Untot in Weimar

Olivia Viewegs Zombie-Erzählung „Endzeit“in der Langfassung

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Anfang 30 gehört Olivia Vieweg zu den arrivierten Comic-Erzählerinnen in Deutschland. Neben Arbeiten als Illustratorin und monatlichen Comic-Kolumnen im Tagesspiegel macht sie vor allem mit ihren Langerzählungen auf sich aufmerksam, darunter Huck Finn (2013) und Schwere See, mein Herz (2015). Figurenzeichnung und Bewegungsabläufe sind am Manga geschult und in satten Farben koloriert. Dadurch wirken Viewegs Comics auf den ersten Blick gefällig und leicht zugänglich. Aber gerade das verleiht der Handlung mehr Wucht – wie in Antoinette kehrt zurück (2014), wo eine junge Frau aus Los Angeles in ihr Heimatdorf am Harz zurückkehrt und noch einmal das Mobbing ihrer Altersgenossen Revue passieren lässt – und sich dann an dem Jungen, der sie am meisten gequält hat, brutal rächt.

Auch der Zombie-Comic Endzeit, den Vieweg bei Carlsen vorlegt, arbeitet mit diesem Kontrast aus üppigen Farben, fast kindlichen Hauptfiguren und einer düsteren Handlung. Am Ausgang derselben steht die Standardsituation der Zombie-Apokalypse, in der kleine Gruppen von Überlebenden Widerstand gegen Heerscharen von Untoten leisten, die ansonsten zumindest die gesamte Umgebung der (noch) menschlichen Figuren beherrschen.

Ungewöhnlich ist, dass Vieweg ihre Erzählung in Deutschland ansiedelt, genauer gesagt zwischen ihrem Geburtsort Jena und Weimar, wo sie heute lebt. Die Hauptfiguren Vivi und Eva sind unbestimmten Alters, aber wohl doch Teenager, müssen aus Weimar fliehen und versuchen, sich durch Zombie-Territorium in die Nachbarstadt durchzuschlagen. Der Plot ist nicht neu – Endzeit ist ein Remake von Viewegs gleichnamigem Debütband, der 2012 im kleinen Verlag Schwarzer Turm erschien. Das Original umfasste gerade einmal 46 Seiten. In der Neufassung von 2018 nimmt sich die Autorin erheblich mehr Zeit. Bewegungen werden, wie im Manga üblich, aus verschiedenen Winkeln gezeigt und auf eine größere Zahl von Panels aufgeteilt, vor allem aber schafft Vieweg eine ungeheure atmosphärische Dichte. Im Mittelpunkt steht das Miteinander von Eva und Vivi, die ein zusätzliches Trauma mit sich herumträgt. Was sie heimsucht, hat nur indirekt mit der Zombie-Apokalypse zu tun.

Vivi und Eva fliehen durch eine allmählich verwildernde Landschaft von großer Schönheit, in der sie nicht nur den Untoten, sondern auch den nun wild lebenden Giraffen des Erfurter Zoos begegnen. Endzeit ist auch eine Hommage an Viewegs Heimat, deren glühende Sommer vielleicht noch nie so lebendig gezeichnet wurden. Überhaupt leben die Zeichnungen nicht zuletzt von der Kunst der Koloristen Ines Korth und Adrian vom Baur, die ihr Extralob in den Credits der Autorin mehr als verdient haben.

Jena und vor allem Weimar sind leicht verfremdet, die realen Straßenzüge in jedem Panel wiederzuerkennen. Auf der Weimarer Esplanade, der heutigen Touristen-Flaniermeile, stehen Blumen- und Gemüsekästen zur Selbstversorgung der Bewohner, vor Ernst Rietschels ikonischem Goethe-Schiller-Denkmal sind die Wasserkanister. Was es allerdings nicht gibt, ist eine explizit politische Deutung des Zombie-Szenarios, wie sie gerade anhand von George A. Romeros stilbildenden Filmen gern geübt wird, dabei wäre gerade der Schauplatz Weimar eine Steilvorlage gewesen. Dass Vieweg sie nicht genutzt und Endzeit nicht zur leicht verdaulichen, didaktischen Erzählung zur deutschen Geschichte verbogen hat, spricht für ihre künstlerische Souveränität. Nur einmal gestattet sie Eva die Bemerkung, dass Weimar in noch größeren Schwierigkeiten wäre, wären neben den Zombies auch noch die Toten aus ihren Gräbern gestiegen – dank des nahen KZ Buchenwald die noch schilmmere Alternative.

Die Grenzen zwischen Lebenden und Untoten bleiben fließend. Offenbar findet die Verwandlung ganz allmählich statt – und ist auch nicht irreversibel. In Jena scheint man die Befallenen bereits mit Medikamenten zu behandeln. Ungewöhnlich auch, dass die Zombies immer mehr pflanzliche Eigenschaften annehmen; aus ihrem Körper wachsen Äste und Wurzeln, sie nähern sich der Landschaft an, die sie durchstreifen. Und schließlich – so viel Spoiler-Alarm muss sein – sind auch Eva und Vivi bereits infiziert, was ihre Reise nach Jena umso dringlicher macht. Das Ende der Geschichte ist nicht das erwartete, ergibt sich aber ganz folgerichtig aus der Handlung. Ein wunderbares Buch – für Erwachsene und Jugendliche ab zwölf Jahren.

Titelbild

Olivia Vieweg: Endzeit.
Carlsen Verlag, Hamburg 2018.
285 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783551761699

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