Frauenleiche im Aktenschrank
Die Schweizer Autorin Pia Troxler befasst sich in ihrem spannenden Debütroman „Jubiläum“ mit dem widerwärtigen Machismo eines unverbesserlichen Professors
Von Rainer Rönsch
Die schöne und gescheite Psychologiestudentin Sibylle Beckenhofer besuchte zum ersten Mal ein Seminar am Institut für Sozial- und Technikforschung und fand den Professor Dr. Karl Großholz anregend und spannend. Er sprach sie mehrmals an, nahm ihre Antworten ernst, und der Ideenaustausch berauschte sie. Doch Großholz faszinierte sie nur intellektuell, sein „durchschnittliches Aussehen“ – listige Augen und Spottmund – ließ sie kalt. Als er sie in sein Büro bat und ihr eine Semesterassistenz anbot, machte er ihr billige Komplimente und wurde zudringlich. Sie schlug ihn mit ihrer Tasche und rannte davon.
Am Abend jenes Tages wurde sie das scheußliche Erlebnis vorübergehend los und sah im Spiegel die „helle, anmutige, selbstbewusste“ Sibylle, die sich nicht unterkriegen lässt. Ihre Mutter Helene wusste aus Erfahrungen am Arbeitsplatz, wie man mit einem „Böckli“ umgeht, und schlug im streitbaren Dialog vor, was Sibylle tun sollte.
Diese bannte ihr aufwühlendes Erlebnis auf Papier. Dann begann der mühsame Weg zur Kaltstellung des unverbesserlichen Widerlings. Sibylle lernt junge Frauen kennen, bei denen Großholz ebenfalls übergriffig geworden war. In den besten Passagen des Romans werden deren unterschiedliche Charaktere knapp, aber konturenreich skizziert. Da gibt es neben der zarten „Mädchenfrau“ direkt bei Großholz und der zur Assistentin des Institutsdirektors aufgerückten Wissenschaftlerin auch eine Mitschülerin Sibylles vom Gymnasium, die ihre Zukunft – im Gegensatz zur künftigen Psychologin Sibylle – an diesem Institut sieht. Eine ehemalige Mitarbeiterin wurde von Großholz aus bloßem Machthunger belästigt, ohne dass er sie attraktiv fand.
Einige der Betroffenen wollen weder anwaltliche Hilfe noch eine Auseinandersetzung mit dem Professor. Sie ziehen es vor, ihm einfach aus dem Wege gehen. Sorgen um die akademische Karriere sind da ebenso verständlich wie die Scham, das Geschehene öffentlich zu machen.
Mit plumpen und fiesen Methoden nutzt Großholz seine Position aus. Ob er einen wohlverdienten Seminarschein versagt oder mit Konsequenzen bei der Prüfung droht, immer handelt es sich um den Missbrauch akademischer Macht. Einzelheiten über seine wissenschaftlichen Studien und sein digitales Netzwerk sind zwar interessant, führen aber vom Thema weg. Wie ist es dazu gekommen, dass sich dieser Mann, der in den Semesterferien mit Frau und Kindern nach Amerika reist, am Schrecken der von ihm begrapschten Frauen weidet? Als Widerling und Wissenschaftler wird er kenntlich, als Gesamtperson nicht. Immerhin passt zu ihm, dass er sich grausam an all den Frauen rächen will, die aufbegehren.
Denn das geschieht schließlich, wobei männliche Assistenten am Institut solidarisch mit den Frauen handeln. Nicht aber Institutsdirektor Professor Knoll, der Großholz seinen Schützling nennt und ihn unbelehrbar gegen angebliche Gerüchte und Unterstellungen verteidigt. Noch weniger als Großholz wird Knoll zur greifbaren literarischen Figur. Männer wie er in Leitungspositionen tragen größte Schuld daran, dass Frauen gedemütigt und zerstört werden. Dies würde auch ohne seine blassen Auftritte im Roman deutlich.
Chefs wie Knoll behaupten gern, es gehe ihnen um den Ruf ihrer Institution. Sie verteidigen jedoch kein echtes Image, sondern ein schöngefärbtes. Ob in Hollywood oder in universitären und künstlerischen Einrichtungen – Verbrechen gegen Frauen wird es geben, solange diese Machos ihre Positionen behalten und missbrauchen.
Bei der Lektüre erweist sich der Romantitel Jubiläum als treffsichere Ironie. Nicht der 30. Jahrestag der Gründung sollte an jenem Institut im Zentrum stehen, sondern die Aufarbeitung jahrelangen übergriffigen Verhaltens, das eine erschreckende Kluft zwischen intellektuellem und ethischem Niveau offenbart.
Am Feiertag des Instituts begeht Großholz dann sogar ein Tötungsdelikt. Er bittet eine Frau, die ihn vom Sehen kennt und die zur Feierstunde im Chor mitgesungen hat, in sein Büro, weil er sie angeblich mit dem Taxi zum Bahnhof mitnehmen will. Als sie sich gegen seine Handgreiflichkeiten wehrt, kommt sie zu Tode. Großholz verbirgt ihre Leiche im Aktenschrank, nachdem er dem Direktor gezeigt hat, was geschehen ist. Der macht sich davon, und der Täter geht mit seiner ihn liebevoll anlächelnden Ehefrau zum Bankett. Sicherlich wird man recht bald einen grausigen Fund in seinem Büro machen und Großholz überführen.
Trotz des problematischen Abdriftens ins Krimigenre handelt es sich um einen lesenswerten Roman, der ein so gewichtiges wie bedrückendes Thema mutig und in blitzsauberer Sprache angeht. Schweizerische Anklänge werden im „großen Kanton“ gut ankommen. Ein paar falsch eingeheftete Seiten behindern die Lektüre nur kurzfristig.
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