Leicht wilde Schräglage

Hans von Trothas sentimentale Reise auf den Spuren von Laurence Sterne

Von Karl-Josef MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karl-Josef Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Standuhren sind in weiten Kreisen der Bevölkerung aus der Mode gekommen. Zu Zeiten von Laurence Sterne, um die Mitte des 18. Jahrhunderts also, nannte in England, wer etwas auf sich hielt und es sich leisten konnte, ein solches Zeitmessinstrument sein Eigen. Daran war nichts Ehrenrühriges, im Gegenteil. Mit der Uhr war für einen geordneten Tagesablauf gesorgt, ohne sie drohte Anarchie:

Denn wenn die Uhren missachtet und nicht mehr genutzt werden, weiß keiner mehr, was die Stunde geschlagen hat, wann es Zeit fürs Gebet ist oder Zeit aufzustehen, die Wache zu übernehmen, &c. &c. &c.

In seinem so schön gestalteten wie lesenswerten Buch A Sentimental Journey. Laurence Sterne in Shandy Hall erzählt uns Hans von Trotha, wie es Sterne gelingen konnte, diesen Garanten bürgerlicher Ordnung in Misskredit zu bringen, nämlich „durch eine Verknüpfung des Geschlechtsakts mit dem Aufziehen einer Standuhr“. Wie diese seltsame gedankliche Verbindung zweier doch recht unterschiedlicher Handlungen zu Stande kommt, sei hier nicht verraten. Kenner von Laurence Sterne wissen Bescheid, allen anderen sei empfohlen, das so kurze – knapp 140 Seiten – wie kurzweilige Buch Hans von Trothas zu lesen.

Natürlich wollen wir die Leserinnen und Leser auch für Laurence Sterne selbst gewinnen, zumal sein Werk seit kurzem wieder in der ausgezeichneten Neuübersetzung von Michael Walter vorliegt – und für Jean Paul, den von Throtha voller Respekt Sternes Meisterschüler nennt.

Aber wir kommen vom eigentlichen Thema ab, doch müssen wir uns dafür entschuldigen? (Apropos Jean Paul, wir empfehlen zur Einstimmung das Leben des vergnügten Schulmeisterleins Maria Wutz in Auenthal. Eine Art Idylle.) Wohl eher nicht, besteht das Werk von Laurence Sterne doch fast ausschließlich aus Umwegen, Nebenhandlungen und Abweichungen, mit einer geradlinigen und zielgerichteten Handlung werden wir bei ihm nicht belästigt.

Hans von Trotha gelingt in seinem Büchlein zweierlei. Einerseits bettet er Laurence Sternes Œuvre ein in die Zeit seiner Entstehung um die Mitte des 18. Jahrhunderts, andererseits unterstreicht er den Eigenwert dieser Dichtung. Wer begreifen möchte, was es mit dem Begriff der Avantgarde in der Literatur auf sich hat, lese nur einige Seiten Laurence Sterne. Oder er greife zu dem Büchlein Hans von Trothas. Denn der Autor spart nicht mit ausführlichen Zitaten aus der Sentimental Journey und dem Tristram Shandy.

Apropos Shandy. Das wohl bekannteste Porträt Laurence Sternes stammt von Joshua Reynolds, Sir Joshua Reynolds, um genau zu sein. Wir beenden unsere begeistere Besprechung mit einem längeren Zitat, das

I. das Porträt näher beschreibt
II. den Porträtierten als einen wahren Shandy ausweist und
III. die Vorfreude der Leser auf die Lektüre des hier vorgestellten Buches steigern soll.

Nun endlich das Zitat, und dann Schluss:

Der Mann trägt eine Perücke. Sie ist ihm leicht verrutscht. Das gibt dem Bild den Charakter eines Schnappschusses und lässt uns – schließlich ist es ein Gemälde, und da ist nichts dem Zufall überlassen – darüber nachdenken, was uns ein Maler sagen möchte, wenn er der Perücke eines von ihm Porträtierten eine leichte Schräglage verpasst, und was in einem Porträtierten vorgegangen sein mag, der sich dagegen nicht wehrt. Vielleicht wollen uns die beiden, Maler und Gemalter, in heimlicher Komplizenschaft darauf hinweisen, dass der, den wir hier sehen, die Konventionen zwar beherrscht, sich aber nicht von ihnen beherrschen lässt. Oder dass er seine eigenen Konventionen hat. Dass er manchmal ein bisschen schräg ist oder vielleicht ein bisschen wild. Im Dialekt von North Yorkshire gibt es für eine solche leicht wilde Schräglage ein altes, damals schon sehr selten gebrauchtes Wort. Es lautet: shandy. Dieses Wort findet sich, sieht man genau hin, auf dem obersten der Blätter, auf denen der Ellenbogen des Mannes ruht. Nun lässt sich noch mehr entziffern: and ions f Tristram Shandy.

Titelbild

Hans von Trotha: A Sentimental Journey. Laurence Sterne in Shandy Hall.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2018.
144 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783803113320

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