Lebendiges Rad in der Parteimaschine

Jan Valtins „Tagebuch der Hölle“ beeindruckt durch Schonungslosigkeit

Von Werner JungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Werner Jung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Immer wieder seit seiner US-amerikanischen Erstveröffentlichung 1941 ist der Bericht Jan Valtins, eines Pseudonyms des Hamburger Kommunisten Richard Krebs (1905-1951), in hohen Auflagen gedruckt worden, auch in der deutschen Übersetzung durch Werner Krauss seit 1957. Und dies völlig zu Recht. Denn dieser Bericht, den man auch als Memoirenwerk des Seemanns Valtin aus einfachen Verhältnissen bezeichnen kann, erzählt – „spannend geschrieben“, wie es in John M. Spaleks Standardwerk über Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933 (Bd. 3: USA, Teil 2) einmal heißt – biographische Entwicklungsstationen eines glühenden Kommunisten, der 1923 nach der Niederschlagung der Bremer Räterepublik in die KPD eintritt und von ersten Aktivitäten für die Partei über verantwortungsvolle Positionen, die er in der Kommunistischen Internationale (Komintern) zunächst legal, seit Hitlers Machtergreifung dann im Untergrund vertritt, von der Verhaftung durch die Gestapo, Folterungen und Demütigungen aller Art, einer riskanten Flucht aus der Haft und schließlich dem Tod seiner Frau Firelei: 

Im Dezember 1938 erhielt ich eine Mitteilung, die besagte, dass Firelei im Gefängnis gestorben war. Hatte sie selbst ihrem Leben ein Ende gemacht? War sie kaltblütig ermordet worden? „Die Gestapo scherzt nie!“ Aber sie gab auch keine Erklärungen. Unser Sohn Jan wurde eine Waise des Dritten Reichs. Ich habe nie wieder von ihm gehört.

Unabhängig von der Tatsache, dass Valtins Bericht – auch wenn immer wieder von interessierter Seite (wie in der untergegangenen SU) Zweifel am Wahrheitsgehalt dieses ‚Renegaten‘ aufgekommen sind, der, nachdem er nicht zuletzt das fatale Zusammenspiel von stalinistischer Geheimpolizei und der Gestapo am eigenen Leib erfahren hat, der kommunistischen Weltbewegung adé sagt – zu den auflagenstärksten Werken  des Genres kommunistischer Memoirenliteratur (so Michael Rohrwasser) zählt, beeindruckt es vor allem durch die Schonungslosigkeit, mit der hier zum einen die borniert-sklavische Haltung der Komintern (nach Stalins Machtübernahme) beschrieben, zum anderen die Verhaltensweisen einzelner willfähriger Politiker, ‚Apparatschiks‘ gemäß Stalinscher Willkür, demonstriert werden. Die längste Zeit nimmt sich Valtin selbst nicht davon aus, bloß ein „lebendiges Rad in der Parteimaschine“ gewesen zu sein, ein „Fanatiker“, mit „unerbittlicher Intoleranz“ ausgestattet, der kämpft, weil er hasst, und für den die Partei – bzw. die eigene „Parteidisziplin“ – einfach nur wunderbar und wahr ist. 

In einem Rechenschaftsbericht vor führenden Genossen der Komintern-Führung, u. a. dem verhassten Ernst Wollweber, in dem Valtin zeitlebens den Typus des angepassten ‚Apparatschiks‘ gesehen hat, geht er bis in die frühen Jahre seiner kommunistischen Aktivitäten zurück:

Ich sprach dann von meiner Arbeit für die Komintern in Amerika, in Hawaii, in Belgien und Holland und Frankreich, in der Schweiz und Norwegen, in Dänemark, Schweden, Finnland und Russland, in Singapur und Shanghai und England. Ich sprach von der Gefängnishaft und von den Gefängnissen, von den Schreckenslagern der Nazis, in denen ich gelitten und trotzdem weiter für die Partei gekämpft hatte und für die Revolution, volle sieben Jahr lang.

Auch heutige Leserinnen und Leser können sich nicht der suggestiven Wirkung und Sogkraft dieses Textes entziehen, der – insbesondere im III. Teil, der nach der Verhaftung und Einkerkerung durch die Nazis bis zur Flucht aus dem KZ Fuhlsbüttel spielt – auf beiden Seiten brutale Terrorakte zeigt, Folterungen bis in kleinste Einzelheiten detailliert beschreibt und sich an einem schier unvorstellbaren Maß unmenschlichster Handlungen abzuarbeiten versucht.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Jan Valtin: Tagebuch der Hölle.
bahoe books, Wien 2024.
650 Seiten, 28 EUR.
ISBN-13: 9783903478367

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