Alice im Wunderland in Addis Abeba

Der englische Snob Evelyn Waugh erzählt von einer seltsamen Krönung

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das sind so Geschichten aus dem Reporterleben: Als einziger Journalist erfährt Waugh in Addis Abeba, dass eine Invasion der Italiener unmittelbar bevorsteht. Damit ihm niemand diese Exklusivmeldung stiehlt, kabelt er seinen Artikel darüber an die "Daily Mail" in London, aber auf Latein. Der diensthabende Redakteur hält das nur für einen dummen Scherz und wirft den Artikel in den Papierkorb.

Das war 1935, als Evelyn Waugh (der trotz dieses Vornamens ein Mann war) als Kriegsreporter ziemlich erfolglos war. Fünf Jahre zuvor war er bei einem der größten Ereignisse Afrikas zugegen: der Krönung des Königs Haile Selassie, des Ras Tafari, Löwe Judas, 225. Nachfolger des Königs Salomon - wie es hieß. Auch hier war er erfolglos, denn als er seine Berichte von den tatsächlichen Ereignissen durchgab, hatten alle anderen Zeitungen ihre Berichte schon gedruckt. Die waren nämlich größtenteils geschrieben worden, bevor das Ereignis überhaupt stattfand. Denn schließlich musste es doch in die Montagsausgabe. Und so freuten sich manche Journalisten hinterher, wenn ein erfundenes Detail tatsächlich stimmte. Ein großes Ereignis war diese Krönung auch nur, weil sich alle europäischen Länder ihren Einfluss am Horn von Afrika sichern wollten und also ihre Aufwartung machten. Sie kamen in eine unfertige Hauptstadt, eigentlich ein schäbiges Dorf, bestehend aus Wellblechhütten und Staub, die Zeremonie war elend lang und so langweilig wie sie nur sein konnte, für die meisten Europäer auch unverständlich. Aber immerhin: Man war dabeigewesen.

Eher aus einer Laune heraus war Evelyn Waugh, der später so schöne Romane wie "Scoop", "A Handful of Dust" oder "Brideshead Revisited" schrieb, als Gesellschaftsreporter für die "Times" und den "Daily Express" nach Addis Abeba gefahren. Wenn auch die Artikel nicht erschienen, so wurde immerhin ein Buch über seine fünfmonatige Reise durch Äthiopien, Sansibar, Somalia, den Jemen und Kenia publiziert.

Erst jetzt, Jahrzehnte später, erscheint es auf Deutsch. Es ist ein seltsames Buch, denn Waugh ist durchaus in seiner Zeit gefangen, ein rassistischer, sogar antisemitischer Snob mit Sympathie für den italienischen Faschismus. Ein Mann, den eigentlich alles nicht so sehr interessiert, der sich auch für die Einwohner, die er für rückständig hält, für ihr Leben, für ihren Glauben nicht interessiert. Was ihn interessiert, ist vor allem sein eigenes Gemäkel an dem, was er sieht. Denn alles, was er sieht, gefällt ihm nicht. Selbst das nahegelegene alte Harar kann ihn nicht überzeugen: "Die Kissen waren hart wie Bretter, und durch die Fenster (unverglast und ohne Läden) drang das unablässige Geheul von Hunden und Hyänen und gelegentlich das klagende Hornsignal eines Nachtwächters."

Und dennoch: Waugh verfügt, wohl gerade deswegen, über einen scharfen, unbestechlichen, sehr ironischen und manchmal geradezu düsteren Blick, mit dem er auf die Auswüchse der Kolonisation, den absurden Pomp der Krönung, die äthiopische Kirche und vor allem die Europäer im Ausland sieht. Respektlos redet er von den Krönungsfeierlichkeiten: "Nur in 'Alice im Wunderland' findet man diese besondere Atmosphäre einer galvanisierten und verfremdeten Realität, wo Tiere Uhren in den Westentaschen tragen, Majestäten auf dem Krocket-Rasen neben dem Scharfrichter einherschreiten und eine Gerichtsverhandlung damit endet, dass plötzlich ein Kartenspiel durch die Luft segelt." Der Autor schildert eine Atmosphäre aus "Hysterie und Apathie, Erhabenheit und Farce, Gereiztheit und Misstrauen". Scharf sieht Waugh durch den Unsinn des englischen "white man's burden" hindurch: "Ob es wollte oder nicht, Afrika wurde überhäuft mit dem ganzen Krempel unseres Kontinents - mechanische Verkehrsmittel, repräsentative Regierung, Gewerkschaften, künstlich stimulierter Hunger auf eine Vielfalt an Kleidung, Nahrungsmitteln und Vergnügungen, all das wartete auf die Afrikaner."

Die Landschaften hat er immerhin gemocht, wenn sie grandios waren wie in Kenia, aber die Menschen waren nur Futter für seine ironischen Bemerkungen: "Glücklichere Menschen beobachten Vögel, ich beobachte Menschen. Die sind weniger schön anzusehen, aber vielfältiger." Was er sucht und deswegen auch findet, sind Abstrusitäten und Willkür wie bei der Einreise nach Kenia, wo selbst die Bestechungen nicht fruchten, weil die Beamten gerade Siesta halten. Erst später durfte er weiter: "Und so betrat ich Kenia, wild entschlossen, meinen Teil zu dem ohnehin schon vorhandenen Berg an abfälliger Literatur beizutragen, die über diese oft missverstandene Kolonie geschrieben wurde."

Schlimmer als die Afrikaner findet er allerdings die Engländer (mit wenigen Ausnahmen). Noch als er endlich wieder in London ist und in ein In-Lokal geht, bestellt er Sandwiches, die nicht kommen, und Wein, der nach salzigem Sodawasser schmeckt. "Ich war wieder im Zentrum des Empire, dort, wo gerade 'alle Welt' hinging. Am nächsten Tag würden die Klatschkolumnisten von den jungen Abgeordneten, Adeligen und Finanzmagnaten berichten, die sich in diesem üblen Keller eingefunden hatten, wo es heißer war als auf Sansibar, lauter als auf dem Markt von Harar, wo man sich um Anstand und Gastfreundschaft noch weniger scherte als in den Spelunken von Kabalo oder Tabora."

Eigentlich ist sein Buch eine Anreihung von Unfällen und völligem, oft gegenseitigem Unverständnis. Was macht auch so ein verwöhntes Bürschchen wie Waugh, der aus einer reichen Familie stammt und vor allem um seine passende Kleidung bemüht war und sehr genau aufpasste, was die anderen trugen, in Afrika? Kein Wunder, dass ständig so etwas passiert wie in Kabalo, einem winzigen Ort am Oberen Kongo, wo sich Waugh in einem Gasthaus erkundigt, "wann das nächste Flugzeug in Richtung Küste gehe. Da verstummten alle und starrten mich an. Der Besitzer lachte. Wann das nächste gehe, wisse er nicht, das letzte sei vor etwa zehn Monaten abgeflogen."

Was passiert noch? Nicht viel, was man nicht erwarten würde. Alles beschreibt Waugh: Langeweile und Überdruss, verpasste Züge und Schiffe, grauenvolles Essen und ungenießbare Getränke, Moskitowolken, Wanzen und Flöhe und den allgegenwärtigen Dreck. Egal wo er ist, ob er alte Kirchen, abgelegene Dörfer, äthiopische Leprastationen oder arabische Bordelle besucht, den stürmischen Tanganjikasee befährt oder im kongolesischen Bukuma fast verzweifelt, angenehm ist es nirgendwo: "Wenn je ein Ort die Bezeichnung gottverlassen verdient hat, dann dieser. Die feuchte Hitze war schlimm, viel schlimmer als alles, was ich auf Sansibar erlebt hatte. Bei Sonnenuntergang tauchten Schwärme geräuschloser Malariamücken auf. Ich saß in der griechischen Bar, und der Schweiß tropfte wie Regen von meinem Gesicht." Ein schönes Land, eine schöne Reise. Vor allem aber: ein schönes Buch.


Titelbild

Evelyn Waugh: Befremdliche Völker, seltsame Sitten. Expeditionen eines britischen Gentleman.
Übersetzt aus dem Englischen von Matthias Fienbork.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
336 Seiten, 27,50 EUR.
ISBN-13: 9783821845890

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