Versklavte Zeilen

Mit seinem Langgedicht „Die Schiffbrüchigen von Tumbatu“ liefert Reimer Boy Eilers eine poetische Traumreise in ungelenken Reimen

Von Veronika DyksRSS-Newsfeed neuer Artikel von Veronika Dyks

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In seiner bisherigen Karriere als Schriftsteller hat Reimer Boy Eilers nicht nur Prosa, sondern auch einige Gedichtbände verfasst. Mit Die Schiffbrüchigen von Tumbatu hat er nun erstmals ein Langgedicht veröffentlicht. Inspiration dafür bot ihm die eigene Bootsfahrt von Sansibar zur Insel Tumbatu in einem Einbaum, einem kleinen, aus einem einzigen Baumstamm gefertigten Boot. Das lyrische Ich vollzieht die gleiche Reise und träumt sich dabei in die Vergangenheit, wird imaginärer Zeuge des Schiffbruchs einer Sklaven-Dhau, und blickt schließlich selbst durch die Augen eines dieser Schiffbrüchigen.

Die poetische Traum- und Zeitreise enthält einen konkreten historischen Bezug: Sie handelt vom ostafrikanischen Sklavenhandel und dem omanischen Sultanat auf Sansibar im 18. und 19. Jahrhundert. Dass Eilers, ein Europäer und zudem weder Afrika-Experte noch Historiker, über den arabischen Sklavenhandel und Territorialismus in Afrika schreibt, mag verwundern. Doch es ist gerade diese Haltung eines unwissenden Außenseiters, die Eilers einnimmt und aus der er kreatives Potential schöpft: Die spirituelle Erfahrung, in der sich poetische, historisch-politische und Traumebene miteinander vermischen, bleibt doch nichts anderes als eine „eigenwill’ge Touristentour“. Das sagt auch der Heiler Salumba, Freund und ständiger (imaginärer) Begleiter des lyrischen Ichs.

Ein ironisch-distanzierter Unterton trifft bei Eilers auf das Poetisch-Träumerische von Märchen und Fabeln aus Europa, Afrika und dem Nahen Osten: sprechende Tiere, Geister, Dschinn und natürlich Sindbad, der Seefahrer. Die Begegnung deutscher und afrikanischer Kultur spiegelt sich zudem auf sprachlicher Ebene wider, die norddeutsche Mundart mit arabischen und suahelischen Begriffen verbindet. Da es sich bei den Partien des Gedichts nicht um ‚Gesänge‘, sondern norddeutsch-schlicht um „Stremel“ handelt, grenzt sich der Text bewusst von großen Versepen ab. Zwar lassen die Schiffsreise und die Wahl der Versform zunächst an Homer und seine Odyssee denken, doch diese Assoziation erstickt Eilers im Keim: Er schreibt ein spielerisches, eigenwilliges Langgedicht – kein Versepos.

Eigenwillig ist auch der Schreibstil. Eilers schreibt nicht in freien Versen, sondern verfolgt ein – mal mehr, mal weniger – festes Reimschema. Diese Reime kommen jedoch oft hölzern und ungelenk daher. Vielleicht entspricht ja genau das der Intention des Autors – versprachlichen sie doch den deutschen Touristen, der nur versuchen kann, sich der Geschichte und Kultur auf Sansibar und Tumbatu anzunähern, ohne wirklich dazuzugehören. Wenn das Reimschema jedoch den Lesefluss stört und unfreiwillig komisch wirkt, ist jede Frage nach der Autorintention vergebliche Liebesmüh; es spricht einzig und allein für einen schlechten Schreibstil. Die Reime scheinen allein um des Reimes – des Reimer Boy Eilers? – willen entstanden zu sein und wirken mehr gewollt als gekonnt. Im Idealfall ist der Reim ein Stilmittel der sprachlichen Verdichtung, das poetische Wirkungs- und Bedeutungskraft entfalten soll; hier jedoch hat er sein Ziel verfehlt und erinnert zuweilen an eine Büttenrede oder eine Deutsch-Hausaufgabe in der Schule:

Denn dies war keine Verzückung.
Es war die pure Verrückung.
Ich machte einen Schritt,
der Zeitenlauf ging mit.
Und ich war nun bereit
für die Vergangenheit.

Auch die im Textbeispiel genannte politisch-historische Ebene der „Vergangenheit“ ist nicht ganz zu Ende gedacht. Die zwangsläufig europäische Kritik am omanischen Sklavenhandel und an einer mit dem Islam verbundenen und begründeten Sklaverei ist größtenteils unreflektiert; die aktive Versklavung und ‚christliche‘ Missionierung afrikanischer Völker durch Europäer wird nicht wirklich erwähnt. Stattdessen liefert Eilers als „Koda“ einen Auszug aus Captain G. L. Sulivans Dhow Chasing in Zanzibar Waters aus dem Jahr 1873 und eröffnet somit den Bezug zur britischen Anti-Sklaverei-Bewegung – Europa, Verfechterin von Demokratie und Freiheit.

Natürlich lässt sich diese Kritik relativieren. Schließlich handelt es sich um einen bestimmten historischen Kontext, von dem sich der Autor hat inspirieren lassen und den er literarisch ­– lyrisch – verarbeitet, ohne das Phänomen der Sklaverei gesamtheitlich und kritisch betrachten zu müssen. Das Problem ist jedoch, dass es im Text einen einzigen Bezug zum europäisch-amerikanischen Sklavenhandel gibt. Der kommt jedoch sehr alibi-mäßig daher und schreibt den Europäern eher eine passive Rolle zu:

Wenn die Sklaven woanders
im Zucker verdarben
oder in Baumwoll‘ ihr Leben gaben,
stand auf Sansibar kein Zuckerrohr,
es waren Nelkenplantagen davor.
Hier mussten die Elenden schuften,
damit uns in Ulaya –
Europa –
die Nelken in Mutters Küche duften.

Die Europäer machen sich lediglich dadurch schuldig, dass sie naiv, blind oder gar gleichgültig hinnehmen, dass die Sklaven für ihre Delikatessen auf Plantagen „schuften“ müssen. Der europäische Kolonialismus und der transatlantische Sklavenhandel sind nur ein dumpfes „woanders“ – sowohl räumlich als auch zeitlich.

Die Schiffbrüchigen von Tumbatu kann in Einigem überzeugen: Die Traumreise ist mitreißend, die Vermischung verschiedener kultureller und sprachlicher Bezüge macht Spaß beim Lesen. Auch die heute ungewöhnliche Wahl der Versform verspricht einen Zugewinn an sprachlicher Verdichtung, Bedeutungsoffenheit und eine Manifestation der poetischen Traumerfahrung – wären da nicht die teilweise schrecklichen Reime, die einen faden Beigeschmack hinterlassen. Sind sie eine bewusste Entscheidung oder einfach nur Ausdruck eines schlechten Schreibstils? Ob nun intendiert oder nicht, in diesem Langgedicht begegnet der Leser Zeilen, die ebenso versklavt zu sein scheinen wie die Menschen der Vergangenheit, von denen sie erzählen. Gefangen in schlechten Reimen und einem (un)bewusst unreflektierten Eurozentrismus schafft Die Schiffbrüchigen von Tumbatu es nicht, das volle Potential seiner Form, seines Themas und seiner Erzählung auszuschöpfen.

Titelbild

Reimer Boy Eilers: Die Schiffbrüchigen von Tumbatu. Langgedicht.
Kulturmaschinen Verlag, Berlin 2020.
208 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783967630770

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