Wenn Erbstreitigkeiten das Selbstbewusstsein der Tochter wachsen lassen
Aline Valangin erzählt in „Casa Conti“ von alten Geschichten, die eine Familie einholen
Von Liliane Studer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAlba lebt seit Jahren mit ihrem Ehemann Vito in Mailand. Doch dort kann und will sie nicht länger bleiben, denn Vito hat sich in geschäftliche Schwierigkeiten manövriert, aus denen herauszukommen beinahe unmöglich scheint. Nicht nur deshalb steckt diese Ehe in einer Krise, das kinderlose Paar hat sich auseinandergelebt. Alba braucht Abstand. So kehrt sie zurück in ihr Heimatdorf, wo ihr Vater nach wie vor lebt und nichts gegen die Anwesenheit seiner älteren Tochter hat. Anders sieht das die jüngere Schwester Lisetta, die mit Burri verheiratet ist, einem Deutschschweizer Metzger, der sich von dieser Partie einiges verspricht, umso mehr, als Lisetta in seiner Schuld steht, hat er sie doch geheiratet, obwohl sie ein uneheliches Kind mit in die Ehe brachte. Denn das Vermögen des alten Giulio Morsini ist nicht zu verachten – und darauf hat es Burri abgesehen. So sieht er denn gar nicht gerne, dass sich Alba in der Casa Conti niederlässt, vermutet er doch, dass sich die ältere der beiden Schwestern nur an das Erbe heranmachen will – anders denken kann Burri nicht. Seine Schwägerin kommt eindeutig ungelegen. Die intelligente wache Frau könnte ihm gefährlich werden, hat er doch einiges zu verlieren: Burri steckt seinerseits in großen finanziellen Schwierigkeiten, die er tunlichst verheimlicht, und hat bereits genau berechnet und geplant, wie er seine Probleme wird lösen können. Dabei geht er selbstredend vom baldigen Tod des Schwiegervaters aus und dass er als Ehemann der jüngeren Tochter alles erben wird. Alba jedoch ist weder dumm noch unaufmerksam. Und so nehmen die Dinge ihren Lauf, wenn auch anders, als die verschiedenen Familienmitglieder es sich vorgestellt haben.
Aline Valangin (1889–1986) kannte die Gegend, in der sie ihren Roman Casa Conti angesiedelt hat, sehr gut, ebenso die Menschen, die in den Tessiner Bergdörfern lebten. Sie zog 1936 nach Comologno im Onsernonetal, wo sie den Palazzo della Barca bewohnte. Mit Romanen wie Casa Conti, Die Bargada (eben im Limmat Verlag neu aufgelegt) oder Dorf an der Grenze wurde sie bekannt und zu einer wichtigen Vertreterin der Tessiner Literatur in deutscher Sprache. In ihren Werken greift sie zum einen das Leben der Bewohner:innen der südlichen Bergtäler auf, zum anderen thematisiert sie politische Fragen, etwa die Schweizer Asylpolitik während des Zweiten Weltkrieges. So schreibt sie in Dorf an der Grenze davon, wie bedrohte Flüchtlinge an der Grenze abgewiesen wurden.
Geboren wurde Aline Ducommun in Vevey und wuchs in Bern auf. Das Klavierspielen war ihre große Leidenschaft, sie besuchte in Lausanne das Konservatorium und schloss dort als Konzertpianistin ab. Knapp dreißigjährig musste sie die Karriere als Pianistin endgültig begraben, nachdem sie sich mit einer Scherbe am linken Daumen so unglücklich geschnitten hatte, dass die Sehne verletzt wurde. Später ließ sie sich bei C. G. Jung zur Psychoanalytikerin ausbilden. Mit ihrem ersten Ehemann, dem Anwalt Wladimir Rosenbaum, führte sie in Zürich einen Salon der künstlerischen Avantgarde, in dem Persönlichkeiten wie Ignazio Silone oder Kurt Tucholsky Zuflucht fanden. Auch später in Comologno führte sie ein offenes Haus, in dem zahlreiche Künstler:innen wie das Ehepaar Arp, Meret Oppenheim oder die bereits genannten Silone und Tucholsky verkehrten. Mit ihrem zweiten Ehemann, dem Pianisten Wladimir Vogel, lebte sie bis zu ihrem Tod in Ascona.
Es ist das Verdienst des Zürcher Limmat Verlags, die Werke von Aline Valangin seit vielen Jahren wieder neu aufzulegen. Ihre Romane erzählen nicht nur Geschichten aus den Tessiner Bergtälern. Auch wenn sie regional und zeitlich verankert sind, schärfen sie den Blick für heutige Fragestellungen. So auch der Roman Casa Conti, der erstmals bereits 1944 erschienen ist. Erb- und Familienstreitigkeiten sind nach wie vor weit verbreitet. Immer wieder scheitern Familien an diesen Herausforderungen. Im Roman führen Verschuldung, Neid, Geldgier den Metzger Burri dazu, vor nichts mehr zurückzuschrecken und sich damit auch gleich selbst ein Bein zu stellen. Psychologisch einfühlsam und gleichzeitig in der Konsequenz radikal zeichnet Valangin auch die Beziehung zwischen den beiden Schwestern, die – hin- und hergerissen zwischen Schwesternliebe und Loyalität mit dem Ehemann – nicht über den eigenen Schatten springen können und immer wieder gegen die eigene Überzeugung handeln. Als die eindeutig Stärkere erweist sich dabei Alba, die in den Wochen im Elternhaus und insbesondere nach dem Tod des Vaters ein Selbstbewusstsein entwickelt, das sie befähigt, die für sich richtige Entscheidung zu treffen.
|
||