“The possession of a relique of Shakespeare could not cause me greater joy”

August Wilhelm Schlegel und der falsche Lord Byron

Von Christian SenfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Senf

George Gordon Byron gilt als einer der bedeutendsten englischen Romantiker. Zu den Bekanntschaften des Lord Byron gehörte auch Germaine de Staël-Holstein.[1] Im Sommer des Jahres 1816 besuchte der gefeierte Poet die Salonniere in Coppet. Zu den engsten Vertrauten der Madame de Staël-Holstein zählte August Wilhelm Schlegel, der zu dieser Zeit ebenfalls in Coppet weilte. Das Aufeinandertreffen dieser durchaus eitlen Persönlichkeiten war jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Eine Freundschaft entwickelte sich trotz ähnlicher ästhetischer Vorlieben und der gemeinsamen Freundin nicht, Schlegel reagierte dünnhäutig auf die Anwesenheit des umschwärmten Autors.[2] Obwohl die umtriebige Salonniere versuchte, eine Freundschaft zwischen beiden berühmten Schriftstellern zu stiften, blieb das Verhältnis unterkühlt. Byron reagierte spöttisch auf die Befindlichkeiten Schlegels, nannte ihn in einem Brief an den Verleger John Murray „William the testy“.[3] Das schlechte Verhältnis führte er auf die persönliche Begegnung in Coppet zurück: „He took a dislike to me – because I refused to flatter him in Switzerland“.

Lord Byron und August Wilhelm Schlegel wurden von Zeitgenossen als schwierige Charaktere skizziert. Für die Entwicklung einer fruchtbaren Beziehung zwischen bereits anerkannten Koryphäen mag ein persönliches Treffen deshalb eher hinderlich gewesen sein.[4] Das Kapitel dieser Beziehung könnte mit diesem Zwist beschlossen werden, befände sich nicht im Nachlass Schlegels, der in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden verwahrt wird, ein Schriftstück, das bislang in der Schlegelforschung nicht wahrgenommen wurde.

Der Brief wurde mit der Signatur „T. Geo. G. Byron“ unterzeichnet.[5] Kühne Hoffnungen auf ein Schriftstück des berühmten englischen Romantikers werden schnell enttäuscht, der Brief ist auf den 25. Juni des Jahres 1843 datiert. Lord Byron war zu diesem Zeitpunkt bereits 19 Jahre tot.

Dank des ungewöhnlichen Absendeortes ist jedoch eine Identifizierung des Korrespondenten möglich. Der Brief wurde aus der amerikanischen Kleinstadt Wilkes-Barre versendet. 1843 hielt sich dort ein obskurer „Lord Byron“ auf.[6] Der berüchtigte Hochstapler George Gordon de Luna Byron hatte die Stadt in Pennsylvania als Lebensmittelpunkt auserkoren. Er verwendete Pseudonyme wie De Gibler oder Monsieur Memoir und verschiedene militärische Titel, deren Herkunft jeweils in Frage zu stellen ist.[7]

De Luna Byron behauptete, er sei der Spross einer Affäre Byrons mit einer spanischen Adeligen gewesen, die sich 1809 auf der Grand Tour Byrons ereignet habe.[8] Weggefährten des echten Lords reagierten skeptisch auf die Geschichte des vorgeblichen Verwandten. Selbst die Begleiter Byrons konnten sich nicht an eine solche Liaison erinnern. Der vermeintliche Lord Byron beließ es jedoch keineswegs bei der genealogischen Hochstapelei. Er verstand es, sich nicht nur zeitlebens als leiblichen Sohn des englischen Poeten Lord Byron zu inszenieren, seine Imitationsgabe nutzte er auch, um Briefe seines vermeintlichen Verwandten und anderer bekannter Persönlichkeiten des literarischen Lebens zu fälschen und damit zu handeln.[9]

De Luna Byron ist ein Paradebeispiel für die These, dass Hochstapler stets Kunstwerk und Künstler in einer Person sind. Er fälschte Briefe von Lord Byron, John Keats und Percy Bysshe Shelley.[10] Ein Beweggrund mag die Rechtfertigung seiner Verwandtschaft gewesen sein, „Wer die Menschen betrügen will“ muss laut Johann Wolfgang von Goethe bekanntlich „das Absurde plausibel machen.“[11] Auch der lukrative Handel mit Autografen mag für den notorisch klammen Fälscher ein Movens gewesen sein. Autografen wurden schon im 19. Jahrhundert als „auratisch aufgeladene Schriftstücke“ gehandelt.[12] Dass von Anfang an auch Fälschungen auf den Markt kamen, zeigt die Tatsache, dass im Handbuch für Autografensammler aus dem Jahr 1856 bereits ein ganzes Kapitel zu Autografenfälschungen zu finden ist.[13]

Der falsche Lord Byron bat Personen aus dem literarischen Leben um Schriftzeugnisse ihrer Wegfährten, nicht ohne in schwärmerischen Elogen die Brillanz der Schriften der umworbenen Dichter zu betonen.[14] Die somit erworbenen Handschriften erlaubten es ihm, die Autoren im Original zu studieren. Mit seinen Fälschungen war er durchaus auf dem Autografenmarkt erfolgreich, sie erreichten eine hohe Qualität. Weggefährten Byrons, wie  der Verleger John Murray, ließen sich von der Authentizität der Schriftstücke überzeugen.[15] Zu den Käufern seiner Briefe gehörte auch Mary Shelley. Die Autorin des Frankenstein kaufte De Luna Byron mehrere fingierte Briefe ihres Gatten Percy Bysshe Shelley aus Angst vor zu privaten Details ab.[16]

Bislang waren vor allem Personen aus der britischen Literaturszene bekannt, die De Luna Byron um Autografen berühmter Schriftsteller bat. Was mag den umtriebigen Fälscher zum Brief an Schlegel bewogen haben?

Der Inhalt des Briefes gibt Aufschluss über das Motiv des Hochstaplers. Schon die Captatio benevolentiae am Anfang des Schreibens, verweist auf den Zweck des Schriftstücks: „If you deem an apology necessary for intruding upon you – let the plain, republican admiration of the highly esteemed author be my excuse – the admiration of a man to whom our age owes more than our childrenʼs children can repay – new and purer feelings upon art, and its holiest applications.“[17]

Der pathetische Ton, selbst die „children’s children“ seien des edlen Korrespondenten nicht würdig genug, lässt sich im gesamten Brief nachweisen. Beim Lesen der Zeilen kann der Eindruck entstehen, dass es sich beim fraglichen Schriftstück um Elogen des literarischen Hochstaplers Felix Krull handele. Byron de Luna beherrscht die Ars dictandi. Über Schlegels Stellenwert urteilt er wortgewaltig: „Your works, beyond all others, which have been reprinted in America, have contributed to exalt and purify modern science and literature, and no other works of the kind have effected so much good among the reflecting and intellectual portion of the American public.“

Die Wertschätzung des Korrespondenten ist bemerkenswert, zeigt sie doch, dass das Werk August Wilhelm Schlegels selbst auf dem amerikanischen Kontinent rezipiert wurde. Byron de Luna rühmt sich, die Werke Schlegels in der englischen Übersetzung zu kennen, allerdings führt er an, dass „at the same time I will not hide from you how much honoured I should be, if you would condescend to present me with a copy of your works“. Man mag bis zu dieser Zeile noch an den intellektuellen Wissensdrang des amerikanischen Verfassers glauben. Es wäre potenziell möglich, dass es sich nur um die Bitte um weitere Schriften Schlegels handelt, der darauffolgende Satz lässt jedoch aufhorchen: „Such a gift would be unmerited indeed, but not the less appreciated on account of its being derived directly from the author, whose autograph would still more enhance the value of the volumes.“

Das Autograf des renommierten Gelehrten erscheint als das wahre Ziel des Schreibens. Im schwärmerischen Duktus des amerikanischen Briefschreibers liest sich das wie folgt: „The possession of a relique of Shakspeare could not cause me greater joy than your works, which shall form an heir-loom in my family“. Shakespeare ist die wohl größtmögliche Referenz für diesen Vergleich, zumal es sich es sich bei der Person Schlegels wohl um einen der größten Popularisatoren des Shakespeareʼschen Œuvres im deutschsprachigen Raum handelt. Den hyperbolischen Stil mag man noch als rhetorische Finesse entschuldigen, die umfassende Lobpreisung bekommt jedoch in Verbindung mit der kontextuellen Korrespondenz des falschen Byron einen faden Beigeschmack.

Auf just denselben Tag, an dem der Brief an August Wilhelm Schlegel überliefert ist, datiert auch ein Brief eines nicht näher bekannten Herrn Byron an Ottilie von Goethe, der im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar verwahrt ist.[18]

Die Adresse des Verfassers stimmt mit der des Schlegel-Korrespondenten überein. Auch an die Schwiegertochter Goethes wird ein Brief aus der amerikanischen Kleinstadt Wilkes-Barre versendet. Es ist deshalb anzunehmen, dass es sich um denselben Verfasser handelt. Auch wenn der Brief an Ottilie von Goethe auf Deutsch verfasst ist, gleicht die lateinisch geschriebene Absenderabgabe des Verfassers derjenigen aus den Beständen der SLUB.

Darüber hinaus gleicht der schwärmerische Duktus des Briefes dem Pendant an August Wilhelm Schlegel. Der amerikanische Verfasser rühmt pathetisch Goethes „olympische Stirn“ und berichtet von den „sternenhellen“ Nächten, in denen „Göthes Geist, in Faustische Formen gebannt, auf dem Knopfe [s]eines Sattels“ gelegen habe.[19] Nach einer langen Eloge auf das Genie Goethes kommt Byron de Luna dann auf den wirklichen Grund seines Briefes zu sprechen: „Würden Sie, gnädige Frau, einem so innigen Verehrer des Dichters zürnen, wenn er […] sich Ihnen mit der Bitte nähert, ihn mit irgend einer Reliquie Ihres Vaters zu beehren. Ein Autograph – Ein Buch – irgend ein Gegenstand, früherer Eigenthum des Dichters, würde mich, wenn es möglich, mit noch größerem Enthusiasme für den Geschiedenen füllen.“

Im Brief stellt sich Byron de Luna nicht nur als Verwandter des berühmten Lord Byron vor, er erwähnt auch einen Besuch in Weimar. Der amerikanische Hochstapler taucht jedoch in keinem Goetheʼschen Tagebuch oder Register auf. Es ist deshalb höchst zweifelhaft, ob ein solches Treffen stattgefunden hat. Womöglich erhoffte sich der Bittsteller durch eine solche Konstruktion eine bessere Position bei der Akquise der Autografen.

Es lässt sich nur mutmaßen, was Byron de Luna mit den Dichterreliquien vorhatte. Handelte es sich nur um eine wohlwollende Geste der Verehrung? Wollte er mit den Devotionalien handeln, oder gar, wie er es bei den englischen Geistesgrößen mehrmals tat, die Schrift der Schriftsteller im Original studieren, um dann anschließend fälschen zu können?

Fälschungen von Schlegel-Briefen sind bisher nicht bekannt. Fernab von den möglichen kriminellen Absichten des Verfassers weist der Brief noch auf eine weitere Bedeutungsebene. Denn dass sich der falsche Lord Byron neben Goethe an den Bruder Friedrich Schlegels wandte, ist beachtlich. So ist der Brief des falschen Lords trotz der obskuren Umstände des Verfassers ein Indiz für die hohe Reputation August Wilhelm Schlegels in der literarischen Öffentlichkeit. Dass Schlegels Werke schon zu Lebzeiten im englischen Raum rezipiert wurden, ist bekannt.[20] Gerade seine Wiener Vorlesungen Über dramatische Kunst und Literatur popularisierten romantische Ideen in Europa, in der Übersetzung John Blacks waren sie auch in Nordamerika verbreitet. Dass Schlegels Stern bis in die amerikanische Kleinstadt Wilkes-Barre strahlte, zeigt unmissverständlich, welch hohe Anerkennung der Romantiker auch außerhalb Europas im 19. Jahrhundert genoss.

Anmerkungen:

[1] Vgl. Roger Paulin: The Life of August Wilhelm Schlegel. Cosmopolitan of Art and Poetry. Cambridge: Open Book Publishers 2016, S. 246.

[2] Vgl. ebd., S. 391.

[3] Lord Byron an John Murray, 04.08.1821. In: Byron’s Letters and Journals, Volume VII. Between two worlds. hrsg. v. Leslie A. Marchand. London: Murray 1978, 166f.

[4] Vgl. Paulin, The Life of August Wilhelm Schlegel, S. 391.

[5] Digitale Edition der Korrespondenz August Wilhelm Schlegels [05.04.2017]; George Gordon de Luna Byron an August Wilhelm von Schlegel; 25.06.1843; URL: http://august-wilhelm-schlegel.de/briefedigital/; Datum des Zugriffs: 04.05.2017.

[6] Vgl. Theodore G. Ehrsam: Major Byron. The Incredible Career of a Literary Forger. New York: Charles S. Boesen 1951, S. 11.

[7] Andrew Nicholson: Two Byron Forgeries and a Manuscript Poem by Violet Fane. In: The Byron Journal 38 (2010), S. 119-124.

[8] Vgl. Ehrsam, Major Byron, S. 9.

[9] Vgl. Mark Jones (Hrsg.): Fake? The Art of Deception. Berkeley/Los Angeles: University of California press 1990, S. 222.

[10] Vgl. ebd.

[11] Goethes Werke: Hamburger Ausgabe. Bd. 12, hrsg. v. Hans Joachim Schrimpf. Hamburg: Christian Wegner Verlag 1953, S. 528.

[12] Anne-Kathrin Reulecke: Täuschend, ähnlich. Fälschung und Plagiat als Figuren des Wissens in Künsten und Wissenschaften. Eine philologisch-kulturwissenschaftliche Studie. München: Wilhelm Fink Verlag 2016, S. 149.

[13] Vgl. Johannes Günther; Otto August Schulz: Handbuch für Autographensammler. Leipzig: Verlag von Otto August Schulz 1856,  S. 22.

[14] Vgl. Ehrsam, Major Byron, S. 44.

[15] Vgl. Jones, Fake, S. 222.

[16] Vgl. Miranda Seymour: Mary Shelley. London: John Murray 2000, S. 508f.

[17] Digitale Edition der Korrespondenz August Wilhelm Schlegels [05.04.2017]; George Gordon de Luna Byron an August Wilhelm von Schlegel; 25.06.1843; URL: http://august-wilhelm-schlegel.de/briefedigital/; Datum des Zugriffs: 04.05.2017.

[18] GSA 40/II,4,3. Für hilfreiche Hinweise danke ich Anne Fuchs und Héctor Canal Pardo vom Goethe- und Schiller-Archiv.

[19]  Julius Wahle: Beiträge zur Würdigung Goethes im Ausland, in: Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft 3 (1916), S. 186.

[20] Vgl. Paulin, The Life of August Wilhelm Schlegel, S. 423.