Weibliche Stimmen in der Erfolgsphase der Gruppe 47

Zur Präsenz und Wirkung der Autorinnen Gabriele Wohmann, Gisela Elsner, Helga Novak und Renate Rasp

Von Wiebke LundiusRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wiebke Lundius

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An der großen Resonanz auf die einzelnen Tagungen der Gruppe 47 in den Feuilletons, aber auch an den kulturpolitischen Debatten, die um die AutorInnen und ihre Positionen in den letzten 7 Jahren ihrer Existenz geführt wurden, lässt sich mit Beginn der 1960er Jahre ablesen, dass die Gruppe den Höhepunkt ihrer Bedeutsamkeit im literarischen Feld erreicht und zu einer der wichtigsten Institutionen im Kulturbetrieb der Bundesrepublik Deutschland geworden war. Aus den überschaubaren Zusammentreffen vornehmlich ehemaliger Kriegsteilnehmer in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren viel beachtete, von der kulturinteressierten Öffentlichkeit und vom literarischen Markt aufmerksam betrachtete Ereignisse geworden. AutorInnen, die zu den Tagungen eingeladen wurden, versprachen sich von ihrem Auftritt einen Zuwachs an Bekanntheit und oftmals ergab sich schon hier der erste Kontakt zu einem Verlag. Insofern war die Gruppe 47 nach 1960 nicht mehr nur ein Treffen von LiteratInnen, sondern sie war nun selbst Teil des Marktes geworden.

Einige AutorInnen waren durch die Gruppe berühmt geworden und hatten ihrerseits wiederum dazu beigetragen, dass sich die Gruppe im literarischen Feld positionieren konnte. Dies lässt sich gut an der Bedeutung der beiden bekanntesten Schriftstellerinnen der Gruppe rekonstruieren. Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann waren als junge, unbekannte österreichische Autorinnen 1952 zur Tagung nach Niendorf eingeladen worden und sie leiteten mit ihren Lesungen dort einen literarischen Paradigmenwechsel ein. Nicht nur ihr eigener und neuer literarischer Ansatz, sondern auch der deutlich andere Habitus dieser beiden jungen Frauen zog große Aufmerksamkeit auf sich, und dies wurde noch dadurch verstärkt, dass der Preis der Gruppe 1952 an Ilse Aichinger und 1953 an Ingeborg Bachmann vergeben wurde. In vielerlei Hinsicht waren ihre Auftritte eine Besonderheit für die Gruppe, denn weibliches Schreiben hatte dort bisher eine untergeordnete Rolle gespielt. Auch eine Präsenz von jüdischen AutorInnen und damit von Opfern nationalsozialistischer Verfolgung hatte es in der ersten Phase der Gruppe 47 ganz bewusst nicht gegeben. In Niendorf traten mit Ilse Aichinger und Paul Celan gleich zwei Personen mit diesem biografischen Hintergrund auf. Eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik war nicht vorgesehen.

Doch fand dieser Erfolg weiblichen Schreibens in der Gruppe zunächst keine Fortsetzung. Mit der Blechtrommel von Günter Grass stand nach 1958 nun wieder ein Autor im Mittelpunkt der Gruppe und wurde zum Aushängeschild für die kulturelle Öffentlichkeit. Er bediente literarisch einen neuen Ansatz und als Typus stand er in Abgrenzung zu jenem intellektuellen Habitus, wie ihn Aichinger und Bachmann repräsentierten.Die kontroverse Resonanz auf die Blechtrommel bedeutete für die Gruppe 47 in der folgenden kulturpolitischen Auseinandersetzung eine enorme Aufwertung. Nun stand sie als Institution für den Ansatz einer neuen, gesellschaftskritischen Literatur, die sich gegen das Ideal der reinen, vergeistigten Poesie stellte. Machtkämpfe und Ablösungsprozesse im Kontext der Neuorientierung der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft zeichneten sich hier ebenso ab wie die Abgrenzung von der Vergangenheit der Gruppe selbst, die eben gerade nicht die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zum Gegenstand hatte.

Im Zuge dieser neuen Bedeutsamkeit der Gruppe 47 kamen sehr viel mehr AutorInnen zu den Lesungen und die Zahl der Vertreter aus dem Literaturbetrieb erhöhte sich. Gehörten in den ersten Jahren nach dem Krieg im Zuge einer allgemeinen höheren weiblichen Präsenz auch noch Verlegerinnen wie Ingeborg Stahlberg zum Kreis der Gruppe, war der nicht-literarische Bereich nun ganz in männlicher Hand. Dies gilt auch für die „berühmt-berüchtigte“ Kritiker-Riege, in der fast alle renommierten Kritiker der Nachkriegszeit vertreten waren.

Nach 1960 wurden zu den Tagungen aber wieder verstärkt Frauen eingeladen. Einige davon gehören, ob durch den Einfluss der Gruppe 47 oder nicht, zu den bekannteren Autorinnen, andere sind heute nicht mehr präsent. Sie alle haben aber in der Gruppe mit ihrem Auftritt und mit ihren Texten gewirkt und die Gruppe auch geprägt.

Zu der Tagung in Aschaffenburg 1960 kam Gabriele Wohmann, sie las dort Die Verabredung vor. Ihre erste Erzählung Ein unwiderstehlicher Mann hatte sie schon 1957 im Alter von 25 Jahren in den Akzenten veröffentlicht und auch ein Roman von ihr war schon erschienen. So war sie im Literaturbetrieb keine Unbekannte mehr. Sie verkörperte einen jugendlich-mädchenhaften Typus, der sich von den ‚Alten‘ in der Gruppe deutlich abhob.

In dieser frühen Phase ihres literarischen Schaffens beschäftigte sie sich vor allem mit der Darstellung der familiären Normalität und dem Alltag im privaten Raum. Der alltägliche offene, aber besonders der versteckte und in subtilsten Formen ausgetragene Kampf zwischen den Geschlechtern wurde in ihren Texten ausgeleuchtet. Dabei blieben ihre Frauengestalten häufig in der defensiven Rolle, verharrten in den hergebrachten Verhaltensmustern und entsprachen vordergründig den vorherrschenden Rollenklischees. Wohmann brachte mit dieser Perspektive eine andere Sicht in die Gruppe 47. Zwar war ein weiblicher Blick auf den Alltag bereits von Barbara König und Ruth Rehmann vorgebracht worden, doch die Fokussierung auf die Normalität ehelicher Machtkämpfe und die unablässige Wiederkehr dieser Strukturen eröffneten einen anderen Blickwinkel. In der feministischen Debatte wurde Wohmann später für ihre affirmativ agierenden Frauenfiguren kritisiert, doch sie selbst hat sich gegen eine Inanspruchnahme von Literatur für weltanschauliche Positionen immer verwahrt. So können ihre Erzählungen auch heute noch als genaueste Nachzeichnungen geschlechtsspezifischer Machtverläufe hinter den Wohnungstüren einen analytischen Blick auf die Geschlechterverhältnisse schulen. Die Texte zeigen eine Tendenz zur Satire und auch eine gewisse Boshaftigkeit wird offensichtlich.

Gabriele Wohmann war auf den Tagungen der Gruppe 47 von 1960 bis 1967 fast regelmäßig vertreten. Sie begleitete die Gruppe 1966 nach Princeton und berichtete auch über die Erfahrungen, die sie dort gemacht hatte. Sie selbst aber stufte im Nachhinein die Bedeutung der Gruppe 47 für ihre eigene Entwicklung als eher unwichtig ein und äußerte sich kritisch und distanziert über die Tagungen.

1962 kam Gisela Elsner zum Gruppentreffen nach Berlin. Elsner war zu diesem Zeitpunkt ebenso jung wie Wohmann und genauso wie diese hatte sie bereits, vermittelt über Walter Höllerer, in den Akzenten veröffentlicht. Doch literarisch unterschieden sich diese beiden Frauen deutlich. Bereits in ihren ersten Texten hatte Elsner eine groteske Sichtweise eingenommen. Mit ihren Kürzestgeschichten um Tiboll griff sie 1954 (zusammen mit Klaus Roehler) das Thema Kindheit und Familie auf, das für ihr Werk bestimmend bleiben sollte. Ihre Perspektive jedoch war nicht die Normalität, sondern ganz im Gegenteil thematisierten ihre Texte die Umkehrungen familiärer Zusammenhänge und die bereits strukturell angelegte Abweichung von der Normalität. Als Elsner zur Gruppe 47 kam, hatte Hans Magnus Enzensberger bereits eine Geschichte dieser Art von ihr, Daniel in der Sardinenbüchse, veröffentlicht. In Berlin las Elsner ein Kapitel aus dem Roman Der Achte, in dem die Umdrehung der Machtverhältnisse in einer Familie auf groteske und absurde Wiese nachgezeichnet wird. Die Resonanz auf den Text war beachtlich, fast alle Berichte von dieser Tagung bezogen sich auf diese Lesung und die Urteile darüber gingen weit auseinander. Dabei bezogen sich einige Kommentare auch auf die Person Elsners und erkannten einen direkten Zusammenhang zwischen ihrem Auftreten, ihrer Erscheinung und dem vorgetragenen Text. Diese Zusammenschau von Person und Werk sollte Zeit ihres Lebens bestehen bleiben und für ihre Bedeutsamkeit in der Öffentlichkeit eine ambivalente Rolle spielen. Inwieweit Elsner diese Verquickung, unter der sie später auch gelitten hat, selbst aktiv bediente, ist schwer auszumachen. Dieser Auftritt bei der Gruppe 47 blieb bemerkenswert und brachte sowohl der Gruppe als auch ihr selbst öffentliche Aufmerksamkeit. Ihre nächste Lesung fand bei der Tagung 1963 in Saulgau statt. Diese ist im Rahmen der einzigen Filmdokumentation einer Tagung der Gruppe nachvollziehbar und zeigt ihrerseits einen ganz unaufgeregten Beitrag. Mit Elsner war eine satirische und groteske Stimme bei der Gruppe zu hören, die den Erwartungen an weibliches Schreiben nicht entsprach und entsprechend überraschte. Auf der letzten Sitzung der Gruppe 1967 in der Pulvermühle knüpfte Renate Rasp mit ihrer Lesung hier wieder an und zeigte ein ähnlich groteskes Bild das familiären Innenlebens.

Vorher jedoch kam noch die Autorin Helga M. Novak zur Gruppe und las dort einige Male. Ihr biografischer Hintergrund unterschied sich von dem der anderen Frauen, aber auch von den Gruppenmitgliedern allgemein. Novak war in der DDR aufgewachsen, hatte eine Zeitlang in Island gelebt und war dann aus der DDR in die Bundesrepublik übergesiedelt. Ihr Schreiben greift diese Kontexte auf. Besonders bekannt sind ihre autobiografisch anlegten Romane geworden, in denen sie ihre Kindheitserlebnisse und ihre Jugend in der Eliteförderung der DDR beschreibt. Ihr eigentliches Genre aber war die Lyrik und damit trat sie auch in der Gruppe auf. Direkt nachdem sie 1966 in Westberlin angekommen war, kam sie in Kontakt mit Hans Werner Richter und wurde zu der Tagung in Princeton eingeladen. Dort trug sie Gedichte vor und erntet damit viel Lob, beispielsweise von Erich Fried. Dieser Vortrag ist aufgrund eines überlieferten Tonbandmitschnittes nachzuhören, so dass man neben Stimme und Tonfall von Helga Novak ebenso ihre persönliche Lesart wahrnehmen kann. Ihre Gedichte mit Titeln wie Schmerz, Schief sich gegenüber und Dezemberklage zeichnen in bissiger und scharfer Sprache Bilder vom Alltag in seiner ganzen Härte und Unerbittlichkeit. Ihre Erfahrungen, die sie in den Fischfabriken in Island gemacht hatte, tauchen hier auf, aber auch existenzielle Gefühle wie Sehnsucht nach Heimat oder Liebe. Die lakonische und sachliche Art und Weise, in der Novak diese Gedichte vortrug, verstärkte die Wirkung noch: Hier trat eine junge Frau mit eindrücklichen lyrischen Bildern aus einer fremden Lebens- und Arbeitswelt auf. Novak entsprach – ähnlich wie Gisela Elsner – dem gängigen Frauentypus in keinster Weise, sie entzog sich einer familiären Einbindung völlig und war extrem auf Autonomie bedacht. Sie kam ein weiteres Mal zur Tagung in der Pulvermühle 1967.

Diese denkwürdige, letzte offizielle Tagung brachte nochmal einige neue, unbekannte Frauen auf die Bühne der Gruppe 47. Mit Renate Rasp trat eine Autorin auf, die mit ihrem Schreiben an Wohmann, Elsner und Novak anknüpfte, da auch sie in ihren Texten einen kritischen und teilweise ebenso boshaften Blick auf die Gesellschaft richtete. Ihre ersten Prosawerke beschrieben die Innenansichten einer Ehe bzw. einer Familie und sezierten auch deren sexuelle Dimensionen. Der Roman Ein ungeratener Sohn von 1967 beschreibt die Absicht eines Paares, den Sohn als einen Baum aufwachsen zu lassen, und verweist mit dieser Groteske auf die harten Erziehungspraktiken der Nachkriegszeit. Im Literaturbetrieb wurde man nach diesem Debüt auf sie aufmerksam. Zusammen mit Gisela Elsner, Leonie Ossowski und noch weiteren Autorinnen wurde Renate Rasp als Vertreterin einer neuen Tendenz zum Boshaften und Obszönen in der weiblichen Literatur gesehen. Gerade das Extreme in ihren Texten fiel in der Rezeption auf, da es den Erwartungen an weibliches Schreiben nicht entsprach. Dieser Eindruck verstärkte sich noch durch ihren Auftritt in der Pulvermühle, denn dort las sie Gedichte mit sexuellen und erotischen Anspielungen. Das wirkte innerhalb aber auch außerhalb der Gruppe enorm provozierend. Rasp, die nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Schauspielerin war, nutze auch andere Formen öffentlicher Darstellung, indem sie auf der Buchmesse 1968 ihre nackte Brust zeigte, um auf die scheinheilige Sexualmoral hinzuweisen. Dies wirkt aus heutiger Perspektive wie ein Vorgriff auf die spätere feministische Aktionskunst, die den weiblichen Körper provokativ zur Schau stellen wollte. In der damaligen Diskussion kam allerdings die kritische Dimension im Umgang mit dem weiblichen Körper nicht vor. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Person der Autorin selbst oder auf die Zulässigkeit einer solchen Literatur.

Die Gruppe 47 wurde Mitte der 1960er-Jahre Gegenstand einer kulturpolitischen Debatte, die letztlich auch zu ihrer Auflösung führte. Aus der selbstreflexiv arbeitenden Kleingruppe einiger Schriftsteller war eine halböffentliche Bühne geworden, die in wesentlicher Weise Einfluss auf die Vermarktung der von ihr ausgewählten Texte nehmen konnte. Diese Machtstellung forderte intern und extern eine grundsätzliche Kritik heraus, zumal die Gruppe aufgrund ihrer festgelegten Struktur keinen Modernisierungsprozess zuließ. Wie viele andere avantgardistische Strömungen wurde die Gruppe in dem Moment, in dem sie ihre Funktion als Neuling im literarischen Feld nicht mehr halten konnten, aus ihrer Position verdrängt. Im Unterschied zu anderen Akteuren reagierte der Leiter der Gruppe, Hans Werner Richter, auf diese Situation und setzte die Tagungen nach 1967 nicht mehr fort.

Damit kam auch die kurze Reihe weiblicher Auftritte ‚mit boshaftem Blick‘ zum Ende. Elsner, Novak und Wohmann wurden nach ihren Lesungen bei der Gruppe 47 alle erfolgreiche Autorinnen. Sie bedienten jeweils unterschiedlichen Genres und präsentierten sich in unterschiedlicher Weise in der Öffentlichkeit. Novak beispielsweise zog sich ganz und gar in die Einsamkeit zurück, für Elsner hingegen war es schwierig, neben der Fixierung auf ihre Person mit dem literarischen Werk auf sich aufmerksam zu machen. Renate Rasp konnte sich mit ihren Texten nicht dauerhaft etablieren. 1970 trat sie noch einmal zusammen mit Helga M. Novak, Gabriele Wohmann und Barbara König in einer Gesprächsrunde mit Hans Werner Richter im Literarischen Colloquium Berlin auf.

In der Rezeption und Forschung haben die Autorinnen der Gruppe 47 für lange Zeit keine umfassende Würdigung erfahren und entsprechend wurden auch die hier vorgestellten Frauen im Kontext der Gruppe nicht systematisch untersucht. Mit der im vorliegenden Essay vorgenommenen Darstellung, die an die Monografie der Verfasserin Frauen in der Gruppe 47. Zur Bedeutung der Frauen für die Positionierung der Gruppe 47 im literarischen Feld angelehnt ist, lässt sich für diese Phase der Gruppe 47 festhalten, dass neben der großen biografischen und habituellen Unterschiedlichkeit dieser vier Schriftstellerinnen eine Übereinstimmung in der provokativen und genderkritischen Ausrichtung ihrer Texte zu finden ist. Diese Ansätze wurden in der Gruppe vornehmlich als Provokation aufgefasst und teilweise auf die jeweilige Autorin selbst projiziert. Der gesellschafts- und rollenkritische Ansatz, sei er nun auf subtile oder plakative Weise literarisch umgesetzt, wurde ignoriert oder verkannt. Vielleicht hängt dies mit der Tatsache zusammen, dass es sich hier um Frauen handelte. Groteske Schilderungen des Privaten wollte man aus ihrem Mund nicht hören.

Titelbild

Wiebke Lundius: Die Frauen in der Gruppe 47. Zur Bedeutung der Frauen für die Positionierung der Gruppe 47 im literarischen Feld.
Schwabe Verlag, Basel 2017.
390 Seiten , 42,00 EUR.
ISBN-13: 9783757400002

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