Ein ungeschöntes, doch einfältiges Psychogramm

Lisa Taddeos Roman „Animal“ führt vor, wie man als Frau am besten an sich scheitert

Von Dafni TokasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dafni Tokas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sex, Drogen und Tod verkaufen sich ausgezeichnet. Noch besser verkauft es sich, wenn Sex, Drogen und Tod von jemandem erzählt werden, der apathisch, cool und unbetroffen bleibt, letztlich abgestumpft und blasiert über den Dingen schwebt und die eigene Verletzlichkeit in einen Kokon aus persönlicher und politischer Indifferenz einmauert, bis er – vielleicht – im Leben reüssiert. Und am besten verkauft es sich, wenn nicht nur James Bond das tut, sondern auch einmal eine Frau. Doch nicht einfach als klassische femme fatale, denn das wäre noch zu emanzipiert, zu selbstbestimmt und nicht ernst genug: Nein, es geht um Frauen wie zum Beispiel die von Anya Taylor-Joy gespielte Figur des tablettenabhängigen Waisenmädchens Elizabeth Harmon in der erfolgreichen auf dem gleichnamigen Roman von Walter Tevis basierenden Netflix-Serie The Queen’s Gambit. Taylors Schauspielleistung besteht im immergleichen erotischen Blick in die Kamera, im wortkargen, erkalteten Austausch mit den männlichen Figuren, in der extrem sexualisierten Darstellung ihres Alkoholrauschs, und fast nebenbei gewinnt die von ihr gespielte Protagonistin alle Schachmeisterschaften der Welt, besiegt ihre Drogensucht und überwindet ihre Traumata. Die perfekt sitzende Rothaarperücke rahmt dabei das jederzeit ekzessiv gerenderte, lasziv blickende, sonst aber recht ausdruckslose Puppengesicht ein.

Derlei kommunikationsgestörte, unfassbar hübsche, traumatisierte und dadurch scheinbar gefühlskalte, berechnende Frauen, die sich durch ihre explosive Mischung aus Talent und Verführungskraft einen Platz in der Männerwelt sichern, sind en vogue. Es sind konsumierbare, da selbst in ihrer Fehlbarkeit aalglatte Frauenfiguren, die – würde man sie als Menschen und nicht als Karikaturen konzipieren – eigentlich emotional an ihrer Objektifizierung scheitern müssten, aber sich stattdessen dazu entscheiden, eine pathologische Distanz zu den eigenen Gefühlen aufzubauen, bis der eigene Körper nur noch entseeltes Objekt männlicher, sexueller Begierde ist. Es sind Frauenfiguren, die – ob in Film oder Literatur – als äußerst attraktiv, 
doch meist eher gefühlstaub portraitiert werden. All das geschieht meist nicht nur im Rahmen der Narration, sondern unmerklich auch für diejenigen, die den Stoff solcher Erzählungen rezipieren.

Joan, die Protagonistin in Lisa Taddeos Animal, ist so eine Frau – unzufrieden mit ihrer gesellschaftlichen Rolle, dabei insgesamt äußerst undurchlässig, cool, attraktiv und verführerisch. Sie ist, was auch sonst, in der Werbeindustrie tätig. Allerdings, und das unterscheidet sie von der neuen femme fatale, ohne besonderes Talent, ohne hohe Ziele, ohne klare Richtung im Leben. Sie erträgt die entwürdigende Behandlung der sie umgebenden Männer und der einzige Mann, den sie liebt, will von ihr nichts wissen. Joans Welt ist hoffnungslos düster: Sie spielt mit Männern wie mit Marionetten, und diese spielen mit ihr. Ernst gemeint ist hier wenig, man benutzt einander mehr als dass man sich achtet.

Ein anderer, älterer, verheirateter Mann hingegen – „Vic“ genannt – liebt sie tatsächlich und erschießt sich eines Abends vor ihren Augen. Kurz darauf verlässt Joan die Stadt, in der sie lebt, New York, und flieht nach Los Angeles, um ihre perfekte, bildschöne, psychisch stabile und daher scheinbar beneidenswerte Halbschwester Alice zu suchen und sich ihr zu öffnen. Joan erzählt von den alltäglichen Erniedrigungen, die sie über sich ergehen ließ, und scheint zumindest teilweise zu erkennen, wie es letztlich sie selbst es ist, die zu viel mit sich machen ließ. Sie stößt dabei auch auf ein schockierendes Geheimnis, das ebenfalls mit vergeschlechtlichter Gewalt zu tun hat. Das Du, an das sich die Protagonistin bei ihren Ausführungen richtet, ist vielleicht ihr heranwachsendes Kind, mal ihre Schwester, manchmal auch die Leserin. 

Letztere wird durch zahllose Cliffhanger, explizite Szenen und teils unerträgliche Plattitüden bei der Stange gehalten – ohne Hoffnung auf irgendeinen literarisch erzeugten Erkenntnisgewinn. Der Roman heißt vermutlich Animal, weil mit Tieren auch heute noch das Wilde, Tabuisierte, Unterdrückte, Irrationale und Gewalttätige im Menschen assoziiert ist, das auch im Buch thematisiert wird. In Vics Blut bei dessen Suizid etwa sieht Joan nur „Schweineblut“, ohne zu hinterfragen, weshalb ihr dieser Vergleich einfällt. Erniedrigte Menschen sind eben tierisch, und das Schlechte im Menschen zeigt sich an seiner Tierhaftigkeit. 

Mit derartig realitätsfernen, antiquierten Dichotomien bricht Taddeo in Animal trotz des auf Tierdiskurse verweisenden Buchtitels jedenfalls nicht, sondern reproduziert sie plakativ und bedenkenlos in Form von Mord und Lust, Sex und Gewalt, internalisierter Misogynie und Männerhass zugleich, Steakhäusern, Mozzarella und allzu menschlichen Genüssen – und das, obwohl auf Joans Rückbank im Auto ein Buch von Jacques Derrida liegt! Das hätte sie besser einmal lesen sollten. Aber es scheint nur dem intellektuellen Dekor der Protagonistin zu dienen, deren Gedanken vollkommen von männlichen Pappaufstellern eingenommen zu sein scheinen, anstatt von dem Ausbruch aus deren Zuschreibungen. 

Die dahinter schwelende Komplexität geheimen, unterdrückten weiblichen Verlangens, die in Animal thematisiert wird, versuchte Taddeo literarisch bereits in Three Women – Drei Frauen zu erforschen. Auch dort lesen wir nur von Frauen aus der US-amerikanischen Provinz, die sich – womöglich zurecht – als Spielball männlicher Begierden betrachten, aus dieser Rolle jedoch nicht herausfinden.

Wie schon Three Women ist auch Animal ist ein Buch darüber, wie traumatische Erfahrungen das Leben so stark beeinflussen können, dass sie direkte Auswirkungen auf das sexuelle Verlangen und Verhalten der betroffenen Frauen haben. Eine neben allen Schwächen auffallende Leistung des Romans ist es, diesbezüglich immer wieder ungeschönt zu zeigen, wie Frauen sich nur noch aus männlicher Perspektive zu sehen vermögen und sich konsequent objektivieren. Sich an- und ausziehen für Männer, leben durch Männer, und auf Kriegsfuß mit anderen Frauen stehen. Auch Joan kann selten auf ihr eigenes Begehren zugreifen, weil sie nur gelernt hat, männliches Verlangen zu erregen, zu halten und zu empfinden – stärker als das eigene: 

Vom Sex mit Männern, die man nicht attraktiv findet, kann ich dir ein Lied singen. Es dreht sich dann alles nur um die eigene Performance, den eigenen Körper, wie er von außen wirkt und sich auf diesem – zum bloßen Zuschauer degradierten – Typen bewegt.

Schade ist, dass Joan sich selbst nicht wirklich zu erforschen wagt, nie fragt, woher ihr omnipräsentes, angeblich allein von verheirateten Männern verschuldetes Unglück rührt und was sie tun kann, um Grenzen zu setzen, eine starke, selbstbestimmte Frau zu werden und ihre erlernten Glaubenssätze und Abhängigkeiten, die sich bis in das Schlafzimmer verfolgen lassen, zu hinterfragen. Was sie stattdessen macht? Eben auch mit Männern spielen. Das ist einfacher, frei nach dem Motto: Some of them want to use you, some of them want to get used by you. Ihre Gedanken bleiben auf rund 400 Seiten konsequent oberflächlich, schablonenhaft, frivol, fast trotzig.

Die biographischen Orientierungspunkte im Leben der Protagonistin sind dabei immer toxische Männer. Emotionale Reife sucht man vergeblich. Sei es, dass Joan in eine neue Wohnung zieht, einen Ort wiederentdeckt oder ein bestimmtes Nahrungsmittel konsumiert – alles wird in direkte Beziehung zu den Männern ihres Lebens gesetzt. Und diese Männer sind alle böse. Joans Lösung? Zumindest auf emotionaler Ebene gilt Auge um Auge, Zahn um Zahn – ich bin dir egal, du bist mir egal. Sich in einen Mann zu verlieben, mit dem eine gesunde Liebesbeziehung möglich wäre, oder zur Abwechslung einfach mal in sich selbst, scheint ihr keine Option zu sein. 

Zwischen den populären Merkmalen einer solchen Protagonistin – Kindheitstrauma, Daddy Issues und gewaltige Frustration, die in Apathie umschlägt – ist kein Raum für echte Veränderung. Dass das in Wirklichkeit auch anders laufen kann, dass es Auswege geben könnte, wird in Animal verschwiegen. Der Roman ermöglicht insgesamt keine produktiven emanzipatorischen Gedanken, sondern gibt der Protagonistin enorm viel Raum, heterosexuelle Männer ohne jede tiefere Systemkritik und ohne jede feine Unterscheidung zu dämonisieren. Vulnerabel zu sein und eigene Probleme ernsthaft zu adressieren wird in Animal implizit als Schwäche ausgelegt. Als gäbe es nicht bereits genug solcher Negativbeispiele in Film, Fernsehen und Literatur.

Animal ist deshalb kein literarischer, gar aktivistischer Beitrag zur feministischen Debatte, sondern das plumpe, ungeschönte Psychogramm einer von Männern benutzten jungen Frau und werdenden Mutter, die es nicht unterlassen kann, sich zu viktimisieren und gleiches mit gleichem zu vergelten. Vielleicht würde „wirklich“ emanzipatorische Literatur uns Alternativen zur Opferrolle aufzeigen, die patriarchale Strukturen offenlegen können. Andererseits macht gerade die rohe, einfältige und verbitterte Selbstdarstellung der Protagonistin deutlich, mit welchen Problemen Frauen zu kämpfen haben, die sich nicht aus der gesellschaftlich fast unausweichlichen Rolle einer chauvinistisch aufgeladenen Männerfantasie befreien können: Das promiske Leben wird uns hier nicht als weiblicher, lustvoller, moderner Befreiungsschlag à la Sex and the City verkauft, sondern als uninspiriertes Einerlei – vielleicht ist das eine aufrichtigere, glaubwürdigere Perspektive. Wenn es allerdings wirklich noch so viele Frauen gibt, die ähnlich fatalistisch vor sich hinleben wie Joan, dann hat ein Feminismus, der allen Geschlechtern gerecht wird, noch einen weiten Weg vor sich.

Titelbild

Lisa Taddeo: Animal.
Aus dem Englischen von Anne-Kristin Mittag.
Piper Verlag, München 2021.
432 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783492070935

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