Darstellende Dichtung und dichterische Selbstdarstellung

Der Sammelband „Dichterdarsteller“ von Robert Leucht und Magnus Wieland beschäftigt sich mit der biografischen Legende

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist in der Literaturwissenschaft ein altes Streitthema: Kann und darf ich die Biografie des Autors zur Interpretation des Textes heranziehen? Und kann ich Rückschlüsse vom Text auf den Autor ziehen? Der  Sammelband Dichterdarsteller  von Robert Leucht und Magnus Wieland herausgegebene, betont die Wichtigkeit der Biografie für die Interpretation des Textes, wobei sich alle Beiträge auf die Theorie der biografischen Legende von Boris Tomaševskij beziehen.

Vereinfacht geht Tomaševskij davon aus, dass die Biografie des Autors sehr wichtig ist für die Interpretation des Textes, wobei er damit nicht meint, dass man starr an der Biografie festhält. Vielmehr geht er davon aus, dass der Autor sich eine biografische Legende schafft, welche sich immer auf das Werk beziehe. Diese biografische Legende ist eine dritte Instanz, die zwischen dem literarischen Werk und dem empirischen Autor steht und vermittelt. Die öffentliche Person des Autors ist somit eine Projektions- und Imaginationsfläche, auf der er sich selbst inszeniert und so zwischen Werk und Öffentlichkeit vermittelt. Die Person des Autors ist eine selbsterschaffene und müsste daher auch als Teil der Interpretation mit herangezogen werden. Dabei ist wichtig, dass jede Epoche ihr eigenes Verständnis von der Konstruktion des Autors besitzt und man erst ab den 18. Jahrhundert einen Autor im Sinne der biografischen Legende finden kann.

Obwohl diese Theorie des russischen Formalismus aus den 1920er und 30er-Jahren stammt, kann sie auch heute noch zum Nachdenken animieren. Das liegt darin begründet, dass Tomaševskij die Selbstinszenierung des Autors anerkennt und berücksichtigt. Der Autor wird hier als Person des öffentlichen Lebens verstanden, die sich selbst inszeniert und so auf ihr Werk einwirkt. Dies hat nichts mit der empirischen Wirklichkeit der Person zu tun – je nach Situation und Werk mag diese Selbstinszenierung sich auch wandeln, Skandale und Kanäle der Öffentlichkeit werden bewusst benutzt, um sich in die rechte Position zu setzen, damit wird Tomaševskij Theorie der Unstetigkeit der Person gerecht.

Der Sammelband umfasst zwei Teile: Den Rahmen bildet ein sehr ausführliches Vorwort der Herausgeber. Darin werden die Theorie der biographischen Legende geklärt – auch die Vor- und Nachteile dieser Sichtweise – und das Ziel wird genau abgesteckt. Den rahmengebenden Abschluss bildet wiederum ein ausführliches Resümee, in dem alle Ergebnisse der einzelnen Aufsätze nochmals präzise zusammengefasst werden. Konsequent sind auch die Aufsätze, die sich jeweils Autoren wie Franz Kafka, Ingeborg Bachmann beziehungsweise Hugo von Hofmannsthal widmen und der biografischen Legende unterwerfen. Besonders spannend sind jene Aufsätze, die die Autoren unter dem Aspekt der medialen Inszenierung beleuchten: So untersucht Katrin Bedenig Thomas Manns Darstellung auf Fotos. Hier erkennt man besonders gut, welche Gedanken sich Mann um sein öffentliches Image gemacht hat. Aber auch Hanjo Berressems Aufsatz über Bret Easton Ellis und Twitter ist klug durchdacht – hier wird der Skandal, den Ellis bewusst über ein Medium, das eigentlich dazu dient, leichte Gedanken und oberflächliche Betrachtungen zu veröffentlichen, verbreitet, um sich selbst als Skandalautor zu etablieren. Ebendiese Aufsätze durchdenken das Konzept der biografischen Legende unter dem Aspekt der modernen Medien neu, und erweitern Tomaševskijs Gedanken sinnvoll.

Mit gerade einmal neun Aufsätzen mag der Sammelband zwar nicht umfangreich sein, aber hier wird auf Qualität statt Quantität gesetzt. Eine zentrale Theorie wird stringent neu bewertet und erweitert. So und nicht anders sollten Sammelbände aussehen.

Titelbild

Robert Leucht / Magnus Wieland (Hg.): Dichterdarsteller. Fallstudien zur biographischen Legende des Autors im 20. und 21. Jahrhundert.
Wallstein Verlag, Göttingen 2016.
237 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783835318212

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