätern sogenannten „korrigierenden Vergewaltigungen“ von Lesben in Südafrika und andernorts.

Stokowskis zweites Argument für den Begriff „sexualisierte Gewalt“ ist in feministischen Kreisen bereits seit der zweiten Frauenbewegung bekannt und beliebt. Zuerst wurde es 1975 von Susan Brownmiller in ihrem wichtigen Buch Against Our Will vorgebracht, in dem sie den vermutlich bislang noch immer komplexesten Begründungzusammenhang gegen den Begriff „sexuelle Gewalt“ entwickelt hat. Das Argument besagt in der Formulierung von Stokowski, bei Vergewaltigungen gehe es „nicht um Sex, sondern um Macht“. Doch auch dieses Argument trägt ebenso wenig wie das erste. Denn es kann den Tätern sehr wohl um beides gehen, von reiner sexueller Befriedigung bis hin zur Entmächtigung der Männer vergewaltigter Frauen etwa bei Kriegsvergewaltigungen. Meist spielen beide Momente, sexuelle Befriedigung und Machtausübung, in je unterschiedlicher Gewichtung eine Rolle. Der Geschlechterforscher Rolf Pohl etwa erklärte unlängst in einem Interview der Süddeutschen Zeitung:

Der Begriff der sexualisierten Gewalt suggeriert, Sexualität wäre ein Werkzeug, das benutzt wird, um Macht durchzusetzen. Als hätte das mit sexuellem Begehren nichts zu tun. Das ist naiv: Fast alle Formen von Vergewaltigung dienen auch der sexuellen Befriedigung. Es gibt diese Formen sexualisierter Gewalt, beispielsweise wenn bei Folter Gegenstände eingeführt werden. […] Aber wenn sexuelle Befriedigung im Vordergrund steht, spreche ich von sexueller Gewalt. Da ist die Sexualität das Hauptziel, die Gewalt wird lediglich zu ihrer Durchsetzung benutzt.

Ungeachtet der genannten Kritikpunkte können einem manche der Kolumnen schon ein Mal den Tag retten. Schon allein deshalb ist der Band sehr zu empfehlen. Hinzu kommen die von Stokowski immer wieder verabreichten Denkanstöße.

Wie lange sich die letzten Tage des Patriarchats noch hinziehen werden, ist allerdings fraglich. Schließlich besteht die Menschheit ja rund 100 Jahre nach Karl Krausens Theaterstück Die letzten Tag der Menschheit immer noch. Und in der jüngsten Ausgabe der Emma (Nr. 342, Januar/Februar 2019) ist zu lesen: „Das Patriarchat hat sich noch einmal aufgerappelt von seinem Siechenbett und ist wild entschlossen, allen zu zeigen, wie kräftig es noch ist.“ Aber zur Emma greift Frau Stokowski ja nicht mehr.

Titelbild

Margarete Stokowski: Die letzten Tage des Patriarchats.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018.
317 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783498063634

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