Eine mediävale Grammatik der Fantasy. Literaturwissenschaftliche Zugänge zu einer populären Gattung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fantasyliteratur ist aus dem heutigen Buchladen nicht mehr wegzudenken. Seit J.R.R. Tolkiens Der Herr der Ringe hat das Subgenre der ‚High Fantasy‘, das explizit mit Motiven und Formen der Mythen, Sagen und der Literatur des europäischen Mittelalters arbeitet, millionenfache Bucherfolge aufzuweisen. Die Verfilmung der Werke Tolkiens brachte die langanhaltende Popularität der Gattung auf einen vorläufigen Höhepunkt. Aktuell wird der als „Epos“ bezeichnete Zyklus von George R. R. Martin (Das Lied von Eis und Feuer) insbesondere durch die Fernsehserie Game of Thrones nicht nur bei Liebhabern wahrgenommen. Parodien wie die Bücher von Terry Pratchett sind über die eingefleischte Fangemeinde hinaus in der Populärkultur angekommen. Selbst der deutsche Fantasyroman hat längst sein Nischendasein verlassen und kann sowohl mit ernstzunehmenden Verkaufszahlen als auch Übersetzungen in andere Sprachen aufwarten.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass dieser Erfolg zu Beginn des 21. Jahrhunderts auch und gerade einer populären Inszenierung des Mittelalters geschuldet ist. Daraus ergibt sich das Interesse und die Aufgabe der Literaturwissenschaft und speziell der Mediävistik, jenseits jeglicher Gattungsvorbehalte und Epochengrenzen die produktive und kritische Auseinandersetzung mit den Texten der Fantasy zu suchen.

Das Interesse des Bandes gilt dem bisher weitgehend unbeachteten spezifisch literarischen Modus dieser populären Rezeptionsform. Gefragt wird nach Erzählstrukturen und Handlungsräumen, nach dem Figureninventar beziehungsweise Archetypen oder nach den in diesen Texten ausgedrückten gemeinsamen Phantasmata des Mittelalters. Ziel ist es, diese Texte aus einer wissenschaftlich-mediävistischen Perspektive zu lesen und damit ihr Faszinationspotenzial zu erklären.

Das Gegenstandsfeld der einzelnen Beiträge umfasst diejenigen Fantasyromane der Gegenwartsliteratur, in denen das Mittelalter, seine Literatur, Kultur und Mythologie, zum prägenden Inszenierungsraum und zur Projektionsfläche wird. In der noch wenig ausgearbeiteten Genretheorie der Fantasy werden diese Werke zum Typus der High Fantasy gerechnet, deren Beginn mit den seit den 1960er Jahren erschienenen Werken J.R.R. Tolkiens angesetzt wird – wobei auch prominente Vorläufer des Feldes wie die Werke von C.S. Lewis und Robert E. Howard nicht ausgeschlossen werden können (Beiträge von Corinna Virchow und Niels Werber). Der Schwerpunkt liegt sowohl auf englischsprachigen Werken globaler Verbreitung (wie zum Beispiel A Song of Ice and Fire von George R.R. Martin und seiner Serienverfilmung A Game of Thrones, den Werken C.E. Pogues, Terry Pratchetts und Neil Gaimans; Beiträge von Matthias Däumer, Sebastian Holtzhauer und Angila Vetter, Anja Müller, Niels Penke, Theresa Specht und Christine Theillout) als auch auf deutschsprachigen Fantasyromanen (Beiträge von Nathanael Busch, Hans-Heino Ewers, Andrea Sieber und Hans Rudolf Velten), die seit Mitte der 1980er Jahre immer zahlreicher erschienen sind. Aus der jeweiligen Gegenstandsanalyse soll sich schließlich eine mediävale Grammatik der Fantasy erkennen lassen.

Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert grundsätzlich nicht die Bücher von regelmäßigen Mitarbeitern der Zeitschrift, Angehörigen der eigenen Universität oder aus dem Verlag LiteraturWissenschaft.de. Diese Bücher können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Nathanael Busch / Hans Rudolf Velten (Hg.): Die Literatur des Mittelalters im Fantasyroman.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2017.
240 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-13: 9783825368036

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