Vom Priester zum Messias

Vaughn Bodés künstlerischer Werdegang

Von Romain BeckerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Romain Becker

Ursprünglich wollte Vaughn Bode Priester werden. Der Berufswunsch hatte aber wenig mit seinem Glauben zu tun: Er wollte einfach nur lange Kleider tragen dürfen, ohne, dass man sich dabei über ihn lustig macht. Später in seinem Leben schien ihn, der sich nun Vaughn Bodé nannte, der Blick anderer nicht mehr zu stören. Geschminkt, mit lackierten Fingernägeln, möglichst viel Schmuck und im Lederoutfit herumstolzierend, gab der selbsternannte Comicbuch-Messias Cartoon-Konzerte vor Hunderten von Zuschauern. Vaughn Bodé avancierte in der Gegenkultur der 70er,  die er in gewisser Weise mitgegründet hatte, zum Superstar. Vom Priester zum Messias – wie konnte das funktionieren?

Zurück zum jungen, noch unbekannten Vaughn aus Utica im Staate New-York. Bereits seine schwierige Kindheit in einer komplizierten Familie verbrachte er damit, sich Fantasiewelten zu erdichten und sie zu zeichnen. Mit 5 Jahren soll er seinen ersten Comic gemalt haben; mit 13 wurde erstmals etwas von ihm veröffentlicht – im örtlichen Kirchenblatt. Der nächste Höhepunkt in seiner Karriere ließ auf sich warten. Vaughn ging zunächst zur Armee, blieb aber nicht lange. Sein Sohn Mark sagt heute, Vaughn sei damals von einem Vorgesetzten sexuell belästigt worden. Ein Freund und Kollege hingegen beteuert, Vaughn habe sich für dort erlebte homosexuelle Erfahrungen geschämt. Sicher ist nur, dass er weiterhin vom Militär fasziniert blieb, obwohl die Zeit in der Armee ihn traumatisiert hatte.

So ist es nicht allzu erstaunlich, dass der 21-jährige 1963 sein erstes größeres Werk dem Krieg widmete. Vaughn druckte alle 100 Exemplare von Dăs KämpF zu Hause aus, tackerte die Seiten zusammen und verscherbelte sie wohl an Freunde und Bekannte. Der finanzielle Erfolg war ihm nicht gegönnt, aber im Nachhinein sind sich Comicforschende einig, dass Vaughn, der diesen Comic unter dem Namen „-von“ veröffentlichte, hiermit einen der ersten Underground-Comics geschrieben hatte. Auf 100 Seiten voll bittersüßer Ironie stellt der Autor in Dăs KämpF den Alltag von kleinen, breitschultrigen, dümmlich aussehenden Soldaten im Krieg dar. Jede Illustration wird von einem Text begleitet, der immer mit „Krieg ist…“ (im Original „War is…“) beginnt und eine hoffnungslose, tragikomische oder absurde Situation in einer Kriegsschlacht schildert. „Krieg ist, wenn man mit einem Fallschirmsprung in die gegnerische Front eindringt und seine Waffe vergessen hat.“ – so beschreibt er eine dieser Illustrationen im Disney-Zeichenstil. „Krieg ist, wenn man einen wirklich blöden Befehl erteilt bekommen hat, sich aber später nicht darüber beschweren kann, weil man getötet wurde.“ Der brutal ehrliche Text steht im klaren Kontrast zu den rundlichen, gar idyllischen Zeichnungen, was bis zum Ende seiner Karriere ein Markenzeichen blieb. Zu dieser brutalen Ironie und den humorvollen Zeichnungen von Dăs KämpF kommt hinzu, dass es sich in gewisser Weise um eine Parodie handelt (nicht nur von Hitlers Mein Kampf, auf das im Titel angespielt wird). Erfahrenen Comiclesenden dürfte auffallen, dass -von’s „War is…“ auf den 1962 erschienenen Peanuts-Band Happiness is a Warm Puppy von Charles M. Schulz anspielt. Tatsächlich erinnert der Zeichenstil an Snoopy, Charlie Brown und ihre Freunde. Doch da, wo Schulz beschreibt, was Glück bedeutet („Happiness is…“), erklärt Bode die Grausamkeit eines Krieges. Dăs KämpF ist somit ein Vorreiter der Gegenkultur, die rund um 1968 auf amerikanischen Campussen blüht. Der Armee und Mainstream-Kultur (hier den Peanuts) gegenüber kritisch, außerhalb der üblichen Verkaufskanäle vertrieben, persönlich geschaffen und mit persönlichem Inhalt: Vaughn Bode hatte eines der allerersten Werke der sogenannten Underground-Gegenkultur kreiert.

Auch wenn Dăs KämpF mit einer Auflage von lediglich 100 Exemplaren keinen kommerziellen Erfolg einbrachte, war es doch Vaughns erster persönlicher Erfolg seit langem. Stolz reiste er 1960 nach New York City, präsentierte seine Zeichnungen verschiedenen Verlagen und Zeitungen und hoffte, professioneller Comiczeichner werden zu können. Vaughn erhielt jedoch nur Absagen (unter anderem vom legendären Stan Lee) und kehrte frustriert nach Utica zurück, wo er all seine Zeichnungen verbrannte. Zu dieser Frustration gesellte sich Vaughns Besessenheit vom Tod: Er ging regelmäßig Fallschirmspringen und, so seine Tagebucheinträge, versuchte  den Fallschirm jedes Mal später zu öffnen. Doch Vaughn gab den Suizidgedanken nicht nach, denn er konnte sich in seine Fantasiewelten zurückziehen.

Diese Welten waren für ihn mehr als bloße Einbildung: Sie waren Realität. Ärzte hatten paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Das bedeutet, dass Vaughn Wirklichkeit und Fiktion zumeist nicht recht voneinander unterscheiden konnte, dass die bunten, rundlichen Figuren, die er malte, in seinen Augen wirklich irgendwo existierten. Es beängstigte ihn, dass er von seinem eigenen Universum eigentlich „geheilt“ werden konnte, beichtet er im autobiografischen Text Bodé Consciousness – doch er war glücklich darüber, dass er im Comiczeichnen einen Beruf gefunden hatte, in dem seine überaus blühende Fantasie ein Talent und keine Krankheit darstellte.

Vaughns Talent und sein unverkennbarer Zeichenstil begannen nun ihren Siegeszug. Einerseits illustrierte er Science-Fiction-Geschichten für Fanzines und später Magazine. Andererseits veröffentlichte er in der Studentenzeitung der Universität von Syracuse, wo er nun mit 23 Jahren begann Kunst zu studieren. Vaughn Bode, der jetzt unter dem Namen Vaughn Bodé seine Werke veröffentlichte, erschuf hier unter anderem The Man, der den Studierenden so gut gefiel, dass die Universität ihn ein Jahr später als Buch herausgab. Vor allem aber erschien dort erstmals Cheech Wizard, Bodés langlebigste und wohl bekannteste Figur. Cheech ist ein Zauberer mit überdimensionalem, gelbem, mit roten Sternen versehenem Hut, unter dem lediglich seine Füße herausragen. „Zauberer“ ist wohl eine Übertreibung: Außer in seiner ersten Erscheinung zaubert Cheech nie. Stattdessen schläft er mit großbrüstigen Frauen, nimmt Drogen und tritt die anderen Bewohner seines Zauberwalds – impotente, zweibeinige Echsen – in die Testikel. Wenn eine Figur versucht, Cheech zum Zaubern zu bringen, endet das Ganze entweder mit Erpressung, Mord oder bereits genanntem Tritt. Die Figur wurde zu einem Star der Gegenkultur – so sehr, dass sich noch heute weltweit an vielen Orten Cheech Wizard Graffiti auffinden lassen.

Cheech Wizard und andere seiner Figuren fielen auch weiteren Protagonisten der Underground-Comic-Szene auf. So kam es, dass der Künstler nun nach New York City eingeladen wurde, wo er auf Trina Robbins, Kim Deitch, Spain Rodriguez und vor allem Robert Crumb traf. Letzterer hatte 1968 mit seinen Zap Comix die Underground-Bewegung ins Rollen gebracht, sein Zeichen- und Erzählstil inspirierte nun Dutzende anderer Künstler und Künstlerinnen. Doch Vaughn Bodé gehörte nicht dazu: Sein Stil war vollkommen anders, laut Bob Levin vom Comics Journal,  „mit einer herzzerreißenden Menschlichkeit und Güte“, die einen Kontrast zu Crumbs zitternden, schonungslosen Strich bildet. Prompt wurden Bodés Comics im East Village Other, einem Sprachrohr für die alternative Jugend, veröffentlicht. Wenig später wurde er zum Chefredakteur und Verleger von Gothic Blimp Works ernannt, einer Zeitung, die nur aus Underground-Comics bestand, in der auch Art Spiegelman, der später mit Maus weltweiten Erfolg erfuhr, veröffentlicht wurde. Vaughn war am Höhepunkt seiner Underground-Karriere angelangt.

Bodé hatte aber größere Ambitionen und suchte ein breiteres Publikum, diesmal auf dem Mainstream-Markt. Er wendete sich von anderen Underground-Künstlern ab und veröffentlichte ab 1969 im Männermagazin Cavalier seine monatlichen Deadbone-Seiten. Ab 1971 engagierte zusätzlich der National Lampoon, ein Humormagazin mit einer stattlichen Auflage von einer Million, den Zeichner: Bodé sollte nun auch eine monatliche Comicserie rund um Cheech Wizard veröffentlichen. Vaughn schlug gleichzeitig diversen Zeitungen eine U-18-Version von Cheech Wizard (hierfür in „The Hat“ umbenannt) vor, brach aber letztendlich das Projekt ab, da diese Version dem drogen- und sexsüchtigen Zauberer unter dem Hut nicht gerecht wurde. Beim National Lampoon blieb er deswegen, weil man ihm völlige Freiheit beim Schreiben und Malen ließ. Cheech und sein Schöpfer waren erfolgreich. Im Verhältnis zu seinen ehemaligen Kolleg*innen aus der Underground-Szene (Robert Crumb ausgenommen), war Vaughn bekannter und vermögender geworden – womit er gerne vor ihnen angab – und lebte diesen Ruhm bald aus. Das relativ konservative, christliche Leben mit Frau und Kind ließ er nach und nach hinter sich.

Einerseits gab es da Bodés Suche nach neuen sexuellen Erfahrungen: Affären, Orgien, später ein Lederfetisch und SM-Praktiken wurden seiner Frau Barbara 1971 zu viel und die Bodes ließen sich scheiden. Vielleicht lag es aber auch an den Experimenten rund um seine sexuelle wie Gender-Identität: Vaughn experimentierte mit  Cross-Dressing, trug regelmäßig Kleider und Schmuck und war seinen Tagebüchern zufolge auf der Suche nach „männlicher Domination“. Nach der Scheidung zog er nach Woodstock, in eine WG mit Jeffrey Catherine Jones. Letztere entdeckte, dass sie eine Trans-Frau war, was Vaughn dazu brachte, seine eigene Identität noch stärker zu hinterfragen. Nachdem er eine Hormon-Therapie für eine Geschlechtsumwandlung begonnen hatte, erkannte er allerdings, körperlich doch ein Mann bleiben zu wollen. Vaughn, den gleichzeitig Männer und Frauen anzogen, der sich teilweise als Frau fühlte, bezeichnete sich als „Unisexuell“ oder „Omnisexuell“ – ein Mensch im Gleichgewicht zwischen verschiedenen Elementen. Bodé betrachtete Sexualität und Gender als kontrastierende Pole. Diese Vorstellung hing wohl auch mit seinem religiösen Weltbild zusammen – oder aber er suchte sich eine Religion, zu der seine Identität passte.

Denn Vaughn war auch von Spiritualität besessen. Ab 1971 besuchte er diverse Gurus und folgte verschiedenen östlichen Religionen. Besonders gefiel ihm dabei die Idee, dass alles in der Welt in Harmonie und in Gleichgewicht lebe, obwohl es doch immer polare Gegensätze gebe. Yin und Yang, Mann und Frau, homo- und heterosexuell: Vaughn – gleichermaßen Mann und Frau – sah sich als die Verkörperung des universellen Gleichgewichts innerhalb der Kontraste, gar als einen Vorreiter für die Menschheit. Er müsse wohl zu Höherem berufen sein und der Welt seine Erkenntnisse beibringen. So wurde Vaughn zum selbsternannten „Comicbook messiah“ und Cheech Wizard zu seinem Apostel. In einem Comic, Schizophrenia, sowie in mehreren Essays spricht er seine Sexualität und komplexe Gender-Identität an, um andere zu inspirieren, sich selbst zu akzeptieren. Immer häufiger brachte er zudem spirituelle Botschaften (und sich selbst als göttliche Figur) in seine Comics ein, blieb dabei aber stets humorvoll und seinem Stil treu.

Dieser Stil war seit den 70ern der unverkennbare „Pictography“-Stil, wie ihn Bodé nannte. Die Illustrationen sind darin vom Text und von Lautmalereien abgekoppelt, die eingerahmt über dem Bild stehen. Sprache und Bild befinden sich im Kontrast zueinander, doch zusammen ergeben sie Sinn. Ebenfalls charakteristisch sind die schon beschriebenen, rundlichen Formen in seinen Zeichnungen, die an Disney-Cartoons erinnern, und die satten Farben, in denen er in Cavalier und im National Lampoon nach einiger Zeit aufgrund der starken Nachfrage von Fans anstelle von schwarz-weiß malen durfte. Ebenso rundlich wie seine Zeichnungen war Bodés Lettering, um Comictitel und Lautmalerei darzustellen. Seine „Bubble Letters“ und Figuren hatten einen solchen Wiedererkennungswert, dass sie in den 70ern und 80ern die Vorlage für viele der ersten Graffiti-Künstler bildeten und – wie bereits erwähnt – noch heute in der Graffiti-Szene beliebte Motive darstellen. Vaughn selbst hätte laut seinem Sohn nie Sprayer werden wollen: Er sei so sehr auf Sauberkeit bedacht gewesen, dass er immer mit Stoffhandschuhen malte und eine Sprühdose nicht einmal damit und mit einer Zange angefasst hätte.

Trotz mangelndem Interesse an Graffiti verbrachte Bodé die letzten beiden Jahre seines Lebens weniger mit Comicbüchern. Es ging ihm nun immer mehr um seine „Cartoon Concerts“, da diese seiner Rolle als Messias gerechter wurden. Hierbei stand er vor hunderten Zuschauern und Zuschauerinnen auf der Bühne, projizierte seine Illustrationen auf eine Leinwand und las den dazugehörigen Text. Dabei verlieh er seinen Figuren verschiedene Stimmen und machte seine eigenen Soundeffekte: Eine Show, die auch international gut ankam. So wurde Bodé unter anderem nach Lucca, zum zweiten internationalen Comicfestival der Stadt Angoulême und sogar ins Louvre-Museum eingeladen. Mit diesen Konzerten konnte er nicht nur seine Werke in den Vordergrund rücken, sondern auch seine eigene Rolle. Da er als androgyne Figur auftrat und zudem ausgefallene auffällige Outfits trug, stand Vaughn den Rockstars seiner Zeit in nichts nach: Eine schillernde, charismatische Figur, auf die alle Blicke gerichtet waren. Man soll sogar in Erwägung gezogen haben, ihn als Vor-Performer bei Alice Cooper- oder Rolling Stones-Touren auftreten zu lassen. Zwar kam es nicht dazu, doch lauschten ihm und seinen Geschichten insgesamt zig Tausende: Bodé war zum Prediger avanciert, sein Evangelium enthielt einen Mischmasch an Religionen, Drogen und die Aufforderung zu sexueller Freiheit. Auf einer Facebook-Fanseite erwähnt Mark Bodé gelegentlich, dass sein Vater sogar eine Kirche eröffnen wollte, oder vielleicht einen Themenpark, wer weiß?

1975 ging ein erneutes sexuelles und spirituelles Experiment schief, all seine Projekte nahmen ein jähes Ende. Vaughn Bode verstarb mit 33 Jahren während eines autoerotischen Unfalls – im selben Alter wie ein anderer, noch bekannterer Messias vor ihm. Gerade als seine Asche von einer Brücke ins Meer geschüttet wurde, so mehrere Zeugen, fuhr darunter eine Yacht vorbei, auf der sich leicht bekleidete Frauen sonnten – seinem Sohn zufolge der ideale letzte Streich.

Nach der Blütezeit der Hippie-Kultur gerieten Vaughn Bodé und seine Werke größtenteils in Vergessenheit. Bis auf vereinzelte Neuauflagen und eine Schuhkollektion bei Puma gab es wenig Interessantes für seine Fans. Wie erwähnt, blieb zumindest die Sprayer-Szene ihrem Messias treu:  Cheech Wizard kann man in vielen größeren Städten auch weiterhin huldigen – ganz ohne den berüchtigten Tritt zu riskieren.

Literaturverzeichnis

Bodé, Vaughn; Bodé, Vincent. 2015. “Cheech Wizard Meets his Maker”, Cheech Wizard’s Book of Me, Seattle: Fantagraphics Books, 2015, 79–81.

Bodé, Vaughn. 1973. Schizophrenia, Berkeley: Last Gasp Eco Funnies.

Bodé, Vaughn. 1975. „Confessions of a Cartoon Gooroo“. Mediascene 15 (September–October). 33–35.

Bodé, Vaughn. 2001. „Bodé Consciousness“. In Schizophrenia, unter der Leitung von Marc Arsenault, 59–64, Seattle: Fantagraphics Books.

Gabilliet, Jean-Paul. 2013. „Postface. Vaughn Bodé’s first Struggle“. In Bodé, Vaughn, Dăs KämpF, 51–65, Paris: Éditions aux forges de Vulcain.

Levin, Bob. 2005. „I See My Light Come Shining“. The Comics Journal 5, 62–81.

O’Neil, Denny. 1976. „The Death of the Cheech Wizard“. High Times 14 (October). 60–63, 88–

Pompetti, Vincent. 2011. „Rencontre avec Mark Bodé“, Paris Tonkar Magazine, https://paristonkar.net/2011/11/07/rencontre-avec-mark-bode/.

 

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen